Wofür der Medizin-Nobelpreis vergeben wurde

(bs/fast) Den diesjährigen Medizin-Nobelpreis teilen sich der US-Amerikaner James Allison und der Japaner Tasuku Honjo. Die beiden Forscher haben herausgefunden, wie man das Immunsystem hochwirksam in den Kampf gegen Krebs einspannen kann.

02.10.2018

Die Nobelpreis-Medaille
© Foto: Berit Roald / dpa
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Die von den Preisträgen entdeckte Immun-Checkpoint-Inhibition stellt einen völlig neuen Ansatz in der Krebstherapie dar. Anders als alle anderen etablierten Therapien richtet er sich nicht gegen die Krebszellen selbst, sondern zielt auf das Immunsystem, genauer auf die Bremsen des Immunsystems. Durch das Lösen dieser Bremsen wird das Immunsystem in die Lage versetzt, den Tumor schärfer zu attackieren. Mit der Immuntherapie lassen sich auch Krebspatienten kurieren, die zuvor als unheilbar krank galten.

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Über 100 Jahre Forschung

Die Idee, die Immunabwehr gegen Krebserkrankungen aggressiver zu machen, ist alles andere als neu. Seit mehr als 100 Jahren wird nach solchen Ansätzen gesucht. Die immunonkologische Forschung war allerdings weitgehend unbefriedigend, lange brachte sie keine effektiven Therapien hervor. Das änderte sich erst mit den bahnbrechenden Arbeiten der beiden jetzt ausgezeichneten Wissenschaftler. 

Worum geht es also? T-Zellen sind nach geeigneter Aktivierung in der Lage, Tumorzellen als "Nichtselbst" zu erkennen und zu eliminieren. Die Aktivierung erfordert den Kontakt von spezifischen T-Zell-Rezeptoren mit einem Peptid, das von Antigen-präsentierenden Zellen dargeboten wird, sowie mit einem Kostimulator. 

Auf der Oberfläche von T-Zellen gibt es aber auch Moleküle mit gegenteiliger Wirkung: Sie blockieren die Aktivierung der Zellen. Eben eine solche "molekulare Bremse" hat der 1948 geborene James P. Allison mit seiner Forschung an der University of California, Berkeley, entdeckt: das Molekül CTLA-4 ("Cytotoxic T-Lymphozyte Antigen 4"). 

Allison hatte die entscheidende Idee, mit einem Antikörper gegen CTLA-4 die Bremse zu lösen, damit die T-Zellen dann "ungebremst" auf Tumorzellen losgehen können. Das Schlüsselexperiment dazu fand 1994 statt – mit spektakulärem Ergebnis: Krebskranke Mäuse, die den Anti-CTLA-4-Antikörper erhielten, wurden geheilt, unbehandelte Kontrollmäuse entwickelten dagegen große Tumoren. 

Die Industrie zeigte zunächst wenig Interesse an Allisons Arbeiten, der Wissenschaftler aber setzte alle Anstrengungen darein, seine Entdeckung der Checkpoint-Inhibition für die Krebstherapie am Menschen nutzbar zu machen. Den Durchbruch brachte eine im Jahr 2010 veröffentlichte Studie. Patienten mit metastasiertem Melanom lebten signifikant länger, wenn sie den Anti-CTLA-4-Antikörper erhalten hatten. Der Antikörper wurde bereits 2011 als erstes Immuntherapeutikum zur Behandlung des inoperablen metastasierten Melanoms zugelassen. 

Die Frage, ob die Checkpoint-Inhibition auch Patienten mit anderen Krebserkrankungen nutzen kann, wurde derweil ebenfalls untersucht. Die Grundlage hierfür hatten die Arbeiten des zweiten Nobelpreisträgers, des 1942 geborenen Tasuku Honjo, geliefert.

Die vierte Säule der Onkologie 

Der an der Universität von Kyoto tätige Wissenschaftler hatte schon im Jahr 1992 das T-Zell-Oberflächenprotein PD-1 ("programmed cell death 1") identifiziert. Mit akribischen Experimenten konnte er nachweisen, dass das Protein ebenfalls als Bremse der T-Zell-Aktivierung wirkt, sich im Wirkmechanismus aber von CTLA-4 unterscheidet. Durch Blockade von PD-1 konnten Honjos Team und andere Arbeitsgruppen in Tiermodellen vielversprechende Erfolge gegen Krebs erzielen. 

Die Arbeiten waren die Grundlagen für ein großes Studienprogramm am Menschen. Beim Melanom hat sich die Inhibition von PD-1 allein oder von PD-1 und CTLA-4 als noch wirksamer erwiesen als die von CTLA-4 allein. Die PD-1-Hemmung scheint außerdem etwas weniger Nebenwirkungen zu haben. Sie ist bisher zugelassen zur Behandlung bei fortgeschrittenen Melanomen, nichtkleinzelligem Lungenkrebs, Nierenzellkrebs und Morbus Hodgkin. 

Derzeit wird die Checkpoint-Therapie in einer großen Zahl von Studien bei fast allen Krebsarten und mit unterschiedlichen Antikörpern getestet. Sie ist aber längst zur vierten Säule der Krebsbehandlung geworden.

Immun-Checkpoint-Inhibition
  • Immun-Checkpointssind Signalwege des Immunsystems, die eine hemmende Wirkung haben.
  • Sie regulieren die T-Zell-Aktivierung herab und verhindern so Autoimmunreaktionen.
  • Tumorzellenkönnen sich dieser Checkpoints bedienen und sich so vor dem Immunsystem verbergen.
  • Checkpoint-Inhibitorensind Antikörper, die diese immunsupprimierenden Signale beenden und die Tumoren für das Immunsystem sichtbar machen.

Quelle: Ärzte Zeitung

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