Nicht an Lager
Antibiotika, Antihypertonika, Anästhetika, Notfallmedikamente oder Impfstoffe sind oft monatelang nicht verfügbar. Auch wenn nicht jedes fehlende Medikament eine medizinische Notfallsituation hervorruft, gefährdet es eine optimale Behandlung sowie die Compliance und damit die Patientensicherheit.
Vor allem bei Rabattarzneimitteln komme es zu Lieferengpässen, sagte Fritz Becker bei einer Podiumsdiskussion auf der derzeit stattfindenden Expopharm in München. Bislang sei es den Apotheken aber gelungen, einen Versorgungsengpass zu verhindern lobte der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes (DAV)den Einsatz seiner Kollegen.
Becker hob das enorme Einsparpotenzial durch Rabattverträge hervor: In diesem Jahr würden rund 3,6 Milliarden Euro und 2017 voraussichtlich vier Milliarden Euro eingespart. Rabattverträge würden aber nur funktionieren, wenn die Arzneimittel auch lieferfähig seien, machte er deutlich. Fehlten Medikamente, belaste dies die Arbeit der Apotheke, denn es koste Zeit und Überzeugungsarbeit und lenke von der eigentlichen Aufgabe ab – der Beratung zu Arzneimitteln.
Der DAV-Vorsitzende plädierte dafür, bei Rabattverträgen konsequent ein Mehrpartner-Modell, mindestens aber ein Zwei-Partner-Modell, anzuwenden, sodass immer mehrere Anbietern den Zuschlag erhalten würden. Das sei aber noch längst nicht immer der Fall, monierte er.
„Wir sehen, dass Lieferunfähigkeiten im Markt nur eine sehr geringe Rolle spielen. Nur 3,8 Prozent aller Packungen bei der Techniker Krankenkasse (TK) müssen aus diesen Gründen ausgetauscht werden", berichtete Tim Steimle, Fachbereichsleiter Arzneimittel bei der TK. Seine Krankenkasse wolle den Apotheken zudem den Alltag vereinfachen, indem sie ihnen Informationen über Lieferunfähigkeiten ihrer Rabattvertragspartner in die Apothekensoftware einspielen. Die Apotheken müssten für diese Arzneimittel keine Nachweise über die Lieferunfähigkeit mehr erbringen und wären dennoch vor einer Retaxierung sicher.
Wolfgang Späth, Vorstand von Hexal, sieht den Kostendruck als möglichen Faktor für die Lieferproblematik. Festbeträge nähmen Herstellern vielfach den Anreiz, Arzneistoffe zu produzieren: Bei Cephalosporinen liege der Preis bei 1,60 Euro – egal ob Trockensaft oder Peroralia. Er plädierte für die Entlassung bestimmter Indikationsklassen aus den Rabattverträgen, etwa von Antibiotika, Zytostatika, Impfstoffen und Medikamenten für die Intensivmedizin.
Professor Dr. Theo Dingermann von der Universität Frankfurt bezeichnet Lieferengpässe für ein Land wie Deutschland als Katastrophe. Aus seiner Sicht stellt sich die Frage, ob man mit den Rabattverträgen nicht zu weit gegangen ist. Sowohl Becker als auch Dingermann betonen die heikle Produktionssituation: Die weitaus meisten Wirkstoffe werden heute fast ausschließlich außerhalb von Europa hergestellt, meist in China oder Indien. Er schlägt ein Backup für die wichtigsten Arzneimittel vor, um wenigstens Schwerstkranke versorgen zu können. Späth hält diesen Vorschlag jedoch für illusorisch und sieht keine Chance einer Reindustrialisierung des deutschen und europäischen Marktes. „Dieser Zug ist abgefahren“, stellte der Hexal-Vorstand lapidar fest.