Mango, Musik, Medikamente: Was gegen Reisekrankheit hilft

Mango vor der Seefahrt: Darauf setzten die Bewohner der Samoa-Inseln früher. Heute ist, abgesehen von Medikamenten, die trainierte Gewöhnung am effektivsten, um dauerhaft kinetosebedingte Beschwerden zu mindern. Wirklich alltagstauglich sind ein paar andere Methoden.

von Dr. Thomas Meißner
05.07.2024

Mädchen auf einem Schiff hält sich die Hand vor den Mund
© Foto: Claireliot / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell)
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Von den Bewohnern der Samoa-Inseln im südwestlichen Pazifik ist bekannt, dass sie früher ein bis zwei Mangos zu sich genommen haben, bevor sie sich mit ihren Booten aufs Meer begeben haben. Mangos enthalten viel Vitamin C, dem eine prophylaktische Wirkung zur Vermeidung der Seekrankheit zugeschrieben wird.

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Vor der Reise nicht zu fett essen

In einer Placebo-kontrollierten Studie konnte mit 500 Milligramm Vitamin C die Häufigkeit der Seekrankheit im Vergleich zu Placebo immerhin um die Hälfte reduziert werden (34 vs. 65 %), berichten Ghazal Rahimzadeh von der Deakin University in Geelong, Australien, und ihre Kollegen in einem Review zur Therapie bei Reisekrankheit.

In Studien bestätigt wurde zudem die allgemeine Erfahrung, dass schwere und vor allem fettreiche Mahlzeiten vor Reisen möglichst vermieden werden sollten.

Pfefferminz- und Ingwerkaugummi

Ein weiterer Tipp ist die Einnahme von etwa 1,5 Gramm Ingwer, der offenbar eine antihistaminerge Wirkung und günstige Effekte auf die Magenmotilität hat. Verkapseltes Ingwerpulver habe keinen Effekt, so das Team um Rahimzadeh. Eine deutsche Arbeitsgruppe hat festgestellt, dass das Kauen von Pfefferminz- oder Ingwerkaugummi hilfreich ist, wenn man sich per Virtual Reality auf einen Hubschrauberflug begeben möchte. Dabei sei wichtig, dass der Geschmack als angenehm empfunden wird.

Chinesen setzen auf Tianxiang-Kapseln

In China werden traditionell Tianxiang-Kapseln angewendet, eine Kombination von Extrakten aus Ingwer, Minze, Zimt und Zitrusfrüchten. Aus Tierversuchen geht hervor, dass das Phytotherapeutikum sich in den Vestibularkernen hemmend auf die Histamin- und Acetylcholin-Konzentrationen auswirkt. Auch dem Flavonoid Hesperidin werden antihistaminerge und damit günstige prophylaktische Wirkungen zugeschrieben. Insgesamt schätzen Rahimzadeh und ihre Kollegen die Evidenz für pflanzliche Arzneien zur Prophylaxe der Reise- und Seekrankheit aber als ausbaufähig ein.

 

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Arzneimittel gegen Kinetosen
Medikamente, die gegen die Reisekrankheit eingesetzt werden können, sind Antimuskarinika, H1-Antihistaminika und Sympathomimetika. Manche Antiemetika, wie sie gegen Nebenwirkungen einer Chemotherapie eingesetzt werden, wirken bei Kinetosen dagegen nicht, darunter Metoclopramid oder Ondansetron.

„Das liegt wahrscheinlich daran, weil ihre Wirkorte an vagalen afferenten Rezeptoren oder der Chemorezeptor-Triggerzone des Hirnstamms liegen, während Arzneien gegen Reisekrankheit an der vestibulären Hirnstamm-Zerebellar-Zone wirken“, so Professor Behrang Kesharvaz aus Toronto und Professor John Golding aus London, Vereinigtes Königreich, in einer Veröffentlichung.

Mit Antihistaminika der ersten Generation lässt sich Symptomen der Reisekrankheit bei Erwachsenen vorbeugen, wie ein Cochrane Review bestätigt hat. Zur Akuttherapie wird Dimenhydrinat oft mit Cinnarizin kombiniert. Nachteilig sind die Begleitwirkungen Müdigkeit, Koordinations- und Konzentrationsstörung und verlangsamte Reaktionsfähigkeit. Daten zur Anwendung von Antihistaminika bei Kindern gibt es kaum. Verfügbare Antihistaminika der zweiten Generation scheinen nicht effektiv zu sein, wobei dazu kaum Studien existieren.

Das Anticholinergikum Scopolamin wird als transdermales System angewendet und vermittelt seine Wirkungen über die zentralen M5-Rezeptoren. Ein selektiver Antagonist am M5-Rezeptor wäre vermutlich verträglicher, weil dann die über die Rezeptoren M1–M4 vermittelten Nebenwirkungen wie verschwommenes Sehen, Müdigkeit oder Schwindel ausbleiben würden, meinen Kesharvaz und Golding. Und schließlich: Sympathomimetika wie Dextroamphetamin sind keine Erstlinientherapeutika, könnten jedoch den Effekt anderer Medikamente verstärken und deren unerwünschte Wirkungen mindern, so Rahimzadeh und Kollegen.

In der klinischen Entwicklung befindet sich der Neurokinin-1 (NK-1)-Antagonist Tradipitant. Mit der Substanz konnte in einer Placebo-kontrollierten Studie das Erbrechen bei Schiffspassagieren bei rauer See erfolgreich reduziert werden, Kinetose-Symptome waren signifikant reduziert.

Gewöhnung hilft wohl am besten
„Die bislang wirksamste nicht-pharmakologische Maßnahme gegen Reise- und Simulatorkrankheit (VIMS) ist die Gewöhnung“, erklären Kesharvaz und Golding: Die wiederholte Exposition gegenüber derselben provozierenden Bewegung führe mit der Zeit zu einer verringerten Symptomatik. „Eine vollständige Gewöhnung kann jedoch zeitaufwändig und unangenehm sein.“

Neuere Methoden zur Verringerung der Kinetose-Symptome sind die galvanische vestibuläre Stimulation in Kombination mit Geräuschen oder taktiler Stimulation wie Sitzvibrationen. Astronauten nutzen Autogenic-Feedback Training, um ihre physiologischen Reaktionen auf Langzeitmissionen unter Kontrolle zu bringen. Es handelt sich um eine Kombination aus Wahrnehmungstraining, progressiver Relaxation, autogenem Training und Biofeedbacktechniken. Vom praktischen Alltag ist das weit entfernt.

Einfach umzusetzen ist hingegen die Empfehlung, frische Luft zu atmen – in bestimmten Situationen können Ventilatoren hilfreich sein. Auch mit Musik wird experimentiert, die sich günstig auf die Parasympathikusaktivität auswirkt. Musik eignet sich daher gut als komplementäre Maßnahme. Wichtig ist, dass sie individuell als angenehm empfunden wird – eine allgemeine Empfehlung für bestimmte Musikrichtungen gibt es nicht. Auch hier gilt: Wirksam ist, was gefällt.

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