Interview: Cannabis im Straßenverkehr

Der Bundesrat hat am 05. Juli einen neuen THC-Grenzwert im Straßenverkehr gebilligt. Wie dieser einzuordnen ist, erklärt Apotheker und Toxikologe Professor Stefan W. Tönnes gegenüber das PTA MAGAZIN.

von Stefanie Fastnacht
11.07.2024

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© Foto: Universitätsmedizin Frankfurt
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„Ob und wann Cannabiskonsumierende sicher Auto fahren können und wie das am besten kontrolliert wird, ist gar nicht so einfach zu beurteilen“, sagt Professor Stefan W. Tönnes im Interview mit DAS PTA MAGAZIN-Redakteurin Stefanie Fastnacht. „Denn“, so der Leiter der Abteilung Forensische Toxikologie am Institut für Rechtsmedizin an der Goethe Universität Frankfurt am Main, „die Konzentration von Tetrahydrocannabinol (THC) im Blut hängt neben dem Konsummuster auch von der Menge und dem Zeitpunkt des Konsums ab.“

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Herr Prof. Tönnes, wie schnell wirkt THC nach dem Rauchen beziehungsweise Verdampfen und dem Essen?

S.W.T. Alles, was Sie über die Lunge aufnehmen, wirkt sehr schnell. Die maximale THC-Konzentration erreicht man schon direkt, nachdem aufgehört wurde zu rauchen. Das heißt aber nicht, dass dann die Wirkungen auch schon maximal sind. Die treten tatsächlich mit einem kleinen Zeitverzug ein, so etwa eine Viertelstunde nach dem Rauchen.

Wer tief inhaliert, nimmt höhere Dosen auf.

Die aufgenommene Dosis THC und die Wirkung lassen sich übrigens über die Intensität des Rauchens, also die Stärke der Inhalation, steuern. Wer tief inhaliert, nimmt höhere Dosen auf als bei einer flachen Inhalation und erzielt so auch eine stärkere Wirkung.

Und wie verhält es sich mit Cookies oder Kuchen, in den Cannabis eingebacken ist?

S.W.T. Rauchen ist pharmazeutisch gesehen die Einnahmeform, bei der sich Rausch und Nebenwirkungen am ehesten steuern lassen. Die Bioverfügbarkeit von oral aufgenommenem Cannabis ist sehr gering und stark schwankend, sodass kaum vorhersehbar ist, welche Dosis tatsächlich wirkt. Daher ist auch durch Space-Cookies und Space-Cakes die Gefahr von Überdosierungen größer als beim Rauchen. Denn die Wirkung tritt bei oraler Einnahme verzögert ein, bestimmt erst nach anderthalb, vielleicht auch zwei Stunden und mehr. Und das birgt dann natürlich die Gefahr von Überdosierungen.

Wie wird THC im Körper abgebaut und ausgeschieden?

S.W.T. Das ist recht komplex. Für die Einschätzung der Verkehrsfähigkeit wichtig zu wissen ist, dass THC sich vor allem bei regelmäßiger Einnahme massiv im Fett- und Muskelgewebe, im tiefen Kompartiment, einlagert. Und daraus wird es, auch in Phasen, in denen nicht konsumiert wird, Tage und Wochen später noch ins Blut abgegeben. Und zwar teilweise in erhöhten, messbaren Konzentrationen.

Neuer THC-Grenzwert im Straßenverkehr

Seit Anfang Juli ist für die Feststellung einer möglicherweise noch anhaltenden Wirkung von Cannabis im Straßenverkehrsgesetz ein Wert von 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter (ng/ml) Blutserum festgeschrieben (StVG, § 24a 0,5 Promille-Grenze). Wer diesen Wert beim Führen eines Fahrzeugs überschreitet, handelt ordnungswidrig und muss mit einem Bußgeld von bis zu 3.000 Euro rechnen.

Ausgenommen davon sind Fahranfänger und Menschen unter 21 Jahre. Hier gilt wie beim Alkohol die Null-Promillegrenze. Das heißt, sie dürfen überhaupt kein Cannabis konsumieren, wenn sie ein Fahrzeug führen. Auch der Mischkonsum von Alkohol und Cannabis im Straßenverkehr ist absolut verboten.

Für Personen, die THC in Form von Medizinalcannabis verordnet bekommen, gilt die neue Grenzwertregel dagegen nicht.

Was heißt das jetzt für die Fahrtüchtigkeit?

S.W.T. THC, das aus dem Muskel- und Fettgewebe wieder ins Blut freigesetzt wird, zeigt im Gehirn keine Wirkung mehr. Nur bei akutem Konsum, in der Anfangsphase, ist im Gehirn die Konzentration so hoch, dass es wirkt. Und das ist dann auch die Phase, in der es zu Auffälligkeiten im Straßenverkehr kommen kann. Weshalb man nach dem Konsum eine Wartezeit von rund zwölf Stunden einhalten sollte, bevor man sich ins Auto setzt.

Allerdings ist nach diesen zwölf Stunden, insbesondere bei regelmäßigem Konsum, dann immer noch THC im Blut nachweisbar, obwohl eigentlich keine Wirkung mehr vorhanden ist. Und das macht es schwierig, einen Grenzwert zu ziehen, der sowohl Dauer- als auch Gelegenheitskonsumenten gerecht wird.

Wie sinnvoll ist dann aus Ihrer Sicht der neue THC-Grenzwert von 3,5 ng/ml Blutserum?

S.W.T. Dieser Grenzwert dient dazu, Personen zu identifizieren, die so akut konsumiert haben, dass sie ein Verkehrsrisiko darstellen können. Der alte Grenzwert von 1 ng/ml Blutserum war sehr niedrig und hat vor allem gezeigt, ob Cannabis konsumiert wurde oder nicht. Er hatte nur ganz wenig damit zu tun, ob die Konsumenten und Konsumentinnen durch die THC-Wirkung beeinträchtigt waren und damit ein Verkehrsrisiko waren.

Nach der Teillegalisierung von Cannabis ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Menschen, die häufiger als einmal pro Woche konsumieren, aufgrund der Abbauwege von THC über dem alten Grenzwert von 1 ng/ml Blutserum liegen, auch wenn sie gerade nicht akut konsumiert haben. Mit der Höhersetzung auf 3,5 ng/ml will man verhindern, dass diese Personen ungerechtfertigt sanktioniert werden.

Und wann kommen Speicheltests ins Spiel?

S.W.T. Speichel ist unabhängig vom Blut und auch vom Muskel- und Fettgewebe. Speicheltests spiegeln hauptsächlich den akuten Cannabiskonsum wider und können der Polizei bei Verkehrskontrollen helfen, akute Konsumenten zu erkennen. Absolut sichere Ergebnisse erzielt man mit Speicheltests aber nicht.

Studien zeigen, dass insbesondere Dauerkonsumenten durchaus nach 24 Stunden im Speichel noch positiv sein können. Und dann muss per Bluttest kontrolliert werden, ob der Grenzwert überschritten wurde. Umgekehrt können Speicheltests positiv ausfallen, wenn man passiv konsumiert hat. Eine größere Cannabiswolke kann theoretisch auch im Mund positive Werte und einen positiven Speicheltest erzeugen. In diesem Fall wären im Blut dann aber nur ganz geringe Mengen THC nachweisbar. Es gibt also keine absoluten Sicherheiten und keine absoluten Tests.

Was ist aus Ihrer Sicht bei Medizinalcannabis in Sachen Verkehrsfähigkeit zu beachten?

S.W.T. Diese Medikation wird von den neuen Grenzwerten nicht tangiert, es gilt das Medikamentenprivileg. Den Patientinnen und Patienten sollte allerdings klar gemacht werden, dass es sich bei Medizinalcannabis um eine rauschwirksame und zentralnervös wirksame Droge handelt, die schnell anflutet und damit eine akute Wirkung hat, die über das hinausgeht, was man bei typischen Dauermedikamenten im Sinne von Tabletten hat.

Medizinalcannabis sollte nicht kurz vorm Autofahren angewendet werden.

Medizinalcannabis wird ja mehrmals täglich angewendet. Aufgrund der Rauschwirkungen sollten die Patientinnen und Patienten Medizinalcannabis also nicht kurz vor dem Autofahren anwenden. Auch sollten sie immer ein Dokument dabeihaben, dass Konsum, Indikation und Dosierung dokumentiert. Wer sich nicht an die Vorgaben des Arztes hält, noch unter Cannabiswirkung steht und im Straßenverkehr auffällig wird oder einen Unfall verursacht, dem kann die falsche Anwendung vor Gericht als Missbrauch ausgelegt werden. Und das wird dann sanktioniert. In solchen Fällen gilt auch das Medikamentenprivileg nicht mehr.

Wie wirkt sich akuter Cannabiskonsum im Vergleich zu akutem Alkoholkonsum im Straßenverkehr aus?

S.W.T.  Alkohol ist als Rauschdroge nicht mit Cannabis zu vergleichen. Sein Hauptmerkmal ist eine enthemmende Wirkung, Losgelöstheit von der Realität und Selbstüberschätzung. Das bedeutet zum Beispiel Geschwindigkeitsanstieg, riskante Abstände und Überholmanöver oder eine falsche Einschätzung von Verkehr und Fahrsituationen. Das ist bei Cannabis anders. Hier sind vor allem Aufmerksamkeits- und Reaktionsstörungen und Ablenkbarkeit das Problem, die dann zu Auffälligkeiten beim Fahren führen.

Vielen Dank für die Zeit, die Sie sich für unser Interview genommen haben.

Reisen mit Cannabis

Formulare und weitere Informationen zum Reisen mit Cannabis hat das BfArM im Internet zusammengestellt:

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