Herpesviren: Wiederholungstäter

Nach einer Erstinfektion verbleiben sie lebenslang im menschlichen Organismus. Kann die Immunabwehr die ungebetenen Gäste nicht mehr in Schach halten, können sie eine Zweitinfektion auslösen.

von Dr. Ute Koch
28.06.2024

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© Foto: ryanking999 / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell)
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  • Herpesviren verbleiben nach der Erstinfektion lebenslang im Körper und können im Laufe des Lebens eine Zweitinfektion auslösen.
  • Die Erstinfektion mit dem Herpes-simplex-Virus (HSV) verläuft zumeist symptomlos, die HSV-Zweitinfektion ist der Lippenherpes.
  • Die Mundfäule ist eine seltene symptomatische HSV-Erstinfektion.
  • Die Erstinfektion mit dem Varizella-Zoster-Virus (VZV) löst nahezu immer die Windpocken aus. Die Zweitinfektion führt zur Gürtelrose.
  • Impfstoffe sind verfügbar zur Prophylaxe von Windpocken sowie Gürtelrose.

Es ist die Besonderheit der Herpesviren, dass sie sich nach einer Erstinfektion lebenslang im Organismus „verstecken“ (Latenzstadium), wieder aktiv werden können und eine Zweitinfektion auslösen (s. Tab. unten). Je nach Herpesvirus kann die Erstinfektion symptomlos verlaufen, wie es beim Herpes-simplex-Virus (HSV) meist der Fall ist. Wird HSV aus seinem Latenzstadium reaktiviert, kommt es zu Lippenherpes (Herpes labialis) oder zu Genitalherpes (H. genitalis).

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Ein weiteres Beispiel ist das Varizella-Zoster-Virus (VZV), das bei Erstkontakt nahezu immer die Windpocken (Varizellen) auslöst und im späteren Leben zur Gürtelrose (Herpes zoster) führen kann. Im Rahmen der Erstinfektion dringen sowohl HSV als auch VZV in die Haut oder Schleimhaut ein und wandern dann entlang dortiger Nervenbahnen in Nervenknoten (Ganglien), in denen sie jeweils ihr Latenzstadium einnehmen.

Krankheitsbilder

Lippenherpes

HSV tragen etwa neun von zehn Erwachsene in sich. Bei rund einem Drittel der Virusträger kommt es zu wiederholt auftretenden Bläschenschüben – in aller Regel an den Übergängen zwischen Haut und Schleimhaut, daher am häufigsten an den Lippen, aber auch an den Naseneingängen. Bereits eine geringe, vorübergehende Schwäche des Immunsystems kann zur HSV-Reaktivierung führen, ausgelöst durch körperliche oder seelische Belastung, Ekel, Stress, intensive Sonnenbäder und/oder fieberhafte Infekte (daher auch Fieberbläschen genannt). Bei Bedarf kann ein Lippenherpes mit dafür zugelassenen rezeptfreien Präparaten (z. B. mit lokalen Virustatika) behandelt werden. Diese können – rechtzeitig angewendet – die Dauer und Intensität eines Bläschenschubes mindern.

Herpesviren verbleiben nach der Erstinfektion lebenslang im Körper. 
 

Mundfäule

Die HSV-Erstinfektion erfolgt zumeist in der Kindheit. Eine der äußerst wenigen symptomatischen HSV-Erstinfektionen ist die Mundfäule (Gingivostomatitis herpetica, Stomatitis aphtosa). Betroffen sind vor allem Kleinkinder, die sich bei einem infizierten Familienmitglied angesteckt haben. Typisch sind der namensgebende unangenehme Mundgeruch, außerdem zahlreiche schmerzhafte Bläschen in der Mundhöhle, hohes Fieber, geschwollene Lymphknoten und starker Speichelfluss. Bei sonst gesunden Kindern heilt die Infektion nach rund ein bis zwei Wochen von allein ab. Linderung verschaffen schmerzlindernde Lokaltherapeutika oder systemische fiebersenkende Schmerzmittel (z. B. mit Ibuprofen, Paracetamol). Aufgrund der Schmerzen im Mund sollte das Kind weiche und gekühlte Nahrungsmittel erhalten. Die Mundfäule ist (wie auch der Lippenherpes) hochansteckend.

Windpocken

Die Windpocken erhielten ihren Namen, weil sie hochansteckend sind („wie vom Wind übertragen werden“) und der Hautausschlag dem der echten Pocken ähnelt. Im Gegensatz zu letzteren treten die Hautläsionen bei Windpocken nach und nach auf, wodurch ihre verschiedenen Entwicklungsstadien (Papeln, Bläschen und Schorf) gleichzeitig vorliegen. Da dieses Windpocken-typische Hautbild wie ein Sternenhimmel aussieht, wird es in der Dermatologie „Sternenkarte“ genannt. Bei komplikationslosem Verlauf heilt der stark juckende Ausschlag nach drei bis fünf Tagen von allein ab. Starkes Kratzen und bakterielle Superinfektionen können Narben hinterlassen.

Daher sollten juckreizlindernde Medikamente zum Einsatz kommen und die Fingernägel des Kindes kurz geschnitten werden. Nennenswert sind auch schwere bis tödliche Krankheitsverläufe, insbesondere bei Neugeborenen sowie bei Personen mit einer Immunschwäche oder unter einer immunsuppressiven Therapie. Ganz allgemein erkranken Erwachsene schwerer als Kinder. Besonders kritisch ist eine Windpockeninfektion in der Schwangerschaft. Es besteht ein hohes Risiko schwerster kindlicher Fehlbildungen und einer Totgeburt, zudem Lebensgefahr für die werdende Mutter.

Gürtelrose

Je älter ein Mensch ist, desto größer ist sein Risiko, an einem Herpes zoster zu erkranken. Begründet ist dies darin, dass etwa ab dem 50. Lebensjahr die Aktivität des Immunsystems zunehmend nachlässt und VZV wieder aktiv werden kann. Ein weiterer Hauptrisikofaktor ist eine geschwächte Immunabwehr, beispielsweise aufgrund einer malignen Erkrankung, HIV-Infektion oder medikamentösen Immunsuppression. Typisch für den Bläschenausschlag ist, dass er sich auf ein Dermatom beschränkt (s. Abb. unten). Zudem kann er immens schmerzhaft sein, insbesondere bei älteren Menschen. Eine Gürtelrose erfordert einen raschen Arztbesuch. Systemische Virustatika (rezeptpflichtig) sind nur wirksam, wenn der Therapiebeginn binnen zwei Tagen nach Auftreten des Hautausschlages erfolgt. Außerdem ist bei Bedarf eine adäquate Schmerztherapie erforderlich. Virustatika und Analgetika lindern akute Beschwerden und beugen Spätfolgen vor, allen voran der postzosterischen Neuralgie (Postzosterneuralgie, PZN).

Das Risiko für eine PZN, die unerträglich schmerzhaft sein und jahrelang anhalten kann, steigt mit zunehmendem Lebensalter. Ansteckungsgefahr bei einer Gürtelrose besteht lediglich beim Berühren der Bläschen. In der Folge kann eine seronegative Person an Windpocken (= Erstinfektion) erkranken, nicht jedoch an einer Gürtelrose. Seronegativ bedeutet: bisher ungeimpft, noch keine Windpocken durchgemacht oder bei serologischem Test keine spezifischen Antikörper gefunden. Gründliches Händewaschen schützt vor einer VZV-Weitergabe.

Grafik: Dermatome und sie versorgende Spinalnerven


© Foto: Grafik: DAS PTA MAGAZIN / Illustration: [M] VectorMine / stock.adobe.com

Ein Dermatom ist ein Hautareal, das vom Spinalnerv eines bestimmten Wirbelsäulenabschnitts sensibel versorgt wird.

Impfungen

Varizellen-Impfung

Die Impfung gegen Windpocken erfolgt mit einem attenuierten (stark abgeschwächten) Lebendimpfstoff, in Form eines Mono-Impfstoffes oder eines Kombi-Impfstoffes (Masern-Mumps-Röteln-Varizellen, MMRV). Die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) empfiehlt die Varizellen-Impfung als Standardimpfung für alle Kinder im Alter von elf bis 14 Monaten (1. Impfung) und zusätzlich im Alter von 15 bis 23 Monaten (2. Impfung). Ist die Immunisierung in diesem Alter nicht erfolgt, kann sie bis zum 18. Geburtstag nachgeholt werden. Auch seronegative Personen mit hohen gesundheitlichen Risiken sollten sich gegen Windpocken impfen lassen, beispielsweise vor Beginn einer immunsuppressiven Therapie und Frauen mit Kinderwunsch.

Wie das Wildvirus verbleibt auch das Impfvirus im Organismus. Da es sich beim Impfvirus im Vergleich zum Wildvirus um eine stark abgeschwächte Variante handelt, ist die Wahrscheinlichkeit einer Reaktivierung gering. Auch verläuft ein durch das Impfvirus ausgelöster Herpes zoster zumeist leichter als ein durch das Wildvirus ausgelöster.

Beispiele für humane Herpesviren und mögliche Krankheiten

Virus

Erstinfektion

Zweitinfektion

Herpes-simplex-Virus (HSV1/HSV2)

zumeist symptomlos

Lippen-, Genitalherpes, Mundfäule

Varizella-zoster-Virus (VZV)

Windpocken

Gürtelrose

Cytomegalievirus (CMV)

zumeist symptomlos

schwere Komplikationen bei Immunsuppression

Epstein-Barr-Virus (EBV)

Pfeiffersches Drüsenfieber

Zweitinfektion unbekannt (wird aber für bestimmte Krebserkrankungen verantwortlich gemacht)

Quelle: Springer Medizin

Herpes-zoster-Impfung

Für die Impfung gegen Gürtelrose sind zwei Impfstoffe am Markt, ein attenuierter Lebendimpfstoff und ein Totimpfstoff. Letzteren empfiehlt die STIKO als Standardimpfung für alle Erwachsenen ab 60 Jahren und als Indikationsimpfung für Erwachsene ab 50 Jahren mit angeborener bzw. erworbener Immunschwäche (z. B. HIV-Infektion, rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus erythematodes, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen oder Asthma bronchiale, chronische Niereninsuffizienz und Diabetes mellitus). Appliziert werden zwei Impfstoffdosen im Abstand von mindestens zwei bis maximal sechs Monaten. Die Impfung schützt sowohl vor einer Gürtelrose als auch vor einer PZN, ebenso vor jeweils schweren Verlaufsformen. Der Verdacht, die Impfung könnte einen Herpes zoster auslösen, wurde anhand einer aktuellen Studie widerlegt.

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