pta-point

Gicht: Wohlstandskrankheit

Sie ist eine der häufigsten Stoffwechselerkrankungen der westlichen Welt. Hier ist jeder 50. Mensch betroffen. Die Systemerkrankung wird auch Podagra genannt, was auf Griechisch Fußfessel bedeutet.

von Petra Schicketanz
30.01.2019

02pta_mauritius_SH_01454465
© Foto: foodcollection / mauritius image
Anzeige
  • Gicht ist eine chronische Erkrankung, bei der sich Harnsäure in Form scharfkantiger Kristalle in den Gelenken ablagert und zu Entzündungen führt.
  • Häufig von einem Gichtanfall betroffen sind rumpfferne Gelenke wie das Großzehgrundgelenk, Sprung- und Kniegelenke sowie Finger- und Handwurzelgelenke.
  • Die Therapie fußt auf drei Säulen: Therapie des akuten Gichtanfalls, Senkung des Harnsäurespiegels und Anfallsprophylaxe.
  • Bei einer purinarmen Diät sollte der Gichtkranke auf zu häufige Fleischmahlzeiten und insbesondere auf Innereien verzichten.

Was hat der Mensch mit dem Tyrannosaurus Rex gemeinsam? Es scheint unglaublich: Beide können beziehungsweise konnten an Gicht erkranken. Zumindest haben Forscher in mehreren Skelettfunden des fleischfressenden Dinosauriers Harnsäureablagerungen in den Fingergelenken entdeckt.

Aktueller Podcast

Stichwort Harnsäure

Üblicherweise geht eine Gicht mit überhöhten Harnsäurewerten im Serum einher. Harnsäure ist ein Stoffwechselprodukt aus dem Abbau von Purinen wie Adenin, Guanin, Hypoxanthin oder Xanthin. Werden zu viele Purine mit der Nahrung zugeführt und gleichzeitig zu wenig Harnsäure über die Niere ausgeschieden, steigen die Werte. Unabhängig von der Ernährung werden Purine auch innerhalb des Körpers beim Abbau von Zellen freigesetzt. Ein erhöhter Zellumsatz, beispielsweise bei starkem Gewichtsverlust sowie infolge von Gewebstraumen oder Chemotherapie, lässt ebenfalls die Harnsäurewerte in die Höhe schießen. Neben der Konzentration spielt der pH-Wert eine Rolle für die Auskristallisation von Harnsäure. Je saurer das Milieu, desto stärker bilden sich aus dem Stoffwechselprodukt Uratkristalle (Harnsäurekristalle).

In der Körperperipherie kommt es leichter zu einer Übersäuerung, weshalb rumpfferne Gelenke typische Manifestationsorte für eine Gichtarthritis darstellen. In 60 Prozent aller Fälle ist es das Großzehgrundgelenk, aber auch Mittelfuß, Sprunggelenk und Knie sowie die Schleimbeutel der Ellenbogengelenke sind häufig betroffen. Die anfangs rezidivierende Arthritis chronifiziert und hinterlässt bleibende Gelenkdeformationen. Zudem steigert ein chronisch erhöhter Harnsäurespiegel das Risiko für zahlreiche Begleiterkrankungen wie Herzinsuffizienz, Koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck, Sterblichkeit an kardialen Ereignissen, Schlaganfall, Diabetes mellitus oder Niereninsuffizienz.

Grafik Gicht

Diagnose und Therapie

Das Risiko, eine Gicht zu entwickeln, steigt mit zunehmendem Lebensalter, wobei es Männer rund fünfmal häufiger trifft als Frauen, die meist erst nach den Wechseljahren betroffen sind. Zur Diagnosesicherung muss mindestens ein Gelenk schmerzhaft geschwollen sein; die Entzündung zeigt sich durch Rötung, Druckintoleranz (Schmerzen bei Druck) und Funktionseinschränkung. Zudem sollte ein Nachweis von Harnsäurekristallen aus einem Gelenk oder einem Schleimbeutel erfolgen. Typisch sind entzündliche Gichtknoten (Gichttophi). Uratablagerungen sind nicht auf den Gelenkbereich beschränkt, sondern werden auch in Weichteilstrukturen nachgewiesen.

Die Therapie der Gicht fußt auf drei Säulen: Therapie des akuten Gichtanfalls, Reduktion der Harnsäurebelastung und Prophylaxe weiterer Anfälle. Damit wird nicht nur der irreversiblen Gelenkzerstörung entgegengewirkt, sondern auch Komorbiditäten werden vermieden, die mit einer Gicht einhergehen können.

Wichtige Fragen
  • Hat Ihnen Ihr Arzt erklärt, in welcher Dosierung und zu welchen Tageszeiten Sie Ihre Medikamente einnehmen sollen?
  • Haben Sie Informationen über eine geeignete Ernährung bei Gicht?
  • Wissen Sie, dass gerade ausreichendes Trinken bei Gicht wichtig ist, um die Ausscheidungsfunktion der Niere zu unterstützen?

Therapie des akuten Gichtanfalls

Wenn sich bei Übersäuerung des Gewebes Uratkristalle bilden, kann dies zu einem Problem werden. Denn die Kanten der Kristalle sind so scharf, dass sie leicht das Gewebe verletzen. Aktiviert durch die Zellzerstörung treten Leukozyten auf den Plan, die beim Vertilgen (Phagozytieren) der Uratkristalle selbst zerschnitten werden und ihre sauren Verdauungssäfte ins Gewebe abgeben. Der sinkende pH-Wert begünstigt die weitere Harnsäureausfällung, was einen äußerst schmerzhaften Teufelskreis unterhält, der als akuter Gichtanfall bekannt ist und zu bleibender Gelenkzerstörung führt.

Mit einer schmerzlindernden und entzündungshemmenden Therapie sollte so schnell wie möglich begonnen und erst ein paar Tage nach dem Abklingen der Symptome aufgehört werden. Ohne ergänzende Harnsäuresenkung stellen sich Rezidive ein, bei denen sich Uratkristalle ablagern und zur Bildung von knotigen Schwellungen führen.

Mittel der ersten Wahl sind nicht steroidale Antirheumatika (NSAR), Colchicin und Glukokortikoide. Die Therapeutika werden individuell ausgewählt, da häufig Kontraindikationen und Begleiterkrankungen berücksichtigt werden müssen. Deshalb kommen vermehrt auch sehr teure Substanzen wie Interleukin- 1beta-Antikörper zum Einsatz. Schlägt die gewählte Therapie nicht innerhalb von 24 bis 72 Stunden an, muss ein anderer Wirkstoff gewählt werden.

Nicht steroidale Antirheumatika

Eine kurzfristige Therapie mit NSAR kann im akuten Gichtanfall die Schmerzen lindern und in geringem Maße der Schwellung entgegenwirken. Vorteil der Substanzen ist ihr schneller Wirkeintritt. Im Einsatz sind beispielsweise Naproxen (2 x tgl. 500 mg), Indometacin (3 x tgl. 50 mg) sowie die selektiven COX2-Inhibitoren Etoricoxib (120 mg 1 x tgl.) oder Celecoxib (bis max. 2 x tgl. 400 mg).

Mittel der Wahl sind NSAR, Glukokortikoide und Colchicin.

Colchicin

Das Hauptalkaloid der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale), Colchicin, ist ein Klassiker in der Therapie des Gichtanfalls. Der Mitosehemmstoff greift an einer Stelle an, die den bereits erwähnten Teufelskreis durchbricht. Dies geschieht durch eine Hemmung der „Fressfähigkeit“ (Phagozytoseaktivität) der Leukozyten. Problematisch sind allerdings seine geringe therapeutische Breite und die hohe Eiweißbindungskapazität. Dadurch kann der Wirkstoff im Körper bei mehrfacher Gabe kumulieren und toxische Wirkstoffspiegel erreichen.

Studien haben belegt, dass eine niedrig dosierte Einnahme von Colchicin ähnlich effektiv wirkt wie eine hoch dosierte Einnahme alle zwei Stunden. Und das bei spürbar weniger Nebenwirkungen. Besonders gastrointestinale Störungen treten in niedriger Dosierung weniger auf. Die aktuellen Leitlinien empfehlen die ein- bis dreimal tägliche Gabe von 0,5 Milligramm Colchicin, wobei die Dosierung an die Schwere des Gichtanfalls und bestehende Begleiterkrankungen wie Niereninsuffizienz angepasst wird.

Die Tagesdosis sollte laut Lauertaxe zwei Milligramm nicht überschreiten. Die Gesamtdosis pro Anfall von sechs Milligramm darf nicht überschritten werden, um Intoxikationen zu vermeiden. Danach soll mindestens drei Tage kein Colchicin mehr eingenommen werden. Eine akute Vergiftung äußert sich durch Erbrechen, Übelkeit und Bauchkrämpfe.

Glukokortikoide

Bei unzureichender Wirksamkeit oder bestehenden Kontraindikationen gegen NSAR und Colchicin sind Glukokortikoide eine gute Therapiealternative. Sie können systemisch gegeben werden, beispielsweise in Form von Prednisolon (0,5 mg/kg/KG). Ist nur ein einzelnes oder sind nur wenige Gelenke befallen, kann der Arzt Glukokortikoide direkt ins Gelenk (intraartikulär) spritzen. Der Wirkstoff Triamcinolonacetonid kann beim akuten Gichtanfall intramuskulär (60 mg i.m .) gespritzt werden. Auch eine Gabe direkt ins Gelenk ist möglich, wobei die Dosierung von der Größe des Gelenks und der Schwere der Symptome abhängig ist.

Interleukin-1beta-Antikörper

Das Zytokin Interleukin 1 (IL-1) nimmt als entzündungsfördernder Botenstoff eine Schlüsselrolle im akuten Gichtanfall ein, da es nicht nur die Gelenkentzündung unterhält, sondern auch die Zerstörung von Knochen und Knorpel fördert. Der Interleukin-1beta-Antikörper Canakinumab ist eine neue Therapieoption für den akuten Gichtanfall. Er ist hinsichtlich des Rückgangs von Schmerz, Gelenkschwellung und der Ausbildung von Rezidiven einer i.m.-Gabe von Glukokortikoiden überlegen. Allerdings ist der Wirkstoff sehr teuer und seit 2013 nur für Patienten zugelassen, die mindestens drei Anfälle in den vergangenen zwölf Monaten hatten und bei denen eine Kontraindikation gegen andere Therapeutika für den akuten Gichtanfall vorliegt.

Begleitende Maßnahmen

Beim akuten Gichtanfall sind Medikamente nicht alles. Die Ruhigstellung des Gelenks verschafft Erleichterung, wobei darauf geachtet werden sollte, durch Verwendung geeigneter Polster den Auflagedruck so gering wie möglich zu halten. Kühlpacks lindern die Beschwerden. Der Betroffene sollte nur leichte Kost zu sich nehmen und mit Hilfe reichlicher Trinkmengen die Nierentätigkeit anregen. Das unterstützt die Ausscheidung der Harnsäure.

Harnsäuresenkende Therapie

Ein wesentlicher Bestandteil der Gichttherapie besteht darin, überhöhte Serumharnsäurewerte in den Griff zu bekommen und durch Absenken der Harnsäurelast Auskristallisationen abzubauen. Eine Hyperurikämie liegt vor, wenn die Serumharnsäurewerte 6,8 Milligramm pro Deziliter (408 μmol/l) erreichen oder übersteigen. Dies kann anfangs ohne Begleitsymptome auftreten, doch spätestens ab dem zweiten Gichtanfall sowie Serumharnsäurewerte über 8,0 mg/dl (> 480 µmol/l) ist eine therapeutische Harnsäuresenkung angezeigt. Unter der Therapie sollte dauerhaft ein Zielwert von < 6 mg/dl (< 360 μmol/l) erreicht werden. Dieser sollte anfangs häufiger, später vierteljährlich überprüft werden.

Bei besonders schwerer Erkrankung werden sogar Harnsäurewerte von < 5 mg/dl (300 μmol/l) angestrebt, um die Symptomatik schneller unter Kontrolle zu bringen. Freiheit von Gichtanfällen und ein Rückgang der Tophi sind das Therapieziel, wobei der Rückgang der Tophi sehr lange dauern kann.

Therapiebeginn

Früher war es üblich, zunächst das vollständige Abklingen eines akuten Gichtanfalls abzuwarten, bevor mit der harnsäuresenkenden Therapie begonnen wurde. Das ist nach den aktuellen Behandlungsleitlinien nicht mehr erforderlich. Stattdessen sprechen sich die Leitlinien für einen sofortigen Therapiebeginn aus. Keinesfalls sollte eine bestehende Medikation abgesetzt werden, um zusätzliche Harnsäureschwankungen zu vermeiden.

Urikostatika

Im Purinstoffwechsel werden die Subs- tanzen Xanthin und Hypoxanthin durch das Enzym Xanthinoxidase zu Harnsäure abgebaut. Urikostatika wie Allopurinol und Febuxostat hemmen dieses Enzym kompetitiv. Dadurch wird weniger Harnsäure gebildet. Gleichzeitig werden die wasserlöslichen Substanzen Xanthin und Hypoxanthin über die Nieren ausgeschieden, was neue Ablagerungen von Harnsäurekristallen verhindert.

Allopurinol-- Als Mittel der Wahl gilt der Wirkstoff Allopurinol, zu dem bereits jahrzehntelange Erfahrungen vorliegen. Bei der Dosiseinstellung gilt das Prinzip „start low, go low“, was bedeutet, dass die Therapie mit einer niedrigen Dosis (100 mg bei normaler Nierenfunktion) eingeleitet wird. Zeigt sich eine gute Verträglichkeit, kann die Dosis alle zwei bis vier Wochen um 100 Milligramm gesteigert werden, bis sich die angestrebte Harnsäuresenkung eingestellt hat. Die Standarddosierung von Allopurinol liegt bei 300 Milligramm pro Tag. Zugelassen ist es bis zu einer Tageshöchstdosis von 800 Milligramm, die auf mehrere Gaben zu verteilen ist.

Wichtig-- Obwohl die Substanz allgemein als gut verträglich gilt, kann sich in seltenen Fällen ein lebensbedrohliches Allopurinol-Hypersensitivitätssyndrom ausbilden, das durch Ausschlag, Fieber, Nierenfunktionsstörungen, massiven Untergang von Leberzellen und einen Anstieg der Leukozyten charakterisiert ist. Das Syndrom kann zu einem Multiorganversagen führen, verbunden mit einer hohen Sterblichkeit. Deshalb sollten Hinweise auf allergische Symptome oder Harnverhalten zu Therapiebeginn sehr ernst genommen werden. Neben korrekter Indikationsstellung und einschleichender Dosierung dient eine laborchemische Überwachung der glomerulären Filtrationsrate zur Therapiesicherung. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass es für Asiaten eine genetische Prädisposition gibt, das Allopurinol-Hypersensitivitätssyndrom zu entwickeln.

Febuxostat-- Alternativ kann statt Allopurinol Febuxostat gegeben werden. Die Dosis beträgt 80 bis 120 Milligramm pro Tag. Für Febuxostat wurden solche schweren Hypersensitivitätssyndrome seltener beschrieben als für Allopurinol. Wegen Unterschieden in der Molekülstruktur beider Substanzen ist nicht mit Kreuzreaktionen zu rechnen. Nur in seltenen Fällen reagieren Patienten allergisch auf beide Substanzen.

Urikosurika

Zur Senkung des Harnsäurespiegels werden neben Urikostatika auch Urikosurika eingesetzt. Urikosurika sind Wirkstoffe zur Steigerung der Harnsäureausscheidung über die Nieren. Sie sind zur Add-on-Therapie indiziert, wenn die Xanthinoxidasehemmer nicht ausreichend wirken. Eine Monotherapie wird nur beim Vorliegen von Unverträglichkeiten gegen Allopurinol oder Febuxostat empfohlen.

Damit Urikosurika wie Benzbromaron und Probenecid wirken, müssen sie mit ausreichend Flüssigkeit eingenommen werden. Andernfalls droht die Entstehung von Harnsteinen. Liegen bereits Harnsteine vor oder besteht eine Niereninsuffizienz, sind die Substanzen kontraindiziert, ebenso, wenn die Produktion der Harnsäure erhöht ist, beispielsweise unter einer Chemotherapie oder bei einer entsprechenden erblich bedingten Stoffwechselstörung.

Urikolytika

Viele Säugetiere und Wirbellose besitzen ein Enzym namens Uricase, das den Abbau von Harnsäure zu Allantoin katalysiert. Bei Menschen und Menschenartigen ist jedoch das codierende Gen verloren gegangen. Prinzipiell können hier Uricasen, wie die aus dem Schimmelpilz Aspergillus flavus gewonnene Rasburicase, eingesetzt werden. Allerdings müssen die Enzyme intravenös verabreicht werden und verursachen als Fremdeiweiße häufig anaphylaktische (allergische) Reaktionen. Das schränkt ihren Einsatz stark ein. Rasburicase wird daher nur zur Vermeidung eines Tumorlysesyndroms eingesetzt. Ein solches tritt auf, wenn zu Beginn einer Chemotherapie aufgrund rascher Tumorzersetzung Harnsäure stark anflutet, was zu einem Nierenversagen führen kann. Dementsprechend darf das Medikament nur unter engmaschiger Überwachung verabreicht werden. Mehr als ein Behandlungszyklus wird nicht empfohlen.

Compliance

Im akuten Anfall soll das Gelenk ruhig gestellt werden.

Während beim akuten Gichtanfall bereits das dramatische Schmerzgeschehen die Patienten dazu bringt, die verordneten Medikamente einzunehmen, braucht es für die regelmäßige Einnahme der Harnsäuresenker deutlich größere Überzeugungskraft. Eine gute Aufklärung über das Wesen der Erkrankung sowie regelmäßige Kontrollen von Symptomen und Harnsäurewerten fördern die Compliance (Adhärenz). Vor allem jüngere Menschen zeigen im Vergleich zu Patienten mit anderen chronischen Erkrankungen eine schlechte Therapieadhärenz und neigen dazu, gar nicht erst mit der Einnahme zu beginnen. Immerhin sollte die Medikation bei anfänglicher Symptomfreiheit fünf Jahre lang erfolgen. Liegen bereits Tophi vor, wird die Therapie fünf Jahre bis nach dem Rückgang der Tophi fortgeführt. Zum Therapieende sollten die Harnsäurespeicher nach Möglichkeit vollständig entleert sein. Immerhin eröffnen die Leitlinien (www.awmf.org) die Möglichkeit, die Therapie auszusetzen, wenn klinisch keine Symptome vorliegen und sich die Harnsäurewerte auf ein Normalniveau eingespielt haben.

Anfallsprophylaxe

Nach dem Anfall ist vor dem Anfall. So erleiden ohne harnsäuresenkende Therapie 62 Prozent der Patienten nach einem ersten Gichtanfall einen weiteren innerhalb eines Jahres, 89 Prozent erleben innerhalb von fünf Jahren ihr erstes Rezidiv. Allgemein muss damit gerechnet werden, dass sich die symptomfreien Intervalle zwischen den akuten Gichtanfällen im Lauf der Zeit verkürzen. Häufigkeit, Dauer und Schweregrad der Anfälle sowie die Anzahl der betroffenen Gelenke nehmen dagegen zu.

Auch unter einer alleinigen harnsäuresenkenden Therapie können akute Gichtanfälle auftreten. Gerade zu Beginn der Therapie verursacht die Absenkung des Harnsäurespiegels eine Umverteilung der Harnsäure im Körper; das bedeutet, Harnsäureablagerungen werden mobilisiert. Durch den nun wieder steigenden Harnsäurespiegel kann es zu einem Rezidiv kommen. Deshalb ist grundsätzlich eine zusätzliche Anfallsprophylaxe notwendig.

Behandlungsschema

Die Leitlinien empfehlen, mit dem Beginn einer harnsäuresenkenden Therapie für drei bis sechs Monate eine Anfallsprophylaxe mit niedrig dosiertem Colchicin durchzuführen. Bei Unverträglichkeit oder Gegenanzeigen für Colchicin werden zur Anfallsprophylaxe NSAR oder Glukokortikoide in niedriger Dosierung eingenommen. Beim Einsatz von Glukokortikoiden ist zudem auf eine Osteoporoseprophylaxe zu achten mit der Gabe von Vitamin D, Sicherstellung einer ausreichenden Calciumzufuhr und einem entsprechenden Bewegungsangebot.

Bevor die Prophylaxe beendet wird, sollte der Patient mindestens drei Monate lang anfallsfrei sein, keine Tophi aufweisen und eine stabile Senkung der Serumharnsäure unter sechs Milligramm pro Deziliter nachweisen.

Wussten Sie, dass ...
  • manche Arzneistoffe den Serumharnsäurespiegel beeinflussen?
  • niedrig dosierte ASS, Schleifendiuretika, Thiazide und Beta-Blocker zu diesen gehören?
  • es auch Wirkstoffe gibt, die als Nebeneffekt die Harnsäureausscheidung erhöhen?
  • dieser Nebeneffekt bei dem Lipidsenker Fenofibrat und dem Blutdruckmittel Losartan beobachtet worden ist?

Ergänzende Maßnahmen

Gicht wurde bis ins 19. Jahrhundert als Krankheit der Könige bezeichnet, da sie in Zusammenhang mit Bewegungsarmut und bestimmten Nahrungsmitteln steht, die früher eher auf den Tafeln reicher Adeliger zu finden waren. Heute ist die Gicht eine Volkskrankheit, was auf den modernen Lebensstil zurückzuführen ist, der allzu oft durch Bewegungsarmut und Übergewicht geprägt ist.

Lebensmittel

Harnsäure ist ein Abbauprodukt von Purinen, die als Bausteine des Zellkerns in fast allen Lebensmitteln zu finden sind. Dennoch gibt es große Unterschiede. Besonders purinhaltige Nahrungsmittel sind Innereien wie Leber, Niere, Herz und Lunge. Aber auch Ölsardinen und Sardellen sowie die Haut von Geflügel, Schwein und Fisch enthalten große Mengen der Harnsäurelieferanten und sollten daher von Gichtpatienten möglichst gemieden werden.

In Maßen sind dagegen Lebensmittel mit einem mittleren Puringehalt zu empfehlen wie Hülsenfrüchte, Kohlsorten, Spinat und Spargel. Tierische Lebensmittel wie fettarmes Fleisch von Geflügel, Schwein oder Rind sowie viele Seefische (u. a. Lachs und Kabeljau) fallen ebenfalls in diese Rubrik. Purinfreie oder zumindest purinarme Nahrungsmittel sind Getreide, Kartoffeln, Obst, Blattsalat und beinahe alle Gemüsesorten. Eier und fettarme Milchprodukte gehören ebenfalls zu den empfehlenswerten Lebensmitteln für Gichtkranke.

Bei einer purinarmen Diät werden weniger als drei Gramm Harnsäure pro Woche aufgenommen. Als Faustregel gilt, höchstens 100 Gramm Fleisch oder Wurst einmal am Tag zu essen und den Alkoholkonsum auf ein Glas Bier oder Wein zu beschränken.

Gewusst wie

Ein wesentlicher Faktor bei der Purinaufnahme spielen Lagerung und Zubereitung der Nahrungsmittel. So werden durch längere Lagerung Purine bereits vorab aufgeschlossen. Ihre Bestandteile können demnach schneller im Organismus anfluten. Gegenüber Braten gilt Kochen als die günstigere Zubereitungsart, da zehn bis 20 Prozent der Purine ins Kochwasser übergehen, das deshalb abgeschüttet werden sollte. Darüber hinaus ist es vorteilhaft, die Haut von Fisch und Geflügel nicht mitzuessen.

Getränke

Über eine Hemmung der Harnsäureausscheidung erhöht Alkohol per se die Harnsäurekonzentration im Blut. Deshalb ist der Genuss von Wein und Bier oder gar Höherprozentigem für Gichtpatienten ungeeignet. Bier enthält darüber hinaus selbst beachtliche Purinmengen, weshalb die alkoholfreien Sorten nur geringfügig günstiger sind.

Kaffee, schwarzer oder grüner Tee, Mateblätter, Guarana und Kakao sowie Genussmittel wie Cola oder Energy-Drinks enthalten Coffein, das zu den Purinalkaloiden gehört. Heute weiß man, dass diese den Harnsäurespiegel nicht beein- flussen.

Mittlerweile haben Forscher jedoch einen ganz anderen Harnsäurelieferanten im Visier: Fruktose, die in vielen Softdrinks enthalten ist, fördert im Energiestoffwechsel die Bildung von Adenosinmonophosphat (AMP), das ebenfalls zu Harnsäure verstoffwechselt wird. Laut den Ergebnissen einer Studie von Hyon K. Choi von der University of British Columbia, Vancouver, erhöht sich das Gichtrisiko um 45 Prozent, wenn täglich ein Softdrink konsumiert wird. Bei zwei oder mehr Softdrinks liegt die Risikozunahme sogar bei 85 Prozent.

Patientenschulung

Bei vielen Gichtpatienten mangelt es an der notwendigen Therapietreue, was schmerzhaft mit wiederkehrenden Gichtattacken zu Buche schlägt. Langfristig können sich massive Gelenkschäden mit nachhaltiger Bewegungseinschränkung einstellen. Es ist also unbedingt im Sinne des Kunden, ihn im Beratungsgespräch in der Apotheke immer wieder zur Anpassung seines Lebensstils, der regelmäßigen Einnahme seiner Gichtmedikamente und zur Kontrolle der Harnsäurewerte zu ermuntern. Der positive Effekt wirkt sich nicht nur auf die Gichterkrankung selbst aus, sondern auch auf die möglichen Komorbiditäten, wie Nierenschäden und Herzkreislauferkrankungen, die mit einer Gicht einhergehen können.

Kommentar schreiben

Die Meinung und Diskussion unserer Nutzer ist ausdrücklich erwünscht. Bitte achten Sie im Sinne einer angenehmen Kommunikation auf unsere Netiquette. Vielen Dank!

Pflichtfeld *
Inhaltsverzeichnis