Fremd- und Selbstbild – immer eine Unstimmigkeit?

Wie sehen wir uns? Wie sehen uns die anderen? Was tun, wenn die Diskrepanz groß ist und sogar Probleme im Beruf bereitet? Wer die Ursachen dafür kennt, dass Fremd- und Selbstbild sich unterscheiden, kann besser mit dieser Diskrepanz umgehen.

von Nina Konopinski-Klein
10.12.2018

Katze spiegelt sich als Tiger im Spiegel.
© Foto: iridi66 / stock.adobe.com
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Fallbeschreibung

Vor kurzem wurde ich von einer Apothekerin angerufen, die meine Hilfe als Coach erbat. Die Apotheke befindet sich in einem gediegenen Vorort. Die Kunden sind meist Anwälte, Ärzte und einige Rentner. Ein wohlhabendes und gesittetes Publikum also.

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Das Anliegen von Apothekerin Schneider war ihr Personal. Sie hat einige neue Mitarbeiterinnen eingestellt und ist mit der Leistung des Teams grundsätzlich sehr zufrieden. Was ihr Sorgen macht, ist der Eindruck, den die Mitarbeiterinnen bei Kunden womöglich hinterlassen. Das Verhalten passe nicht zum Publikum, befürchtete sie. Sie nannte mir einige, von ihr missbilligte Beispiele: lange, nicht zusammengebundene, fettige Haare, offen getragene Tätowierungen an Armen, Kauen von Kaugummi, Nase hochziehen, Richten von BH-Trägern, sich kratzen während des Kundengesprächs.

Sie selbst traute sich nicht, die Mitarbeiterinnen darauf anzusprechen. Sie hatte Angst, diese zu verletzen bzw. zu verärgern. In einer gemeinsamen Aktion mit Rollenspielen gelang es mir, die Mitarbeiterinnen selbst die Standards der Offizin erarbeiten zu lassen und eine Selbstverpflichtung zum Erhalt der Vereinbarung einzugehen. Was allerdings bei der Teamarbeit besonders auffiel: Die Kolleginnen, deren Verhalten der Ausgangsgrund für die Veranstaltung waren, waren sich ihres Verhaltens überhaupt nicht bewusst und fühlten sich erst durch die Diskussion indirekt betroffen.

Ursachenforschung

Wie kann es zu solch einer Diskrepanz zwischen Selbstbild und Fremdbild kommen?

Einflussfaktor Sozialisation

Aufgrund unserer Sozialisation (Einbindung in die Gesellschaft und Familie) und unserer Lebenserfahrungen verfügen wir über ein Wissen über uns selbst. Dieses wird oft bestätigt durch das Verhalten und Feedback aus unserer Umgebung. Wenn eine Mitarbeiterin zum Beispiel oft für ihren freundlichen Umgang mit den Kunden gelobt wird, schließt sie daraus, dass sie eine freundliche Person ist. Ihr Verhalten gegenüber den Kunden ist für alle sichtbar – das ist ein Teil der Persönlichkeit, der sie als öffentliche Person definiert. Dieses Verhalten oder die Charaktereigenschaft der Mitarbeiterin ist ihr und auch den anderen bekannt.

Einflussfaktor Persönlichkeit

Jede Person hat aber auch Persönlichkeitszüge, die nur sie kennt, ihre Geheimnisse – sie als Privatperson. Beispiel: Eine Mitarbeiterin mag grundsätzlich keine Menschenmengen, scheut Kontakte mit den Kunden und vermeidet so oft sie kann das Bedienen von Kunden in der Offizin. Sie versucht, wenn es geht, Dienste im Lager oder im Zytostatikalabor zu übernehmen. Diese Einstellung hat sie dem Vorgesetzten nicht mitgeteilt, was sie als Folge in Situationen bringt, die für sie unangenehm sind.

Der Bereich der Privatperson ist meist am Anfang der Zusammenarbeit mit einer Mitarbeiterin sehr groß. Mit der Zeit verringert sich der Teil, der einem selbst, aber den anderen unbekannt ist. Durch Gespräche und sichtbares Verhalten werden die persönlichen Eigenschaften und Einstellungen den anderen bekanntgegeben.

Der blinde Fleck

Für die gute Zusammenarbeit und als Basis für ein Feedback ist der nächste Bereich sehr wichtig: der blinde Fleck. Es sind Dinge, die man selbst nicht bemerkt oder weiß, die anderen aber schon. Dazu gehören z.B. bestimmte Verhaltensweisen und das Aussehen, die in der oberen Fallbeschreibung in einer Teamfeedback-Runde zutage kamen. Der blinde Fleck ist ein Abbild der realistischen Einschätzung der eigenen Person. Je größer er ist, desto größer ist die Gefahr, sich selbst zu über- oder unterschätzen.

Ein regelmäßiges Feedback in Form von Befragungen, Mitarbeitergesprächen, Team-Diskussionsrunden oder vertraulichen Gesprächen hilft jedem, seinen blinden Fleck zu verkleinern und sich selbst besser kennenzulernen. Der Vorteil dabei ist, dass die realistische Selbsteinschätzung erlaubt, die eigene berufliche Entwicklung besser zu steuern und auch bessere Beziehungen zu anderen zu gestalten. Denn was nutzt es jemanden, sich für die beste Mitarbeiterin zu halten, wenn andere Kollegen oder Vorgesetzte eine andere Meinung darüber haben?

Verborgene Ursachen

Der letzte Bereich ist meist nur in Form von tiefenpsychologischen Gesprächen und Analysen erkundbar und veränderbar. Der Zugang dazu kann nur selbst gesteuert und nur bei bewusster Verarbeitung verändert werden. Beispiel: Eine Mitarbeiterin sieht in jedem dominanten, großen Mann ihren Ex-Ehemann und fühlt sich sofort eingeschüchtert. Sie vermeidet direkte Kontakte mit Kunden bzw. Kollegen oder dem Vorgesetzten. Unbewusst assoziiert sie diese Personen mit unangenehmen Situationen in ihrer Ehe.

Arbeiten an Selbst- und Fremdbild

Die oben genannten Bereiche wurden von den zwei Gruppendynamik-Forschern Joe Luft und Harri Ingram beschrieben und in Form eines Diagramms, des sogenannten JoHari-Fensters zusammengefasst:

Johari Fenster

Ziel der Feedback-Gespräche und der offenen Zusammenarbeit ist es, für jeden den Bereich der öffentlichen Person zu vergrößern und vor allem den blinden Fleck zu verkleinern.

Loben hilft

Die Erfahrung zeigt, dass gerade eine positive Bestärkung, also das Loben und Hervorheben der positiven Eigenschaften einen Einfluss auch auf das Negative hat. Das Loben stärkt das Selbstwertgefühl einer Person und bringt sie oft zur Selbstreflexion auch bei den zum Teil negativen Eigenschaften oder Verhaltensweisen.

Beispiel: Eine meist grimmige Mitarbeiterin im passenden Moment darauf anzusprechen, wie positiv ihr Lächeln auf einen wirkt („Ihr Lächeln lässt Ihr Gesicht strahlen“), kann sie tatsächlich zu ausgeglichenem, freundlicherem Verhalten bringen.

Überlegen Sie, bevor Sie jemanden tadeln oder kritisieren, ob Sie Ihre Aussage nicht umdrehen und positiv darstellen können. Das Tadeln verursacht oft eher einen Konflikt oder eine Trotzreaktion. Es heißt allerdings nicht, dass man eine berechtigte Kritik bzw. Hinweise vermeiden sollte. Diese sind auch angebracht und sollten mit Bedacht zu richtiger Zeit im richtigen Kontext kommuniziert werden.

Teamaktion mit positivem Feedback

Positiv gestaltetes Teamfeedback kann den Zusammenhalt zwischen Mitarbeiterinnen stärken. Auch dazu ein Beispiel für eine bewährte Team-Aktion mit positiven Feedback der Kolleginnen, die sich auch im Rahmen einer Feier durchführen lässt.

Beschreibung der Teamaktion
  • Geeignet für Teams bis 15 Personen. Beispiel für 15 Personen.
  • die Teamleiterin oder ausgewählte Person bereitet 15 Umschläge vor und erklärt den Verlauf der Aktion. Inhalt der Umschläge: Blättchen mit Namen der jeweiligen Teammitglieder.
  • Die Umschläge werden unter den Teammitgliedern verteilt und jeder soll auf jedem Blatt jeweils einen Satz zu oder über die jeweilige Kollegin schreiben. z.B. Blatt – Barbara: „Ich mag es, dass Du immer so ausgeglichen bist“. Anna: „Ich bewundere Deine Einsatzbereitschaft“. Olga: „Schön, wie Du Dich um die Kunden kümmerst“. Maria: „Sie ist der beste Ansprechpartner des Teams“. Diese Kommentare sollen in einer ruhigen Minute zu Hause (oder während der Pause) gemacht und zu einem bestimmten Zeitpunkt an die Teamleiterin abgegeben werden.
  • Die Teamleiterin sortiert die Blätter nach Personen und steckt sie in Umschläge, die mit dem jeweiligen Namen beschriftet sind.

Dann kommen zwei Versionen der Übergabe – diese sind abhängig von der Art der Feier (Lokal öffentlich oder separate Räume) und der zur Verfügung stehenden Zeit:

Kurze Version: Die Umschläge werden nach kurzer Ansprache über das Feedback der Kolleginnen an die jeweiligen Personen bei der Feier übergeben.

Ausführliche Version: Die Umschläge werden nochmals unter Kolleginnen verteilt. Die künftige Übergeberin setzt sich mit dem Inhalt der Aussagen auseinander und hält bei der Feier – jeweils vor der Abgabe – zu der entsprechenden Kollegin eine Ansprache. Es kann in Form eines Gedichtes oder einer kurzen Geschichte sein oder nur das Vorlesen der Zusammenfassung der positiven Aussagen.

Diese Kollegen-Positiv-Feedback-Aktion habe ich persönlich mehrmals erlebt bzw. durchgeführt und staunte jedes Mal, wie manche, vor allem unsichere Personen gerührt über die positive Zuwendung und Beurteilung waren.

Die Umschläge mit schönen Aussagen der Kolleginnen landen meist in einer Erinnerungskiste und rufen ein warmes Zugehörigkeitsgefühl hervor. Die ganze Aktion soll von vornherein als Team-Spiel angekündigt werden und das Erklären und Austeilen der Umschläge bei guten Teamplayern angefangen werden. Dies beugt gleich dem Motzen der Miesepeter vor.

Mein Tipp: Probieren Sie dieses Spiel aus. Es lohnt sich. Und: Bedanken Sie sich für das Feedback. Es ist ein Geschenk an Sie als Arbeitgeber und was Sie mit Ihrem Geschenk anfangen, hängt nur von Ihnen ab.

Die Autorin

Nina Konopinski-Klein ist Coach und Trainerin für Ärzte, Apotheker und weitere Mitarbeiter im Gesundheitswesen sowie Buchautorin (CCT-Coaching Consulting Training).

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