Grund zu feiern: 100 Jahre Nitrolingual
„100 Jahre Nitrolingual, das sind in diesem Fall 100 Jahre Galenik. Nitroglycerin als Wirkstoff ist etwa 50 Jahre älter. Mutige Ärzte haben damals Wirkstoffe ausprobiert und geguckt, was sie mit ihrem Körper machen. Das war alles nicht meine Familie. Wir haben es in eine Weichgelatinekapsel zum Zerbeißen verpackt“. Mit diesen Worten eröffnete Marianne Boskamp, Inhaberin des familiengeführten Unternehmens Pohl-Boskamp, den Festakt.
Die erste Zerbeißkapsel mit Nitroglycerin formte 1924 der Apotheker Kurt Boskamp, der Großvater der Firmeninhaberin. Er gab ihr den Markennamen Nitrolingual, eine Kombination der Worte Nitroglycerin und sublingual. Das Medikament steht auf der WHO-Liste der essenziellen Arzneimittel und wird in weltweit in 30 Ländern verkauft.
Ministerpräsident Daniel Günther hob in seinem Grußwort die über die Grenzen von Schleswig-Holstein hinausgehende Bedeutung des Unternehmens hervor: "Es macht mich stolz, dass wir in Schleswig-Holstein eine Firma haben, die weltweit hilft, Lieferengpässe bei einem versorgungsrelevanten Notfall-Präparat zu beseitigen und an dessen Produktion trotz vieler Unwägbarkeiten festhält."
Historie
Entdeckt wurde Nitroglycerin von dem Italiener Ascanio Sobrero in der Mitte des 19. Jahrhunderts, der auf der Suche nach einem leistungsstarken Sprengstoff war. 1847 gewann er die hochexplosive Flüssigkeit „Piroglycerina“; das Nitroglycerin war entdeckt. Sobrero gelang es allerdings nicht, die Sprengkraft seiner Entdeckung zu kontrollieren und damit gefahrlos nutzbar zu machen. Alfred Nobel war es, der mit der Verwendung von Kieselgur die Substanz Propan-1,2,3-triyltrinitrat „phlegmatisierte“, also ihre enorme Reaktionsfähigkeit reduzierte. Er gab ihr den Namen Dynamit.
Schnell wurde auch die medizinische Wirkung von Nitroglycerin deutlich: Schon Sobrero hatte bei seinen Versuchen damit Kopfschmerzen, was auf eine Gefäßerweiterung hindeutet. Der britische Arzt William Murrell veröffentlichte 1879 einen Artikel im Fachtitel The Lancet, in dem er über seine Erfahrungen mit der Substanz bei Angina pectoris („Brustenge“) berichtet. Innerhalb kürzester Zeit wurde Nitroglycerin zum Standard in der Angina pectoris-Therapie.
Wirkmechanismus
Trotz des breiten Einsatzes von Nitroglycerin dauerte es noch 100 Jahre, bis der Wirkmechanismus geklärt war: Erst in den 1970er-Jahren erkannten Forscherinnen und Forscher, dass die Freisetzung von Stickstoffmonoxid bei der gewünschten Gefäßerweiterung die entscheidende Rolle spielt. Geforscht wird auch heute noch: Pubmed listet bis zum Jahr 2024 über 18.000 Publikationen.
Quelle: Festakt zu 100 Jahren Nitroglycerin, Pohl-Boskamp, Hohenlockstedt, Februar 2024