Beginnt Multiple Sklerose im Dünndarm?

(tm /kib) Im Dünndarm werden möglicherweise "Schläfer-T-Zellen" aktiviert, die eine Multiple Sklerose (MS) triggern. Deutsche Forscher konnten im Tiermodell eine solche Aktivierung in den Darmzotten nachweisen.

27.06.2018

Nervenzelle mit geschädigter Myelinscheide
© Foto: ag visuell / stock.adobe.com
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Der Neuroimmunologe Professor Hartmut Wekerle vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried vermutet schon seit einiger Zeit einen bedeutsamen Einfluss der Darmflora bei der MS-Entstehung. Möglicherweise triggern im Darm befindliche Keime bei Personen mit einer genetischen Prädisposition für Autoimmunkrankheiten eine Kreuzreaktion gegen Myelin.

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Der Verdacht beruht auf Forschungen an einem Mausmodell: Forscher um Wekerle haben genveränderte Tiere mit myelinreaktiven T-Zellen hergestellt. Solche Tiere entwickeln immer wieder demyelinisierende Schübe, ähnlich wie MS-Patienten.

Das tun sie allerdings nicht, wenn sie in keimfreier Umgebung aufgezogen werden, dann bleiben sie von der Nager-MS verschont. Die autoreaktiven T-Zellen "schlafen" in solchen Tieren offenbar, doch sobald sie mit den üblichen Darmbakterien in Kontakt kommen, werden sie aktiviert und greifen das Nervensystem an.

Doch welche Prozesse im Darm autoreaktive T-Zell-Schläfer in den Alarmmodus versetzen, sei letztlich noch nicht wirklich verstanden, so Wekerle. Forscher um den Neuroimmunologen konnten nun allerdings zeigen, wo genau das geschieht, und zwar mit einem speziellen fluoreszenzmikroskopischen Verfahren, der Zwei-Photonen-Mikroskopie.

Sie markierten autoreaktive T-Zellen mit einem Farbstoff, der bei massivem Calciumeinstrom im Laserlicht aufleuchtet. Ein solcher Einstrom wird als Zeichen der Aktivierung gedeutet. In ihrem Mausmodell konnten die Forscher in vivo auf diese Weise die Aktivierung von T-Zellen beobachten. Sie fanden die Lichtsignale der geweckten T-Zellen ausschließlich in der Lamina propria der ilealen Zotten.

Sollte sich ein ähnlicher Mechanismus auch bei Menschen bestätigen lassen, würde dies neue Therapie- und Präventionsmöglichkeiten eröffnen: Vielleicht können regulatorisch wirkende Fettsäuren eine MS bei Risikopatienten verhindern.

Optionen wären auch eine selektive Antibiose gegen MS-triggernde Keime oder eine Mikrobiomtransplantation. Letztere wird offenbar schon von einigen verzweifelten MS-Patienten praktiziert.

Wekerle warnte jedoch explizit davor: Noch gebe es keinerlei Evidenz, dass sich mit einer Stuhltransplantation der MS-Verlauf verbessern lasse.

Quelle: Ärzte Zeitung

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