Gefährlicher Trend: Lugol’sche Lösung zur Jodsupplementation
„Der extrem hohe Jodgehalt kann zu massiven Funktionsstörungen der Schilddrüse führen“, warnt Professor Dr. Roland Gärtner, Endokrinologe an der Universität München und erster Vorsitzender des Arbeitskreises Jodmangel. „Anfänglich kommt es immer zu einer kompletten Blockierung der Schilddrüsenfunktion mit einer temporären mitunter schweren Hypothyreose. Zudem kann bei Patienten mit bestehenden Schilddrüsenerkrankungen, wie autonomen Adenomen oder einer Autoimmunthyreoiditis, anschließend eine manifeste Hyperthyreose, also eine Überfunktion, auftreten. Diese ist dann nur schwer zu behandeln, da die verfügbaren Medikamente kompetitiv zum Jodgehalt der Schilddrüse wirken.“
Die Lugol’sche Lösung ist nicht als Nahrungsergänzung oder Medikament zugelassen, sondern nur zur äußeren Anwendung als Antiseptikum oder Desinfektionsmittel. Dies aber auch nur in Ausnahmefällen, da das Jod auch über die Haut aufgenommen werden kann.
Was ist die Lugol’sche Lösung?
Dem französischen Arzt Jean Guillaume Lugol gelang es im 19. Jahrhundert schwer lösliches elementares Jod mithilfe von Kaliumjodid in destilliertem Wasser zu lösen. Die nach ihm benannte Lugol’sche Lösung besteht neben dem demineralisierten Wasser aus fünf Prozent elementarem Jod und zehn Prozent Kaliumjodid. Durch deren Dissoziation sind in der Lösung positiv und negativ geladene Jodatome enthalten.
„Schon ein Tropfen der Lugol’schen Lösung enthält ein Vielfaches der Zufuhrempfehlung für Erwachsene von 200 Mikrogramm Jod am Tag. Ganze 50 Milligramm Jod, also 50.000 Mikrogramm, stecken in einem Milliliter der Lösung. Für die orale Anwendung ist sie zudem vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gar nicht zugelassen“, erklärt Gärtner.
„Unabhängig davon gilt es zu beachten, dass nur das negativ geladene Jodid aktiv in die Schilddrüse aufgenommen wird. Das positiv geladene Jod hingegen ist ein sehr potentes Oxidationsmittel, welches an alle möglichen Fette sowie Proteine und Kohlenhydrate bindet. Diese jodierten organischen Verbindungen können allergische Reaktionen auslösen, die dann fälschlicherweise als Jodallergie bezeichnet werden.“
Ebenso warnen Hersteller der Lugol’schen Lösung auf entsprechenden Sicherheitsdatenblättern vor den gesundheitlichen Gefahren bei einer oralen Aufnahme, vor allem bei wiederholter und langfristiger Exposition. „Früher kam die Lugol’sche Lösung wegen des sehr reaktiven elementaren Jods als Desinfektionsmittel zum Einsatz. Heutzutage wird sie dafür nur noch sehr selten verwendet und überwiegend im Labor zur Gram Färbung von Bakterien sowie zum Stärkenachweis genutzt“, ergänzt Gärtner.
Jodsättigungstest nach Brownstein und Abraham
Auch im Rahmen des Jodsättigungstests nach Brownstein und Abraham wird die Lugol'sche Lösung eingesetzt. Mithilfe dieses Tests soll der individuelle Jodstatus abgeschätzt werden können – so die Theorie der beiden US amerikanischen Ärzte Brownstein und Abraham: Dazu müssen die Patienten 50 Milligramm Jod mittels einer Lugol’schen Lösung oder über Tabletten oral aufnehmen. Anschließend sammeln sie über 24 Stunden ihren Urin und lassen darin die Jodkonzentration bestimmen. Wurden über 90 Prozent des zugeführten Jods wieder ausgeschieden, ist der Versorgungsstatus ausreichend. Sind es weniger, besteht ein Mangel.
„Dieser Test wurde wissenschaftlich nie validiert und ist überhaupt nicht aussagekräftig“, sagt Gärtner. „Zum einen gehen die Entwickler von einem Gesamtkörperbestand an Jod von 50 Milligramm aus, der laut Fachliteratur allerdings auf zehn bis 20 Milligramm geschätzt wird. Zum anderen liegt dem Test die Annahme zugrunde, dass überschüssiges Jod renal rasch ausgeschieden wird. Dies trifft allerdings nur für das negativ geladene Jodid zu, wie es zum Beispiel in Lebensmitteln vorkommt. Das positiv geladene Jod ist, wie bereits erwähnt, äußerst reaktiv und bindet an organische Verbindungen, weshalb es der Körper nicht sofort ausscheidet.“
Laut Brownstein und Abraham ist es zudem möglich, bei einem so diagnostizierten Jodmangel die Lugol’sche Lösung direkt weiter zur Jodsupplementation zu nutzen, um das vermeintliche Defizit auszugleichen. Dieses Vorgehen gilt als äußerst umstritten und mitunter gefährlich. „Leider gibt es keinen einfachen, validierten Test zur Bestimmung des individuellen Jodversorgungsstatus der Schilddrüse“, erinnert Gärtner. „Lediglich durch das Verhältnis der freien Schilddrüsenhormone FT4 und FT3 im Serum kann die Jodversorgung einer Einzelperson abgeschätzt werden. Die Analyse der Jodkonzentration im Urin kommt hingegen nur in epidemiologischen Studien zur groben Abschätzung des Versorgungsstatus auf Bevölkerungsebene zum Einsatz, zumal diese aufgrund von Einflussfaktoren wie dem individuellen Hydratationsstatus stark variieren kann. Außerdem erlaubt sie keine direkte Beurteilung der Jodsättigung der Schilddrüse.“
Quelle: Arbeitskreis Jodmangel