Wintermüde

(kib) Winterschlaf ist für einige Lebewesen ganz selbstverständlich. Wissenschaftler raten auch Menschen dazu, sich mit dem Thema näher zu befassen. Und selbst die NASA interessiert sich dafür.

13.11.2017

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© Foto: Eric Isselée / stock.adobe.com
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Jetzt, da die Tage sprichwörtlich kürzer geworden sind und es abends noch früher dunkel wird, verändert sich bei Menschen der Schlaf-Wach-Rhythmus. "Die Lichtverhältnisse haben entscheidenden Einfluss", sagt der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, Alfred Wiater. Blaues Licht mache wach. Wechsle das Spektrum Richtung Abend eher zu Gelb- und Rottönen, werde Melatonin ausgeschüttet, man wird müde. Zeit für Winterschlaf?

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Zwar habe der Mensch die genetischen Voraussetzungen dafür – wie einige Tiere, sagt der Chefarzt der Kinderklinik des Krankenhauses Köln-Porz. Aber der Mensch brauche keinen Winterschlaf, weil er weder wegen der Kälte Energie sparen müsse, noch Nahrung knapp sei.

Da einen die Müdigkeit aber trotzdem überkommt, empfiehlt der Experte, sich draußen aufzuhalten. "Da ist die Lichtintensität höher, man kann besser wach bleiben. Körperliche Aktivitäten regten den Kreislauf und Stoffwechsel zusätzlich an. Damit die Qualität des Schlafes nicht leidet, sollte man jedoch nicht unmittelbar vor dem Zubettgehen Sport treiben, sagt der Somnologe.

"Die innere Uhr im Gehirn geht ein bisschen nach", sagt Wiater. Ginge es danach, müsste der Tag ein wenig länger sein als 24 Stunden. Über das Licht könne das von außen reguliert werden. Ein Faktor im Körper sei Hypokretin, ein Hormon, das das Schlaf-Wach-Verhalten beeinflusst. Ein Mangel führe zu Narkolepsie und Appetitlosigkeit. Hypokretin macht wach, treibt die Nahrungsaufnahme an und wirkt aufs Belohnungssystem, wie der Schlafforscher sagt. "Das könnte eine mögliche Erklärung sein, warum Tiere aus dem Winterschlaf erwachen."

A propos Tiere. Gehen sie in den Winterschlaf, machen sie genau eines nicht: schlafen. Den Zustand, in dem sie sich befinden, nennen Experten Torpor, wie Biologin Lisa Warnecke sagt. Die Gehirnströme seien dann ganz andere als in Schlafphasen. Der Stoffwechsel werde reduziert, um Energie zu sparen. Wach-Pausen würden beispielsweise zum Fressen und zur Fortpflanzung genutzt. "Das ist bei allen Tieren gleich, egal ob Spitzmaus oder Braunbär", sagt die Wissenschaftlerin.

Was den Torpor auslöse, sei aber sehr unterschiedlich: "Bei manchen Tieren ist die Temperatur ausschlaggebend, bei manchen gibt es eine Körperfettgrenze, bei anderen ist das tageslichtabhängig", sagt Warnecke. Die Wasserfledermaus etwa praktiziere einen Tagestorpor mit 10 bis 15 Stunden Schlaf.

Der Winterschlaf gilt als Erfolgsrezept der Arterhaltung, wie Warnecke erklärt: "Winterschläfer leben länger." Chromosomen in den Genen seien bei ihnen besser geschützt. Wenn Tiere schlafen, laufen sie auch weniger Gefahr, gefressen zu werden. Und sie könnten auf extreme Wetterbedingungen flexibler reagieren. So habe der Energiesparmodus nicht zwingend was mit Winter zu tun, wie Warnecke sagt: Lemuren etwa wechselten bei 35 Grad in den Torpor, um Dürrephasen zu überstehen.

Das Phänomen scheint Jahrmillionen überdauert zu haben, wie Warnecke an Igeln erforscht hat. An den Torporphasen änderten auch die Wärme und das üppige Nahrungsangebot in der Stadt ebenso wenig wie der Lärm neben Straßen – die Tiere schlummern einfach ein. Bei Murmeltieren und anderen Arten hätten Forscher hingegen in den vergangenen 20 bis 40 Jahren feststellen können, dass sich die Winterschlafzeit ändert. "Das könnte mit dem Klimawandel noch zunehmen", so Warnecke. Auch wenn der Begriff Winterschlaf nicht hundertprozentig passt, ist er im Volksmund etabliert. Und glauben wohl auch weiterhin viele Menschen, dass Tiere im Winter tatsächlich schlafen würden.

Übrigens, der gedrosselte Energieverbrauch interessiert laut Lisa Warnecke auch die US-Raumfahrtbehörde NASA. Viel Geld werde in die Forschung gesteckt, ob auch Menschen in einen Winterschlafzustand versetzt werden können. Das könnte womöglich für Marsmissionen relevant werden. Dabei werde mit Unterkühlung gearbeitet, erklärt Warnecke: "Das ist physiologisch aber äußerst bedenklich." 

Quelle: dpa

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