Nervengift gegen Muskelschwund

(kib) Tetanustoxin, ein hochpotentes Nervengift, wirkt gegen Muskelabbau. Das konnten Wissenschaftler aus Göttingen und Berlin nun erstmals zeigen.

11.11.2021

Staffordshire Terrier (Mischling)
© Foto: SikorskiFotografie / Getty Images / iStock
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Das hochgiftige Tetanustoxin, bekannt als Auslöser von Wundstarrkrampf, steht an der Universitätsmedizin Göttingen seit etwa zehn Jahren im Mittelpunkt einer neuartigen Therapie gegen Krankheiten, bei denen es durch eine Störung im zentralen Nervensystem zu dauerhaften Lähmungen und Muskelschwund kommen kann. Hierzu zählen zum Beispiel Schlaganfall, Multiple Sklerose oder Rückenmarksverletzungen.

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Bisher gibt es für eine Behandlung kein wirksames Medikament. Der Schwerpunkt der Therapie liegt daher auf Physio- und Ergotherapie. Das will das Team um den Neurologen Prof. Dr. David Liebetanz von der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Göttingen ändern. Auf dem Weg zu einem Medikament ist den Wissenschaftlern nun nach eigenen Angaben ein wichtiger Meilenstein in Richtung klinischer Anwendung gelungen.

Gemeinsam mit den Berliner Kooperationspartnern von der Klinik Medical Park Berlin Humboldtmühle und der Neurologischen Überweisungspraxis für Haustiere, Berlin, führten Liebetanz und sein Team eine plazebo-kontrollierte und doppelt-verblindete Studie an Hunden durch, die auf Grund eines Bandscheibenvorfalls an einer Querschnittlähmung litten.

Die Ergebnisse zeigen, dass Tetanustoxin den Muskelschwund bei Querschnittlähmung deutlich verbessern kann. Für die Studie waren 25 querschnittgelähmte Hunde über eine Annonce in einem Journal für Hundebesitzer gesucht und zur Teilnahme nach Göttingen eingeladen worden. Neben umfangreichen klinischen Tests wurde bei den Hundepatienten eine sonographische Messung der Muskeldicke durchgeführt.

„Vier Wochen nach der Injektion von Tetanustoxin in die vom Muskelschwund betroffene Muskulatur ergab die erneute Messung eine deutliche Zunahme der Muskeldicke im Vergleich zu den mit Plazebo injizierten Hunden", sagt berichten die Wissenschaftler.

„Es ist das erste Mal überhaupt, dass mit einer medikamentösen Behandlung ein Muskelaufbau bei gelähmten Muskeln erzielt werden konnte", sagt Liebetanz. „Obwohl Tetanustoxin eine hohe Ähnlichkeit mit Botulinumtoxin aufweist, wirkt es genau gegenteilig. Während Botulinumtoxin zu Lähmung und Muskelatrophie führt, bewirkt Tetanustoxin eine Zunahme des Muskeltonus und der Muskelmasse", so der Wissenschaftler.

Heute ist bereits bekannt, dass Tetanustoxin, wenn es in den Muskel injizieren wird, hemmende Nervenzellen auf Rückenmarksebene ausschaltet. Dadurch werden motorischen Nervenzellen wieder aktiviert, die die betroffene Muskulatur direkt ansteuern. Auf Grundlage dieser Wirkungsweise lässt sich die Zunahme der Muskelmasse von zuvor gelähmter Muskulatur erzielen, heißt es in der Mitteilung.

Bisher ist Tetanustoxin noch nie zur Behandlung beim Menschen eingesetzt worden. Vor diesem Schritt wird das Forscherteam aus Göttingen und Berlin noch einige Untersuchungen durchführen. Diese betreffen vorwiegend die Sicherheit und die Dosierung des Nervengifts beim Menschen.

Quelle: Universitätsmedizin Göttingen

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