Diese Faktoren sorgen für Lieferengpässe in der Pharmaindustrie
Seit vielen Monaten schlagen Apotheken Alarm: Diverse Kinderarzneimittel wie Paracetamolsäfte sind knapp, die Versorgungslage ist angespannt. Während die Gesundheitspolitik mit Gesetzen versucht, Abhilfe zu schaffen, hat sich die Kühne Logistics University (KLU) in Hamburg seit Anfang 2021 mit den Hintergründen der Arzneimittelknappheit beschäftigt und nun ihre Forschungsergebnisse veröffentlicht.
Deutschland ist viertgrößter Pharmamarkt der Welt
Prof. Dr. Kai Hoberg (KLU), und seine Co-Autoren Prof. Dr. David Francas (Hochschule Worms) und Stephan Mohr (Frankfurt School of Finance and Management) wollten die Engpasssituationen bei Arzneimitteln in Deutschland – dem viertgrößten Pharmamarkt nach den USA, China und Japan – ergründen.
Dafür griffen sie zum einen auf Daten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zurück, das entsprechende Engpässe dokumentiert. Als Grundlage dienten Daten aus dem Zeitraum von 2017 bis 2019 – bewusst ohne die Pandemiejahre als Sondereinfluss. Damit und mit weiteren Quellen wie Abverkaufszahlen und Daten zur Patentsituation und zu Reportingpflichten in Deutschland erstellten sie ein statistisches Modell, um Häufungen zu erkennen.
Patentierte Produkte sind seltener von Engpässen betroffen
Konkurrenz, Darreichungsform & Meldefristen beeinflussen Engpässe
Patentierte Produkte, die nur von einem Hersteller angefertigt werden, sind demnach seltener von Engpässen betroffen als Arzneimittel, die den Patentschutz verloren haben und als Generika von vielen Anbietern hergestellt werden. „Sobald eine Konkurrenzsituation herrscht, sind einzelne Unternehmen zu stärkerer Effizienz gezwungen. Bereits kleine Störungen führen dann schneller zu Engpässen, weil weniger Kapazitäten und Bestände als Reserve existieren“, ordnet Hoberg dieses Ergebnis ein.
Produktion von Injektionen sehr störanfällig
Eine weitere Erkenntnis der Autoren: Die Anfälligkeit für Lieferschwierigkeiten hängt mit der Darreichungsform der jeweiligen Arzneimittel zusammen, da einzelne Applikationsmethoden aufwändiger und damit anfälliger sind. Konkret erwies sich der Produktionsprozess von Medikamenten, die gespritzt werden (Injektionen), am komplexesten. Entsprechend ist hier die Gefahr für Verunreinigungen oder andere Störungen, die zu Engpässen führen können, höher. Ebenfalls sind Arzneimittel anfällig, deren Nachfrage variabel ist.
Weiterhin wurde analysiert, wann Pharmaunternehmen, die hierzulande verpflichtet sind, Engpässe bei kritischen Medikamenten dem BfArM zu melden, tatsächlich ihrer Pflicht nachgehen. Das Ergebnis: Engpässe wurden oft erst nach sechs bis acht Wochen gemeldet, nachdem der Markt den Engpass bereits erreicht hat. „Von dieser Information waren alle Beteiligten überrascht“, berichtet Hoberg, der eine striktere Meldefristpolitik für nötig hält.
Was hilft gegen Lieferengpässe?
- Frühwarnsystem
- Transparenz entlang der kompletten Lieferkette
- Resilienz-Maßnahmen für Pharmaunternehmen
Lösungsansätze: Mehr Transparenz und Frühwarnsysteme
Könnten höhere Preise Engpässe bei Arzneimitteln vermeiden? Hoberg verneint das: „Diese Strategie bedeutet nur eine Umverteilung des Problems: Man erhöht damit die Prioritäten der Unternehmen auf dem deutschen Markt, aber dann fehlt das Arzneimittel in einem anderen europäischen Land.“ Vielmehr sieht Hoberg einen erfolgversprechenden Ansatz in differenzierteren Anreizen, die Widerstandsfähigkeit fordern. Das garantiert langfristig die Produktion und reduziert Risiken.
Als nächste nötige Schritte sehen die Wissenschaftler die Etablierung eines Frühwarnsystems sowie die Erhöhung der Transparenz entlang der gesamten Lieferkette.
Quelle: Kühne Logistics University - Wissenschaftliche Hochschule für Logistik und Unternehmensführung