Verhalten erklären
Die Fallbeschreibung
Nach einer gründlichen Bedarfsanalyse beschloss Apothekerin Krause, ihr Sortiment um Diätprodukte zu erweitern und diese zum Hauptpunkt des Offizin-Verkaufs zu machen. Einen Beratungsraum hatte sie ohnehin schon vor längerer Zeit eingerichtet, zudem schickte sie vier ihrer guten Mitarbeiterinnen zu einer Fortbildung im Bereich Ernährungsberatung. Allerdings sie war sehr erstaunt, wie die Kolleginnen nach der Schulung über die Inhalte und ihr Wissen berichteten:
Frau Müller war begeistert, berichtete über das Gelernte und brannte darauf, ihr Wissen weiterzugeben.
Frau Meier dagegen beschwerte sich dauernd über die unfähigen Referenten, zu kurze Pausenzeiten, schlechte Lernmaterialien usw.
Frau Schulz war ebenfalls nicht zufrieden. Für sie waren die Inhalte zu kompliziert. Sie versuchte das zu rechtfertigen: „Ich brauche keine Wissenschaft. Schließlich wollen wir verkaufen“.
Frau Schneider dagegen verzweifelte an sich. „Ich bin zu alt und zu dumm, um so viel Neues zu lernen, die anderen wurden besser unterrichtet / hatten eine bessere Ausgangssituation“.
In einer Diskussion über die Ausbildung konnten die Damen sich nicht einigen und beschuldigten sich gegenseitig, die Sache falsch angegangen zu sein.
Hintergrundwissen
Woher rühren diese unterschiedlichen Empfindungen? Hierzu gibt es in der Psychologie einige Theorien der Attribution, das bedeutet der Zuweisung der Ergebnisse zu bestimmten Voraussetzungen. Im groben sind diese abhängig von den Umständen der Situation (Frau Meier – wenige Pausen, schlechte Lernmaterialien), von dem Gegenstand/Reiz (Frau Schulz – Inhalte zu kompliziert), Personendisposition/Fähigkeiten und Fertigkeiten (Frau Schneider und Frau Müller – Selbstwirksamkeitsüberzeugung).
Zusammenhang von Voraussetzungen und Ergebnissen
Bei Frau Meier und Frau Schulz sehen wir Beispiele einer sogenannten Attributionsverzerrung. Beide Damen wollten bei den Kolleginnen einen guten Eindruck machen. Daher schrieben sie ihren Misserfolg der Situation zu. Dies ist ein normales Verhalten, um das eigene Selbstwertgefühl zu schützen. Bewertet man eigenes Verhalten, werden meist im Falle des Misserfolgs die situationalen Merkmale bewertet (schlechte Umgebung, Beleuchtung, Lärm usw.) oder die Umstände (komplizierte Darstellung, schlechte Lehrer). Die Erfolge werden allerdings den inneren Ursachen – den eigenen Fertigkeiten und Fähigkeiten zugeschrieben (selbstwertdienliche Verzerrung).
Hinzu kommt die Bedeutung der Perspektive. Bewertet man andere Personen, werden meist automatisch die Personenmerkmale als erstes gesehen und beurteilt: schlechte/gute Vorbereitung, Unaufmerksamkeit, fehlende Intelligenz usw. Die Situationsmerkmale kommen erst an der zweiten Stelle.
Auch folgende Situation ist ein Beispiel für dieses psychologische Phänomen und hilft dabei, es besser zu verstehen: Eine Kundin kommt in die Offizin. Die Apothekerin ist gerade dabei, eine Rechnung in den Computer einzugeben, vertieft in Gedanken bemerkt sie die Kundin nicht. Diese grüßt, die Apothekerin antwortet nicht. Die Kundin denkt, die Apothekerin sei unfreundlich (Merkmal der Person) und die zur Rede gestellte Apothekerin erklärt es mit der nicht vorhandenen Aufmerksamkeit (Merkmal der Situation). Darauf wäre die Kundin ursprünglich gar nicht gekommen.
Was bedeutet dies im geschilderten Fall?
Um auf das eingangs geschilderte Fallbeispiel zurückzukommen: Bei der an sich verzweifelnden Kollegin (Frau Schneider) sind zwei Faktoren relevant: die Selbstunsicherheit und die Opferhaltung.
Beide Faktoren hängen sehr eng zusammen. Eine Ausnahme wäre, läge hier eine Strategie vor: durch Opferhaltung bewusst die Verantwortung für sich selbst auf andere übertragen bzw. sie auf diese Weise zu steuern.
Anzeichen für Selbstunsicherheit
Sollten Sie aber eine Kollegin im Team haben:
- die sich nichts zutraut
- die ständig im Hintergrund bleibt (oft falsch interpretiert als fehlender Ehrgeiz)
- die auf jede neue Situation mit Selbstzweifel reagiert
- die sich fürchtet, kritisiert bzw. verspottet zu werden und danach ihr Verhalten richtet
- die versucht, Kontakte nur mit Menschen zu halten, von denen sie sicher ist, dass sie ihr wohlgesonnen sind
- die Angst hat vor jeder neuen Situation: Stellenbewerbung, Prüfungen, neue Bekanntschaften etc.,
dann handelt es sich höchstwahrscheinlich um eine selbstunsichere Person.
Was lässt sich in der Praxis tun?
Die Ursachen für ein solches Verhalten zu erklären, ist sehr umfangreich und individuell; daher wollen wir uns der Möglichkeit widmen, der Mitarbeiterin das Leben im Team zu erleichtern. Dies führt schließlich auch zum besseren Funktionieren des Teams.
Fazit
Um Ihre Mannschaft zu einem guten Team zu entwickeln, ist es wichtig, dass alle im Team genau ihre Rolle kennen und ausführen. Dies ist nur dann möglich, wenn man Rücksicht auf die Eigenschaften und Besonderheiten jedes Einzelnen nimmt und versucht, die Teammitglieder aufeinander einzuspielen.
Die Autorin
Nina Konopinski-Klein ist Coach und Trainerin für Ärzte, Apotheker und weitere Mitarbeiter im Gesundheitswesen sowie Buchautorin (CCT-Coaching Consulting Training).
Serie: Psychologie in der Praxis
Teil 1: Das Gegenüber verstehen
Teil 2: Verhalten erklären
Teil 3: Der Bystander-Effekt
Teil 4: Wie macht sich die Neue?
Teil 5: Kunden nicht in Schubladen stecken
Teil 6: Was ist aus unseren Zielen geworden?
Teil 7: Über den richtigen Umgang mit Stress
Teil 8: Ich muss nicht – Ich will
Teil 9: Fremd- und Selbstbild