Ich muss nicht – ich will
Fallbeschreibung
Apotheker Schneider plant das heiße Herbst-Geschäft – obwohl es sich um eine bekanntermaßen eher kalte Zeit handelt. Dabei fällt ihm auf, dass, egal wie viele Arbeitsstunden er mit der Planung auch verbringt, bei ihm stets das Gefühl entsteht, nicht fertig zu werden. Alles, was er macht, versucht er so perfekt wie möglich zu machen bzw. er will sich immer wieder selbst übertreffen. Das dauert Stunden und hinterlässt bei ihm eine gewisse Unzufriedenheit mit sich selbst.
Seine Frau, ebenfalls in der Apotheke tätig, kümmert sich um das Team. Sie macht das sehr gut, und trotzdem weist er sie immer wieder darauf hin, dass sie nicht dauernd versuchen soll, allen alles recht zu machen. Das ist nämlich ihre Vorgehensweise. Sie meistert oft einen Spagat zwischen der Anpassung an die Vorgaben des Apothekers und der Wohlfühlatmosphäre, mit der sie die Mitarbeiter motivieren will.
Alles Typsache
Die dienstälteste PTA Frau Müller zeichnet (für die anderen) eine schier ungeheure Geschwindigkeit in der Arbeit aus. Bis ihre Kollegen die Aufgabe erfasst haben, sich darauf einstellen und versuchen anzufangen, ist sie meist bereits fertig und jammert, alles alleine machen zu müssen, da die anderen so langsam sind. Die Beschreibungen der Personen kann man um mehrere Typen erweitern. Herr Schneider versucht, sein Team optimal aufeinander auszurichten und die Verhaltensweisen der Teamkollegen gegenseitig möglichst anzupassen.
Ursachenforschung
Warum verhalten sich Menschen so unterschiedlich in bestimmten Situationen? Die häufigste Antwort auf diese Frage sucht die Gründe in der Kindheit. Natürlich kann und soll eine schwere und belastende bzw. eine schöne und verwöhnende Kindheit nicht alles erklären. Erwachsene Menschen sind, wenn sie sich bewusst mit ihrem Verhalten und schematischen Reaktionen auseinandersetzen und sich selbst erforschen, durchaus in der Lage, das eigene Benehmen, ihre Einstellungen, ihre Entscheidungen und ihr Handeln zu steuern.
Elterliche Prinzipien werden übernommen
Trotzdem sind bereits in den ersten Lebensjahren elterliche Aussagen und Vorbildfunktionen entscheidend, wie Menschen durch bestimmte Ansichten angetrieben werden. Für Kinder sind elterliche Prinzipien, Regeln, Gebote und Verbote absolut und werden teilweise unbewusst übernommen: „Lass dir nur Zeit“, „Nur wer schwer arbeitet, hat Erfolg“, „Jeder muss seine Probleme selbst lösen“ sind Beispiele für solche Antreiber.
Antreiber
Die Botschaften kann man anhand von Fragen an sich selbst erkennen, z.B.:
- Welche Erwartungen wurden von den Eltern geäußert?
„Werde nie wie deine Tante Sophie!“. - Welche Lebensregeln gehörten zur Familieneinstellung?
„Ohne Fleiß kein Preis!“. - Welche direkten Verhaltensanweisungen haben Sie sich zu Herzen genommen?
„Sei nicht so großzügig. Man muss immer sparen können.“ - Welche Bezeichnungen haben Sie für sich akzeptiert?
„Du bist und bleibst unordentlich!“. - Welchen Prophezeiungen haben Sie geglaubt?
„Du wirst immer dick bleiben. Es liegt in der Familie.“ - Welche Wünsche der Eltern haben Sie erfüllt?
„Ich wollte immer studieren, Du hast die Möglichkeit dazu.“
Den Begriff Antreiber haben in den 1970er-Jahren die beiden Psychologen Taibi Kahler und Hedges Capers definiert und beschrieben. Danach wurden fünf grundlegende elterliche Forderungen definiert (siehe Tabelle).
Die fünf grundlegenden elterlichen Forderungen
Antreiber |
Typische Verhaltensweisen |
Stärken |
Gefahren |
Verhaltenstipp / Erlauber |
Sei immer perfekt. Mach keine Fehler. |
Erkennbar auch durch Wortwahl: natürlich, genau, klar, gewiss, unter Umständen neigt dazu, mehr zu sagen, als nötig wäre, um verstanden zu werden rechtfertigt die Meinung |
gewissenhaft sehr zuverlässig meist Experte auf seinem Gebiet niedrige Fehlerquote besondere Gründlichkeit in allem, was getan wird |
nie fertig mit der Aufgabe Angst, Fehler zu machen selten mit eigener Leistung und der Leistung der Mitmenschen zufrieden überfordert sich selbst und andere durch Pedanterie oft unbeliebt Fehlerlosigkeit als Idealzustand |
„Ich kann Fehler machen abwägen, wann Perfektion angebracht und wann nicht Verhalten gegenüber anderen/Mitarbeiter: „Ich merke, Sie haben |
Mach immer schnell. Beeil dich.Schau immer vorwärts. |
Vermittelt, unter Druck zu stehen Häufige Formulierungen: Wir müssen uns beeilen.Ich mache nur schnell…Mach schnell, rasch, eben mal, los.aus Zeitgründen |
zeigt schnelle Auffassungsgabe schnelle Reaktion und Entscheidung oft positive Einstellung, kein Nachgrübeln |
Hektiker, der schnell zwischendurch zusätzliche Aufgaben erledigt
erledigt mehrere Sachen gleichzeitig, dadurch oft unkonzentriert, überfordert
fällt anderen ins Wort und gibt das Gefühl, nicht richtig zuzuhören |
„Ich nehme mir für diese Aufgaben besser strukturieren Zeitplanung überdenken priorisieren gründlicher werden in Aufgabenerfüllung, |
Streng dich immer an. So leicht ist das Leben nicht Man muss alles geben |
sucht Unterstützung anderer Häufige Formulierungen: Es ist mühsam Ich kann nicht Ich weiß nicht Ich werde es versuchenIch verstehe nicht |
Jede Aufgabe wird sehr ernst genommen und ausgeführt. |
Jeder (auch kleiner) Auftrag wird zu einer „Jahrhundertaufgabe“. Meist wird die umständlichste und schwierigste Lösung eines Problems gewählt. keine Improvisation möglich Ängste: andere können besser sein, daher sehr konkurrenzbedacht / vergleicht sich gerne mit anderen |
Bedenken: Am Ende zählt nur das Ergebnis Wichtig ist, eigene Bedürfnisse und Grenzen zu erkennen. sich erlauben, Sachen gelassen zu sehen „Auch mir kann etwas leicht gelingen.“ „Auch ich kann Glück haben.“ |
Mach es immer allen recht. Sei gefällig, immer liebenswürdig. |
oft zustimmend, kopfnickend, bejahend häufige Formulierungen: Wie Sie wissen… Sie wissen ja… Können Sie vielleicht?Nicht wahr?Verstehen Sie? |
fühlt sich für andere verantwortlich will, dass andere sich wohl fühlen tut, was andere von ihm erwarten kommt den anderen entgegen Harmonie als wichtiges Prinzip |
Andere sind wichtiger, als man selbst will geschätzt und beliebt sein verliert sich selbst und erkennt eigene Bedürfnisse nicht |
„Ich darf meine Meinung äußern und auch mal NEIN sagen.“ sich um eigene Bedürfnisse kümmern und diese konkret äußern sich selbst respektieren |
Sei in jeder Lage stark. Beiß die Zähne zusammen. |
Pokergesicht kühl und distanziert häufige Formulierungen: Es ist nicht mein Problem / meine Sorge. |
bewahrt in jeder Situation Haltung versucht, als Vorbild zu fungieren eisern und konsequent in der Zielerfüllung |
nimmt keine Hilfe an verlässt sich nur auf sich selbst zeigt keine Schwäche und keine Gefühle |
„Ich darf zu meinen Gefühlen stehen und diese auch zeigen.“ Schwäche zeigen Andere an sich ranlassen und deren Unterstützung erbitten |
Umgang im Alltag
Im Alltag sind die Antreiber nicht erfüllbar. Stets und unter allen Umständen liebenswert zu sein, ist unsinnig. Man kann nicht allen sozialen Schwierigkeiten ausweichen. Eine eigene, gut vertretene Meinung wird höher geschätzt, als ständiges Ja-Sagen um des Friedens willen. Auch eine krampfhafte Bemühung um Perfektion führt nicht jedes Mal zum Ziel. Beim ständigen Beeilen kann gerade deshalb einiges missglücken usw.
Sich durch Antreiber steuern zu lassen, nachdem man sie erkannt hat, erzeugt ein destruktives Grundgefühl und schränkt die Möglichkeiten des Handelns ein.
Auswirkungen auf die Teamgestaltung
Die Kenntnis dieser Antreiber bietet gerade im beruflichen Leben die Möglichkeit, Teams optimal zusammenzustellen und die Synergien der Charaktere zu nutzen. Gründlichkeit und Genauigkeit sind sehr wichtige Eigenschaften in vielen beruflichen und privaten Situationen. Dynamik und Tempo des Antreibers nach dem Motto „mach schnell“ sind die Stärke der Außendienstmitarbeiter bzw. besonders bei Stresssituationen im Verkauf wichtig.
Fleiß und Pflichtbewusstsein des „Streng-dich-an“-Antreibers sind genauso wie Loyalität, Rücksichtnahme und Freundlichkeit des „Mach-es-allen-recht“-Antreibers sehr beliebt beim Arbeitgeber. Nur wenn die Antreiber ohne situativen Bezug übertrieben und bedingungslos befolgt werden, sind sie einengend und störend.