Von Kühen zur Impfung
„Die Pocken waren immer da, füllten die Kirchhöfe mit Leichen, peinigten den Verschonten mit ständiger Angst, hinterließen an dem mit dem Leben Davongekommenen die scheußlichen Spuren ihrer Macht“, so schilderte der englische Historiker Thomas Macaulay (1800-1859) die Auswirkungen der auch als „Blattern“ bezeichneten Krankheit. Auch Goethe überlebte in der Kindheit eine Infektion.
Forschungswelle ausgelöst
Dabei hatten Menschen schon weit vor Christi Geburt beobachtet, wie man der Seuche Herr werden könnte. Aus Indien, China oder Konstantinopel gibt es Berichte, dass Personen, die eine Infektionskrankheit überstanden hatten, vor weiteren Ansteckungen geschützt waren. Der gleiche Effekt trat ein, wenn man Gesunde mit abgeschwächten Formen des Erregers in Kontakt brachte. In China verrieb man bereits 1000 Jahre vor Christus eingetrocknete Pockenkrusten im Mörser und verabreichte den Staub als Schnupfmittel. Die Impfung mit menschlichen Pockenerregern blieb jedoch eine riskante Maßnahme.
Im Zeitalter der Aufklärung lösten solche Berichte in Westeuropa eine Forschungswelle aus. Den Durchbruch schaffte der englische Landarzt Edward Jenner: 1796 hatte er erkannt, dass Landarbeiter und Melkerinnen, die sich mit harmloseren Kuhpocken infiziert hatten, gegen die Menschenpocken immun waren. Der Weg zur modernen Pockenschutzimpfung war geebnet.
Seit 1980 gilt die Welt als pockenfrei – ein riesiger Erfolg vor allem des Impfprogramms der Weltgesundheitsorganisation WHO.
Viren von Kuhpocken auf Menschen übertragen
Jenner wurde 1749 als achtes von neun Kindern des Vikars von Berkeley geboren. Bereits als 14-Jähriger erlernte er die Chirurgie bei einem Wundarzt in Sudbury bei Bristol. Später studierte er am Saint Georges Hospital in London. Mit 23 Jahren kehrte er nach Berkeley zurück, wo er fortan als Landarzt tätig war.
Der Gedanke, die „Blattern“ auszurotten, hatte Jenner schon seit langer Zeit beschäftigt. 1757 wäre er selber beinahe an einer Pockenimpfung gestorben: Der örtliche Apotheker hatte ihn mit dem Eiter eines anderen, an Pocken erkrankten Menschen infiziert.
Jenner begann seine Studien 1775. Im Mai 1796 übertrug er Viren von einer an Kuhpocken erkrankten Melkerin auf den achtjährigen James Philipps. Wenige Wochen später erhielt der geimpfte Junge frischen „echten“ Pockenstoff – und blieb gesund.
Jenner nannte sein Verfahren „Vaccination“, nach vacca, dem lateinischen Wort für Kuh. Um seine Methode bekannt zu machen, schrieb er darüber einen Artikel für die renommierte Wissenschaftsgesellschaft „Royal Society“. Die wies die Publikation aber zunächst zurück, weil Jenner seine Impfung nur an einer Person getestet hatte. Deshalb infizierte der Landarzt weitere Menschen, sogar seinen erst elf Monate alten Sohn – bis schließlich seine Methode von der Royal Society anerkannt wurde.
Impfgegner formierten sich auch damals
Seit dem 19. Jahrhundert begannen die europäischen Staaten mit Impfprogrammen – in Deutschland zuerst 1807 in Hessen. Die Reichsregierung erklärte die Pockenimpfung 1874 zur Pflicht. Von Anfang an gab es auch Widerstand – bis hin zu den aktuellen Debatten über Corona-Impfungen. „Gottlos!“, wetterten Kirchenvertreter. Zeitungen druckten Spottbilder, auf denen sich Geimpfte in Kühe verwandeln. Impfungen seien gesundheitsschädlich oder nicht wirksam, so die Gegenargumente.
Erste Impfgegner-Organisationen wurden 1869 in Leipzig und Stuttgart gegründet. In der Weimarer Republik hatte der Reichsverband zur Bekämpfung der Impfung rund 300.000 Mitglieder. In der Tat wurden immer wieder durch mangelnde Hygiene und Unkenntnis Krankheiten auf Geimpfte übertragen; auch allergische Reaktionen sorgten für Tote. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts erkannte man zudem, dass bisweilen eine Zweitimpfung nötig war.
Quelle: Ärzte Zeitung