Kunden nicht in Schubladen stecken
Fallbeschreibung
Eine gut aussehende junge Frau kauft aus subjektiver Überzeugung hinsichtlich der besseren Qualität bestimmter Firmenprodukte ihre Kosmetik und Pflegemittel nicht in der Drogerie, sondern immer in der Apotheke. Aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit im Außendienst muss sie stets sehr elegant und teuer angezogen sein. Am Wochenende jedoch trägt sie einfache Sportklamotten und schminkt sich nicht. Sie ist viel unterwegs in verschiedenen Städten und je nach Bedarf kauft sie dort ein, wo sie sich gerade befindet.
Ihr ist aufgefallen, dass sie an den Tagen, an denen sie schick aussieht (Kleidung, Make-up, Schmuck), besonders aufmerksam bedient wird und die ihr empfohlenen Produkte deutlich teurer sind als an den Tagen, an denen sie in der Apotheke in einfacher Kleidung und ungeschminkt auftaucht. Aus dieser Überlegung hat sie weiter beobachtet und bei sich festgestellt, dass sie beim Kauf dieser Produkte gerne von Frauen beraten wird und sie zugleich sehr viel Wert auf das Aussehen der sie bedienenden Person legt; z.B. vermutet sie bei ungestylten Apothekerinnen bzw. PTA, weniger Kompetenz als bei adrett angezogenen und geschminkten Damen.
Hintergrundwissen
Das Verhalten gegenüber Kunden wird oft von ihren bestimmten Merkmalen gesteuert. Schon in den ersten Minuten im Kontakt mit dem Gegenüber entstehen gedankliche Verknüpfungen, die auf unseren Erfahrungen und Meinungen basieren.
Der Primacy-Effekt
Die Psychologie nennt dies den Primacy-Effekt – ein Phänomen, das besagt, dass die Informationen, die uns als erstes präsentiert wurden, die Beurteilung des Gegenübers sehr stark beeinflussen. So wird z.B. die oben beschriebene Frau in ihrem beruflichen Outfit als gut situierte und interessante Kundin empfunden, dagegen im Wochenendlook eher als weniger großzügig. Es geht sogar weiter: Mit diesem Aussehen werden oft auch Erfolg und Intelligenz assoziiert.
Kennt man diesen Beurteilungsvorgang, kann man mit bestimmten Verhaltensweisen der Kunden, Kollegen, Mitarbeiter besser umgehen bzw. sie steuern. Dies gelingt, indem man bewusst aufmerksam vorgeht.
Stichwort Aufmerksamkeit
Generell äußert sich Aufmerksamkeit auf folgende Weise:
Zuerst registrieren wir die physischen Merkmale (physische Aufmerksamkeit): Wie sieht unsere Umgebung physisch/körperlich aus? Wie sehen unsere Kunden, also Menschen, die die Apotheke betreten, aus (z. B.: Geschlecht, Alter, Energie)?
Danach schaltet sich unsere intellektuelle Aufmerksamkeit ein – diese ist dafür verantwortlich, in welche Schublade wir das Gesehene stecken (z. B.: Ältere Menschen kommen in die Apotheke nur wegen der Medikamente).
Wir erkennen an den Menschen bestimmte Symbole, und abhängig von unserer Wertung, dekodieren wir sie mit unserer symbolischen Aufmerksamkeit (z. B.: Ungeschminkte Frauen sind nur an Naturkosmetik interessiert und brauchen nur Biomedizin).
Die von uns registrierten Symbole wecken in uns bestimmte Gefühle und führen zu bestimmten, uns geläufigen Reaktionen und Gedanken. In der Konsequenz verhalten wir uns entsprechend unserer emotionalen Aufmerksamkeit (z. B. „so eine sympathische Person“, „ein unmöglicher Mensch“).
Das, was in dem Moment in uns vorgeht, drücken wir unbewusst durch Mimik, Gestik oder die Sprache aus und wundern uns, wenn das Gegenüber manchmal nicht besonders erfreut reagiert. Solche Situationen können durch gesteigerte Aufmerksamkeit im sozialen Miteinander besser gestaltet werden.
Vier Beispiele: So reagieren Sie auf unterschiedliche Kunden
Die folgende Zusammenstellung zeigt ein paar Beispiele, die im Apothekenalltag hilfreich sein können. Sie zeigen, welche Reaktionen auf ein bestimmtes Verhalten bzw. Aussehen des Kunden im Idealfall möglich sind.
physische Merkmale der Kunden |
Aussage der Kunden |
Ihre eventuelle symbolische Zuordnung |
empfohlene Reaktion |
Frau (30) - auffallend modern gekleidet |
Ich kenne mich gut mit Kosmetik-produkten aus, mir kann keine was vormachen. |
ahnungslose Zicke |
Bleiben Sie ruhig und gelassen:Es freut mich, dass Sie sich von mir beraten lassen. |
Frau (50) – normal gekleidet und frisiert |
Hoffentlich werden mir die Medikamente, die ich von Ihnen bekomme, nicht mehr schaden als nutzen. |
die Ängstliche |
Vertrauen Sie Ihrem Arzt. Ich bin sicher, er hat Ihnen die optimalen Medikamente verordnet. |
Mann (40) – Anzug, Krawatte, teure Uhr |
Ich habe keine Zeit. Können Sie das nicht schneller erledigen? Warum sind Sie so langsam? |
Karrierehengst und Wichtigtuer |
Bitte gedulden Sie sich einen Moment, dann bin ich voll und ganz für Sie da. |
Mann (60) – wirkt sehr krank, ungepflegt |
Wie lange soll ich noch warten? Können Sie mich schnell vor den anderen bedienen? |
Krank oder ein Penner? |
Fühlen Sie sich nicht wohl? Bitte setzen Sie sich. Ich bin gleich für Sie da. |
Fazit
Sobald Sie einem Kunden gegenüberstehen, ereignet sich Folgendes: Sie reagieren sowohl auf das Aussehen, als auch auf den Inhalt und die Form der Aussagen.
Wenn Sie sich ihrer Emotionen bewusst sind, können Sie durch gezielte Aufmerksamkeit die Situation besser lösen: Statt auf mehr oder weniger subtile Vorwürfe oder Forderungen einzusteigen, können Sie die Führung der Kommunikation wieder übernehmen und so reagieren, dass Ihr Gegenüber zufrieden Ihre Apotheke verlässt, sich als Mensch gut behandelt fühlt und gerne wiederkommen wird.
Mit emotionaler Kompetenz punkten
Aufmerksamkeit für Ihre eigenen Gefühle und eine Sensibilität für Ihre Kunden oder Mitarbeiter helfen Ihnen, in Situationen souverän zu reagieren. Mit einem Begrüßungslächeln, Entgegenkommen und Freundlichkeit vom ersten Moment an können Sie bereits mit dem ersten Eindruck bei dem Kunden positiv punkten.
Mit dem Eingehen auf individuelle Bedürfnisse und Eigenschaften, die von Persönlichkeit zu Persönlichkeit unterschiedlich sind, kommen Sie Ihrem Gegenüber entgegen und gewinnen sein Vertrauen. Und das ist leichter, als Sie vielleicht annehmen. Überzeugen Sie Ihre Kunden durch emotionale Kompetenz und Wertschätzung.
Die Autorin
Nina Konopinski-Klein ist Coach und Trainerin für Ärzte, Apotheker und weitere Mitarbeiter im Gesundheitswesen sowie Buchautorin (CCT-Coaching Consulting Training).