Antibiotikaresistenzen: ein Experteninterview

Antibiotikaresistenzen erschweren die Therapie des Typhus in den letzten Jahren zunehmend. Eine kürzlich im "Lancet Infectious Diseases" publizierte nepalesische Studie musste wegen hoch resistenter Typhus-Stämme gegen die beiden Antibiotika Ciprofloxacin und Gatifloxacin sogar abgebrochen werden. Es wird davon ausgegangen, dass sich die hoch resistenten Stämme weiter ausbreiten werden.

26.01.2017

beratungsthema_jelinek_neu
© Foto: Marcus Roczen / Fotolia
Anzeige

Reisende in Endemiegebiete sollten deshalb vorbeugende Maßnahmen treffen. Prof. Dr. med. Tomas Jelinek, Medizinischer Direktor des Berliner Centrum für Reise- und Tropenmedizin und wissenschaftlicher Leiter des Centrum für Reise- und Tropenmedizin Düsseldorf, spricht im Interview über die Gefahr einer Typhuserkrankung und Möglichkeiten, eine Ansteckung zu verhindern.

Aktueller Podcast

Herr Professor Jelinek, wie wahrscheinlich ist eine Typhuserkrankung bei Reisen in Endemiegebiete?

Die Ansteckungsgefahr ist schwer in Zahlen zu fassen. Einerseits haben wir offiziell ans Robert Koch-Institut gemeldete Fallzahlen von etwa 50 bis 90 Patienten pro Jahr. Das klingt erstmal nach nicht besonders viel. Man muss allerdings davon ausgehen, dass eine größere Zahl an Typhusfällen entweder nicht gemeldet oder auch gar nicht korrekt diagnostiziert wird. Dies betrifft vor allem Personen mit milderen Verläufen und Infizierte, die das Bakterium ausscheiden, ohne selbst Symptome zu entwickeln. Untersuchungen bei Reiserückkehrern aus tropischen und subtropischen Gebieten in westliche Länder zeigen, dass Typhus in den letzten Jahren häufiger geworden ist als etwa eine Infektion mit Hepatitis A. Während bei einem von 3300 Reiserückkehrern Typhus festgestellt wurde, war nur etwa einer von 8000 von Hepatitis A betroffen. Das liegt einerseits daran, dass gegen Hepatitis A effektiv geimpft wird – aber auch an steigenden Fallzahlen bei Typhus.

jelinek

Prof. Dr. med. Tomas Jelinek
© Foto: Tomas Jelinek

Wie ist der klassische Verlauf einer Typhuserkrankung?

Üblicherweise wird Salmonella typhi über verunreinigte Nahrung aufgenommen. Dabei genügt bereits eine sehr niedrige Infektionsdosis von wenigen tausend Bakterien. Diese besiedeln zunächst die Darmwand. Dort docken sie über das Vi-Antigen an und können dann eindringen. In weiterer Folge lähmen die Salmonellen die Darmwand und führen zu Verstopfung. Dadurch wird ihre Ausbreitung weiter begünstigt. Die Bakterien wandern dann weiter in die Lymphknoten des Darms, werden von Phagozyten in andere immunkompetente Organe wie Leber und Milz transportiert und gelangen schließlich ins Knochenmark. Es entsteht dann ein septisches Krankheitsbild mit rasenden Kopfschmerzen, Fieber und einem lebensbedrohlichen Zustand. Erst nach Besserung der Sepsis entsteht ein erbsbreiartiger Durchfall, über den dann in hoher Konzentration Bakterien ausgeschieden werden. Auch nach Abheilen der Erkrankung scheiden etwa fünf Prozent der Infizierten weiter Salmonella typhi mit dem Stuhl aus. Bei diesen Dauerausscheidern haben sich die Typhusbakterien in die Gallenwege zurückgezogen. Diese Menschen sind hoch ansteckend und stellen eine Gefahr dar, wenn sie mit der Verteilung von Nahrungsmitteln oder etwa der Betreuung von Kranken betraut sind.

Welche Reisenden sind besonders gefährdet, an Typhus zu erkranken?

Besonders gefährdet sind Personen mit reduzierter Magensäureproduktion, etwa durch eine Behandlung mit Protonenpumpenhemmern oder auch altersbedingt. Auch ein verlängerter Aufenthalt erhöht das Infektionsrisiko statistisch. Und natürlich spielen auch die hygienischen Bedingungen eine Rolle. Wer Straßenstände und Ähnliches als Nahrungsquelle nutzt, ist eher gefährdet als jemand, der sich bei Vollpension im Luxushotel aufhält – ein Risiko bleibt allerdings auch dort bestehen. Am häufigsten betroffen sind Abenteuerreisende und Personen, die in diesen Regionen Freunde und Verwandte besuchen.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr der zunehmenden Antibiotikaresistenzen ein?

Ich weiß von nepalesischen Kollegen, die sich wissenschaftlich mit diesem Thema beschäftigen, dass es dort erhebliche Probleme gibt, Typhus zu behandeln. Die Resistenzrate gegen Gatifloxacin liegt in Nepal bei 26 Prozent. Die Studie, die dieses Ergebnis zeigte, musste wegen der hohen Resistenzraten gegen Gatifloxacin und Ciprofloxacin sogar vorzeitig beendet werden. Gatifloxacin galt bislang als Reservemittel aus der Gruppe der Chinolone. Dies bedeutet ein großes Problem für die einheimische Bevölkerung – aber auch für Reisende in diese Gebiete.

Wie kann man sich am besten vor einer Typhuserkrankung schützen?

Die üblichen Verhaltensregeln auf Reisen wie „Cook it, boil it, peel it or leave it“ sind aufgrund der geringen Infektionsdosis bei Typhus nur wenig wirksam. Dennoch sollte man beim Essen natürlich auf Hygiene achten. In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, Protonenpumpenhemmer o. Ä. vor Reiseantritt abzusetzen. Einen wirklich wirksamen Schutz können diese Maßnahmen allerdings nicht bieten.

Empfehlenswert ist bei Reisen in Endemiegebiete immer auch eine Impfung gegen Typhus. Es gibt hier zwei verschiedene Prinzipien: Einerseits die Immunisierung gegen das Invasivitätsantigen, das Vi-Antigen mit einem Polysaccharid-Impfstoff, anderseits die Lebendimpfung mit einer stark abgeschwächten Bakterienkultur mit einer daraus resultierenden Darmimmunität. Die Darmimmunität bietet einen sehr frühen Schutz gegen die Oberflächenbestandteile von Salmonella typhi, das Kapsel- und Geißel-Antigen, und kann schon die Ansiedelung im Darm verhindern.

Worin unterscheiden sich die orale Typhusimpfung und der Polysaccharidimpfstoff?

Ein Vorteil der oralen Impfung ist eine gewisse Kreuzimmunität auch gegen Paratyphus, weil das Kapsel- und Geißelantigen vor allem bei Paratyphus A und B sehr ähnlich ist. Die daraus resultierende Schutzrate beträgt etwa 40 – 50 Prozent. Für Spritzenphobiker ist auch die orale Verabreichung günstig. Auch die bei Polysaccharid-Impfstoffen beobachtete Hyporesponsiveness, also das Phänomen, dass der Impfschutz bei mehreren Impfungen hintereinander abnimmt, existiert beim Schluckimpfstoff nicht. Die Hyporesponsiveness kann vor allem bei Patienten, die häufiger in Endemiegebiete reisen, ein Problem sein.

Ein Nachteil der Schluckimpfstoffe ist allerdings die Tatsache, dass der Impfstoff zuhause im Kühlschrank gelagert werden muss. Hier passieren immer wieder Fehler. Zudem beträgt die Schutzdauer der Schluckimpfung ein Jahr – verglichen mit drei Jahren beim Polysaccharidimpfstoff.

Sind im Rahmen der Typhus-Impfung Abstände zu anderen Lebend- oder Tot-Impfstoffen einzuhalten?

Nein, das ist sehr unkompliziert. Die Typhus-Impfung kann gut mit allen anderen Impfungen kombiniert werden. Es gibt auch einige Studien, die das belegen. Zwar gilt bei Lebend-Impfungen grundsätzlich die Empfehlung, sie entweder gemeinsam mit anderen Impfungen zu verabreichen oder mit vier Wochen Abstand. Da die Schluckimpfung gegen Typhus allerdings ausschließlich im Darm wirkt, ist sie eine Ausnahme von dieser Regel. Es ist also egal, ob gleichzeitig geimpft wird oder mit einem beliebigen Abstand zwischen den Impfungen.

Herr Professor Jelinek, wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte Dr. Andrea Rohrauer-Scherr, MCG Medical Consulting Group 

Kommentar schreiben

Die Meinung und Diskussion unserer Nutzer ist ausdrücklich erwünscht. Bitte achten Sie im Sinne einer angenehmen Kommunikation auf unsere Netiquette. Vielen Dank!

Pflichtfeld *