Placebo ist nicht gleich Placebo

(rb/kib) Der Anruch des Unechten und Unaufrichtigen hängt dem medizinischen Umgang mit Placebos – jedenfalls außerhalb klinischer Studien – an. Von aktiver Täuschung und Zaubertricks, bloß um den Patienten zu gefallen, ist da bisweilen unter Medizinern die Rede. Doch wie oft werden Placebos eigentlich verordnet? Und was genau gilt als Placebo?

22.10.2018

Medizingläschen mit Aufschrift Placebo
© Foto: pictoores / stock.adobe.com
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Diesen Fragen ging eine Arbeitsgruppe um Professor Klaus Linde vom Institut für Allgemeinmedizin der Technischen Universität nach. Die Forscher verschafften sich einen Überblick über die Literatur, der schließlich in eine Metaanalyse von 16 internationalen Studien – davon zwei deutsche – mündete. Beteiligt waren insgesamt knapp 3000 Ärzte, mehr als 500 davon aus Deutschland.

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Die Anteile der Ja-Antworten in den deutschen Studien zu der Frage, ob die befragten Ärzte jemals ein Placebo verschrieben hätten, lagen zwischen 79 und 88 Prozent. Von Placeboverordnungen im vorangegangenen Jahr berichteten 76 bis 81 Prozent. Mindestens monatlich nahmen 57 bis 69 Prozent solche Verordnungen vor, mindestens wöchentlich taten das 19 bis 32 Prozent.

Das sind stattliche Zahlen, die jedoch im Rahmen der Spannen liegen, die Linde und Kollegen für den international üblichen Placeboeinsatz von Hausärzten ermitteln konnten. Bei den verordneten Präparaten handelte es sich aber seltener um reine Placebos im Sinne pharmakologisch unwirksamer Substanzen. Häufiger sind Pseudoplacebos, also pharmakologisch aktive Substanzen, die nach dem Stand der Erkenntnis keine spezifische Wirkung für die betreffende Indikation haben.

Solche Pseudoplacebos setzten 53 bis 64 Prozent der deutschen Ärzte monatlich und 16 bis 30 Prozent wöchentlich ein. Reine Placebos gaben hingegen nur 9 bis 15 Prozent monatlich und 2 bis 3 Prozent wöchentlich. Auch diese Anteile liegen in etwa im Rahmen der international ermittelten Durchschnittszahlen.

Zu den häufiger verordneten Pseudoplacebos zählen demnach in Deutschland Sedativa, Supplemente, Antibiotika, Homöopathika, Vitamine und Phytotherapeutika. Seltener werden Analgetika oder subtherapeutische Dosen anderer Substanzen gegeben.

Gerade bei der Abgabe von Pseudoplacebos halten es Linde und Kollegen für wahrscheinlich, dass es dabei nicht primär um das Erzeugen von klassischen Placeboeffekten geht, sondern darum, einen Ausweg aus einer schwierigen Situation in stressiger Alltagsroutine zu finden – wie etwa, die Erwartungen von Patienten nicht zu enttäuschen.

Quelle: Ärzte Zeitung

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