EU-Vergleich: Wo ist die Mehrwertsteuer auf Medikamente am höchsten?

(cnie) Erstmals seit ihrer Einführung in der heutigen Form (1968) wird die Mehrwertsteuer in Deutschland gesenkt. Befristet von Juli bis zum Jahresende fällt die Abgabe von 19 auf 16 Prozent. Nicht überall in Europa wird wie in Deutschland der volle Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel angerechnet.

01.07.2020

Eurozeichen im Blister
© Foto: blobbotronic / stock.adobe.com
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Die Mitgliedsländer der Europäischen Union müssen jeweils einen regulären Umsatzsteuersatz von mindestens 15 Prozent erheben. Ermäßigte Sätze dürfen (mit wenigen Ausnahmen) fünf Prozent nicht unterschreiten. Eine Obergrenze setzt die entsprechende EU-Richtlinie nicht.

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Nur drei von 27 EU-Staaten erheben den vollen Steuersatz auf alle Medikamente. Neben Deutschland sind das laut einer Statistik des Marktforschungsunternehmens Statista Dänemark (25%) und Bulgarien (20%). In allen anderen Ländern gelten ermäßigte Steuersätze zumindest auf verschreibungspflichtige Medikamente.

Besonders deutlich sind die Unterschiede in Ungarn. Das Land hat den höchsten Mehrwertsteuersatz in der EU mit 27 Prozent, auf Arzneimittel entfallen aber nur fünf Prozent Steuer. In Malta sind Medikamente komplett von der Mehrwertsteuer befreit. In Schweden zumindestens Rx-Arzneimittel. Für OTC-Medikamente verlangt der schwedische Staat eine Abgabe von 25 Prozent. Irland unterscheidet bei der Steuer laut Statista zwischen Arzneimitteln zur oralen Anwendung mit einem Steuersatz von 0 Prozent und Arzneimitteln zur nicht oralen Anwendung, die mit 23 Prozent besteuert werden.

Von 10 auf 19 Prozent gestiegen: Geschichte der Mehrwertsteuer

Wie sie heute ausgestaltet ist, entstand die Steuer in der Bundesrepublik im Jahr 1968. Neben dem Regelsatz von ursprünglich 10 Prozent wurde seinerzeit auch ein halb so hoher ermäßigter Satz eingeführt. Dieser gilt seither für viele Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs. Die reguläre Mehrwertsteuer wurde immer wieder erhöht, seit dem 1. Januar 2007 liegt sie bei 19 Prozent. Der ermäßigte Steuersatz blieb seit 1983 bis jetzt konstant bei 7 Prozent. Übringens: Wird ein Nahrungsergänzungmittel als Arzneimittel beworben, muss der Hersteller dafür den vollen Umsatzsteuersatz von 19 Prozent entrichten.

Die Mehrwertsteuer macht etwa ein Drittel des staatlichen Gesamtsteueraufkommens aus. Im Jahr 2019 kamen von insgesamt knapp 800 Milliarden Euro Steuereinnahmen mehr als 243 Milliarden Euro aus der Umsatzsteuer. Zuletzt ging der Arbeitskreis Steuerschätzung wegen des Konsum-Einbruchs in der Corona-Krise von 22,3 Milliarden Euro weniger Einnahmen aus der Umsatzsteuer im Jahr 2020 aus. Mit der Senkung der Steuersätze ab 1. Juli dürften nach Berechnungen des Bundesfinanzministeriums weitere 19,6 Milliarden Euro im Staatssäckel fehlen. Diese Mindereinnahmen will allein der Bund schultern.

Bei einer Online-Umfrage in DAS APOTHEKER FORUM von APOTHEKE + MARKETING gab jeder fünfte Teilnehmer an, dass er die Mehrwertsteuersenkung vollständig an die Apothekenkunden weitergeben will. Etwa ein Drittel wollen dies nur teilweise tun. Weitere 31 Prozent sind sich noch nicht sicher, und jeder zehnte befragte Apotheker in DAS APOTHEKER FORUM schließt eine Weitergabe der Senkung derzeit aus. An der anonymen Umfrage haben sich 127 Apotheker aus ganz Deutschland beteiligt.

Wie läuft die befristete Preissenkung in der Offizin ab?

Grundsätzlich ist es nach den Vorschriften der Preisangabenverordnung (PAngV) notwendig, sämtliche Preisauszeichnungen an jedem einzelnen Produkt im Schaufenster, in der Freiwahl und der Sichtwahl anzupassen, um wettbewerbsrechtliche Abmahnungen zu vermeiden. Der damit verbundene Aufwand wird im kompletten Einzelhandel als überaus lästig empfunden, die Apotheken sind da keine Ausnahme, berichtet die Steuerberatungsgesellschaft Treuhand Hannover.

Das Bundeswirtschaftsministerium weist auf eine Ausnahmeregelung in § 9 Absatz 2 PAngV hin, derzufolge die Einzelauszeichnung an jeder Packung entfallen kann, wenn stattdessen eine "örtliche Bekanntmachung" durch einen Aushang in den Geschäften erfolgt. Die Treuhand Hannover schließt sich dieser Auffassung an und empfiehlt Apothekern, die sich für eine Weitergabe der Umsatzsteuerreduzierung an die Kunden entscheiden, einen Aushang in ihrer Apotheke anzubringen. Damit lässt sich der bürokratische Aufwand einer Umetikettierung der Packungen in der Frei- und Sichtwahl vermeiden. 

Der Aushang könnte folgenden Wortlaut haben:

Liebe Patientinnen und Patienten,
wir geben die Mehrwertsteuersenkung (von 19 Prozent auf 16 Prozent bzw. von 7 Prozent auf 5 Prozent) in der Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2020 an unsere Kunden weiter. Bei allen in der Apotheke ausgezeichneten Preisen wird an der Kasse der Preis um die Mehrwertsteuerreduzierung gesenkt. Die Preisbildung für verschreibungspflichtige Arzneimittel richtet sich nach den Vorgaben der Arzneimittelpreisverordnung.

Bei Produkten, die der Arzneimittelpreisverordnung unterliegen, hat die Apotheke keine Preisgestaltungsmöglichkeiten, hier sinken zum 1. Juli 2020 die Apothekenverkaufspreise automatisch, erläutert die Treuhand Hannover. Doch bei den nicht preisgebundenen Artikeln muss jeder Apothekeninhaber für sich entscheiden, ob er die Umsatzsteuerreduzierung an die Kunden weitergeben will. Wer nur bei einem Teil des Sortimentes die Umsatzsteuerreduzierung  weitergeben möchte, müsste den Text anpassen.
So hat beispielsweise der Apothekerverband Westfalen-Lippe seinen Mitgliedern mitgeteilt, dass "individuell nach eigenem betriebswirtschaftlichem Ermessen zu entscheiden ist, ob die Apotheken die Mehrwertsteuersenkung bezogen auf das komplette Sortiment oder auch nur für Teilsortimente an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben." 

Quelle: Statista / dpa / Treuhand Hannover / Bundeswirtschaftsministerium / Apothekerverband Westfalen-Lippe

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1 Kommentar

20.11.2021 - 07:51 Uhr
Kommentar von Karl Richter

Arzneimittel sollten Mehrwertsteuer frei sein