Rätselhaftes Verlagen

(kib) Die ersten Kundinnen warten schon, als Beatrice Athiambo am Morgen die Plastikplane über ihrem Verkaufsstand zurückzieht. Die Frauen auf dem Markt in Kenias Hauptstadt Nairobi wollen Lehm zum Essen – teils so stark komprimiert, dass er aussieht wie Gestein, teils fast zu Pulver zermalmt. Woher kommt die Lust auf Erde? Forscher sind dem Phänomen "Geophagie" auf der Spur.

22.12.2016

km_erde_1216
© Foto: miket - Fotolia
Anzeige

In Afrika ist Geophagie, also das Essen von Erde, weit verbreitet – vor allem unter schwangeren Frauen. Einschätzungen darüber weichen stark voneinander ab: Verschiedenen Studien zufolge greifen 28 bis 84 Prozent der schwangeren Afrikanerinnen zu den meist stark lehmhaltigen Produkten.

Aktueller Podcast

Manche sammeln sie selbst – an Steinbrüchen, von Termitenhügeln oder aus Flussbetten. Andere kaufen die Erdklumpen auf dem Markt oder im Supermarkt – wo sie oft auch in gebrannter Form angeboten werden und dann noch eher aussehen wie massive Steine.

Aber warum nehmen Menschen Erde zu sich und das teils in Mengen von mehreren Hundert Gramm pro Tag? Eine Gruppe von Wissenschaftlern um die Medizinanthropologin Ruth Kutalek von der Medizinischen Universität Wien ließ im Zuge einer Studie die Konsumenten selbst zu Wort kommen.

Die Befragungen in Uganda, dem westlichen Nachbarland Kenias, lieferten zwar keine repräsentativen Ergebnisse für ganz Afrika. Doch sie eröffneten einen Einblick in die wenig erforschten Beweggründe für das Essen von Erde, sagt Kutalek.

50 Menschen befragte das Team zum Thema – Männer und Frauen, Schwangere und Nicht-Schwangere und auch medizinische Fachleute. Fazit: Am weitesten verbreitet ist das Phänomen unter Schwangeren. Sie nannten als Grund für den Griff zu den Klumpen zumeist ein unerklärliches körperliches Verlangen.

Viele Schwangere gaben an, die Erde helfe gegen Morgenübelkeit und Sodbrennen. Vor allem deren Gerüche seien verlockend, wie etwa der Duft von feuchter Erde nach dem Regen, oder jener von frisch gebrannten Ziegelsteinen.

Das Phänomen ist weit verbreitet. Manche Wissenschaftler vermuten Eisenmangel als Hauptgrund für Geophagie. Zwar sei diese Annahme durch Studien nicht ausreichend bestätigt, schreiben Forscher aus Französisch-Guyana. Aber viele Indizien deuteten darauf hin.

Außerdem könnten Stoffe, die in der tonhaltigen Erde enthalten seien, Vergiftungen vorbeugen. Das sei für den Menschen im Laufe der Evolution sehr wichtig gewesen.

Dabei berge das Verhalten auch Risiken für die Frauen: Die Ware werde nicht hygienisch behandelt und liege – wie Baumaterial – auf dem Boden herum. Durchfall- und Wurmerkrankungen seien da keine seltenen Nebenerscheinungen.

Verlässliche wissenschaftliche Erkenntnisse über die Wirkung von Lehm und Erde auf den menschlichen Körper gebe es nicht, sagt Kutalek. Klar sei aber, dass viele dieser Erden Schwermetalle enthielten, die möglicherweise gesundheitsschädlich wirkten. Die Forscher aus Französisch-Guyana gehen davon aus, dass Lehm den Eisenmangel sogar verschlimmert und Vergiftungen hervorrufen kann – und raten vom Verzehr ab.

Quelle: Ärzte Zeitung

Kommentar schreiben

Die Meinung und Diskussion unserer Nutzer ist ausdrücklich erwünscht. Bitte achten Sie im Sinne einer angenehmen Kommunikation auf unsere Netiquette. Vielen Dank!

Pflichtfeld *