Viele Kranke meiden die Klinken

Viele Menschen zögern derzeit trotz ernsthafter Beschwerden eine ärztliche Behandlung hinaus – aus Angst vor einer Ansteckung mit SARS-CoV-2. Doch weit gefährlicher als eine Infektion ist das Risiko für Folgeschäden durch eine verzögerte Diagnose.

von Hannelore Gießen
24.04.2020

Arzt hält Post it mit der Aufschrift „Sofort“ in die Kamera
© Foto: pix4U / stock.adobe.com
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In den Krankenhäusern sind fast überall getrennte Bereiche für an COVID-19 Erkrankte und die übrigen Patienten. Das ist insbesondere auch für jene Patienten wichtig, die etwa für die Dialyse oder Chemotherapie regelmäßig in die Klinik müssen.

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„Bei Menschen mit Nierenschädigungen handelt es sich um eine besonders anfällige Patientengruppe. Im Durchschnitt müssen sie einmal im Jahr stationär aufgenommen werden, weil sich ihr Gesundheitszustand temporär verschlechtert“, berichtete Prof. Jürgen Floege, Direktor der Klinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, rheumatologische und immunologische Erkrankungen der Uniklinik der RWTH Aachen bei einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Außerdem nähmen viele von ihnen Medikamente, die die Immunabwehr des Körpers schwächen, was sie zusätzlich zu Risikopatienten im Falle einer Ansteckung mit COVID-19 mache.

SARS-CoV2 siedelt sich nicht nur auf Schleimhäuten und in den Lungen an, sondern auch in den Nieren, warnte Floege. „Wir sehen mittlerweile auch Schäden an den Nieren bei zuvor nierengesunden Patienten“, erläuterte der Nephrologe. Umso wichtiger sei es, Menschen mit einer bekannten Nierenfunktionseinschränkung kontinuierlich zu überwachen, um eine mögliche Verschlechterung zu verhindern.

 

Weniger Infarkte, weniger Schlaganfälle

Schon Daten aus China und Italien zeigten, dass weniger Patienten mit einem Herzinfarkt in die Kliniken kommen. „Inzwischen stellen wir auch in Deutschland einen Rückgang um 20 bis 30 Prozent fest“, zeigte Prof. Sebastian Schellong aus Dresden auf. Möglicherweise sind durch die Fokussierung auf COVID-19 Hinweise auf einen Herzinfarkt auch übersehen worden.

Offenbar ist jedoch die Schwelle, Brustschmerz als Warnzeichen wahrzunehmen, wieder gestiegen. Was über Aufklärung in den letzten Jahren erreicht worden war, droht derzeit wieder verloren zu gehen. „Patienten, die wir zu spät sehen, entwickeln viel eher eine Herzinsuffizienz als bei rechtzeitiger Diagnose“, mahnte der Kardiologe.

Noch problematischer als beim Herzinfarkt könnte die Situation beim Schlaganfall sein, da er ohne Schmerzen verläuft. Hier kämen die Menschen derzeit eher spät in die Klinik, wenn eine Lähmung oft nicht mehr vollständig reversibel ist.

Ähnlich ist die Situation bei der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, umgangssprachlich auch als Schaufensterkrankheit bezeichnet und beim diabetischen Fußsyndrom. „Wir fürchten, eine ganz Bugwelle an kritisch Erkrankten vor uns herzuschieben, weil die Patienten momentan aus Angst vor einer SARS-CoV-2-Infektion keine ärztliche Hilfe suchen“, warnte Schellong. Das ist ein zusätzliches Risiko der jetzigen Pandemie, dass andere, ebenfalls sehr gefährliche Krankheiten, aus dem Blick geraten.

 

Risiko Bluthochdruck

Die weitaus meisten Patienten, die schwer an COVID-19 erkranken, weisen einen Bluthochdruck auf. „Patienten mit einer gut eingestellten Hypertonie haben bei einer COVID-19-Erkrankung jedoch eine deutlich bessere Prognose als Patienten mit einer nicht oder schlecht eingestellten Erkrankung“, betonte Schellong. Leider würden Patienten zurzeit lebenswichtige Medikamente aus Angst oft nicht mehr einnehmen. Die kardiovaskuläre Grunderkrankung müsse jedoch adäquat behandelt werden.

Auch das Apothekenteam kann dazu beitragen, Patienten zu ermutigen, Brustschmerz, Lähmungserscheinungen und Durchblutungsstörungen ernst zu nehmen und in die Klinik zu gehen. Gravierende Beschwerden müssten rasch diagnostiziert und therapiert werden, sei es ein Herzinfarkt oder Schlaganfall, eine Nieren-, Gefäß- oder Tumorerkrankung. Das Risiko, durch eine nicht rechtzeitige Diagnose Schaden zu nehmen, ist wesentlich größer als die Gefahr einer Infektion mit SARS-CoV2.

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