Epstein-Barr-Virus: Harmlos bis hochgefährlich
- EBV ist ein humanes Herpesvirus und verbleibt als solches nach einer Infektion lebenslang im Körper.
- 95 bis 98 Prozent der 40- bis 50-Jährigen sind EBV-Träger.
- Im Kindesalter verläuft die EBV-Infektion zumeist symptomlos, bei Jugendlichen und Erwachsenen oftmals als Pfeiffersches Drüsenfieber.
- Bei einigen EBV-Trägern kommt es im späteren Leben zu einer Krebs- oder Autoimmunerkrankung.
- Derzeit intensiv erforscht werden die Zusammenhänge zwischen EBV und Multipler Sklerose.
Bisher bekannt sind acht humane Herpesviren, wozu das humane Herpesvirus 4 (HHV4) gehört. Bekannter ist es unter dem Namen Epstein-Barr-Virus (EBV). Seine Namensgeber, die britischen Virologen Anthony Epstein und Yvonne Barr, haben es Anfang der 1960er-Jahre erstmals beschrieben – damals als erstes humanes onkogenes Virus (Onkovirus, „krebstreibendes“ Virus) überhaupt.
Erst wenige Jahre später, Ende der 1960er-Jahre, wurde EBV als Auslöser des Pfeifferschen Drüsenfiebers (infektiöse Mononukleose) identifiziert. Mittlerweile ist bekannt, dass EBV nicht nur am Entstehen bestimmter Krebserkrankungen beteiligt ist, sondern auch am Entstehen von Autoimmunerkrankungen. Das bisher am besten erforschte Beispiel ist die Multiple Sklerose. So ist der Ruf nach einem EBV-Impfstoff mehr als berechtigt. Erste Kandidaten sind bereits in der Entwicklung.
Fast jeder trägt es in sich
EBV ist weltweit stark verbreitet. Die Infektion erfolgt überwiegend im frühen Kindesalter, meistens unbemerkt oder mit nur milden Symptomen. Tritt jedoch die Infektion erst im Jugend- oder Erwachsenenalter ein, kommt es oftmals zu deutlich ausgeprägten Symptomen, bezeichnet als Pfeiffersches Drüsenfieber (s. u.). Zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr haben 95 bis 98 Prozent aller Menschen eine EBV-Infektion durchlebt.
Nach der Ansteckung verbleibt das Virus bis zum Lebensende bevorzugt in B-Lymphozyten (zum Immunsystem gehörend) und Schleimhautzellen. Geht es um das Entstehen von Krebs- und Autoimmunerkrankungen, kann aufgrund der hohen EBV-Durchseuchung das Virus nicht die alleinige Ursache sein. Jedoch zeigt die Datenlage, dass eine durchlaufene symptomatische EBV-Infektion, also ein Pfeiffersches Drüsenfieber, das Risiko für eine solche Erkrankung erhöht.
Pfeiffersches Drüsenfieber
Typische Symptome sind Müdigkeit, Fieber, Kopf-, Glieder- und Halsschmerzen, geschwollene Lymphknoten und eine Vergrößerung der Milz. Menschen mit einem eingeschränkten Immunsystem können sogar schwer an einem Pfeifferschen Drüsenfieber erkranken: an einer Entzündung des zentralen Nervensystems, der Lunge, der Bauchspeicheldrüse oder des Herzens.
Auch außerordentlich langwierige Verläufe sind bekannt, zum Beispiel ein chronisches Müdigkeitssyndrom. Den Namen „Pfeiffersches Drüsenfieber“ erhielt die Erkrankung nach ihrem Entdecker, dem Kinderarzt Emil Pfeiffer (1846 bis 1921), der sie nach ihren beiden Hauptsymptomen benannte: Drüsenschwellung und Fieber. Da das EBV hauptsächlich über den Speichel übertragen wird und symptomatische Verläufe bevorzugt bei jungen Menschen zwischen 15 und 25 Jahren auftreten, wird die Krankheit umgangssprachlich Kuss-Krankheit oder Studentenfieber genannt.
Ihr Entdecker Emil Pfeiffer war nicht nur ein engagierter Arzt, sondern zugleich ein begeisterter Pflanzenmaler. Mehr als 1000 seiner Aquarelle sind in der naturwissenschaftlichen Sammlung des Museums Wiesbaden zu finden, online einsehbar unter pfeiffer.museum-wiesbaden.de.
EBV als Onkovirus
Erstmals wurde das Virus aus einem Burkitt-Lymphom isoliert, das zur Gruppe der Non-Hodgkin-Lymphome gehört. Das Burkitt-Lymphom ist eine hochaggressive Tumorart des lymphatischen Systems und zugleich eine der am schnellsten wachsenden Tumorarten. Auch ist gesichert, dass EBV am Entstehen des Nasopharynxkarzinoms (Tumor im Nasen-Rachen-Bereich) beteiligt ist. Wie das Burkitt-Lymphom ist es eine seltene Krebserkrankung, jedoch die häufigste Krebsform im Nasen-Rachen-Raum.
Als Risikofaktor für Magenkarzinome ist das Virus ebenfalls bekannt. Fest steht, dass neben der EBV-Infektion noch weitere Faktoren eine Rolle bei der Krebsentstehung spielen, etwa genetische und Umweltfaktoren. Wie viele Tumoren auf das Konto von EBV gehen, ist noch nicht geklärt, vermutlich mehr als bisher bekannt. Über welchen Weg EBV die Krebsentstehung vorantreibt, wurde erst kürzlich entschlüsselt. Verantwortlich ist ein bestimmter Proteinbestandteil des Virus, der die Zellteilung stört mit der Folge, dass fehlerhaftes Erbgut in beide Tochterzellen gelangt.
Übrigens: Neben EBV gibt es ein weiteres onkogenes Herpesvirus, das humane Herpesvirus 8 (HHV-8). Es ist am Entstehen des Kaposi-Sarkoms beteiligt, weshalb es als Kaposi-Sarkom-assoziiertes Herpesvirus (KSHV) bezeichnet wird. KSHV kann die Haut, Schleimhäute und inneren Organe befallen, besonders häufig bei HIV-infizierten Personen.
Hauptrisiko für eine Multiple Sklerose
Die Multiple Sklerose ist eine entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, die das Gehirn und das Rückenmark umfasst und meist schon im frühen Erwachsenenalter beginnt. Schon seit Jahrzehnten besteht der Verdacht, dass die Krankheit viralen Ursprungs sein könnte. Mittlerweile steht fest, dass in deren Pathophysiologie EBV eine zentrale Rolle spielt.
Da nahezu die gesamte Bevölkerung mit dem Virus durchseucht ist, kann jedoch das Virus – wie auch beim Entstehen einer Krebserkrankung – nicht alleinverantwortlich sein. Allerdings verdichtet sich die Datenlage, dass eine EBV-Infektion die Voraussetzung für das Auftreten einer Multiplen Sklerose ist. Nur selten kommt die Erkrankung bei Personen vor, in deren Blut sich keine Antikörper gegen EBV finden lassen. Gegenwärtig werden zahlreiche Hypothesen untersucht, die die Zusammenhänge zwischen EBV und Multipler Sklerose beschreiben.
Die derzeit bevorzugte Hypothese ist, dass EBV-Proteine eine große Ähnlichkeit mit bestimmten humanen Proteinen haben. Diese Tatsache „verwirrt“ bei Menschen mit entsprechend genetischer Anlage das Immunsystem. In der Folge versucht dieses, die körpereigenen Nervenzellen zu bekämpfen in der Annahme, diese sind mit EBV infiziert. Eine weitere Autoimmunerkrankung, bei deren Entstehen EBV eine Rolle spielt, ist der systemische Lupus erythematodes. Hierbei handelt es sich um eine entzündlich-rheumatische Erkrankung, die alle Organe befallen kann.
BEHIND-MS-Studie
In einer aktuellen Meldung (04.10.2024) verweist die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft e. V. auf ihrer Website (dmsg.de, s. Menüleiste „News“) auf eine Teilstudie der europaweiten BEHIND-MS-STUDIE, die die Zusammenhänge zwischen EBV und Multipler Sklerose untersucht. Durchgeführt wird die Teilstudie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg.
Als Teilnehmer werden MS-Patienten gesucht, von denen es Gewebeproben aus früheren Operationen im Hals- oder Bauchraum gibt. Es werden keine frischen Gewebeproben benötigt. Die Teilnehmer werden ausschließlich telefonisch oder via Videokonferenz kontaktiert. Ein Besuch am DKFZ ist nicht erforderlich.
Hintergrund der benötigten Gewebeproben ist folgender: Aus früheren Arbeiten ist bekannt, dass sich EBV bevorzugt in den Mandeln und Lymphknoten sowie im Darm versteckt. Bei einer Reihe gesunder Personen wurde die Anzahl der mit EBV infizierten Zellen bereits bestimmt. Nun soll die Teilstudie herausfinden, ob bei Patienten mit Multipler Sklerose mehr infizierte Zellen zu finden sind als bei nicht an Multipler Sklerose erkrankten Personen.