Insulin-Purging: Erbrechen über die Nieren

Wenn insulinpflichtige Diabetiker absichtlich auf Insulin verzichten oder die Dosis verringern, um Gewicht zu reduzieren, spricht die Fachwelt von Insulin-Purging. Umgangssprachlich wird diese Methode auch als „Erbrechen über die Nieren“ bezeichnet.

von Kirsten Bechtold
30.07.2024

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© Foto: Peakstock / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotmodell)
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Essstörungen wie Bulimie, Binge-Eating oder Anorexie treten bei jungen Frauen mit Typ-1-Diabetes fast doppelt so häufig auf wie bei stoffwechselgesunden Altersgenossinnen, berichtet die Deutsche Diabetes Hilfe auf ihrer Internetseite. Ein Grund hierfür ist die mögliche Gewichtszunahme unter der Insulintherapie. Diese verursacht vor allem bei jüngeren Typ-1-Diabetikerinnen einen großen Leidensdruck.

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Seit ein paar Jahren rückt nun eine neue Form des gestörten Essverhaltens in den Fokus: das Insulin-Purging (engl. purging = abführen, reinigen), das auch als Diabulimie bezeichnet wird. Hierbei wird ohne Rücksicht auf gesundheitliche Folgen die Insulindosis verringert, oder es werden einzelne Dosen ausgelassen, ohne dass die behandelnden Ärzte oder Angehörigen etwas mitbekommen.

Beim Insulin-Purging handelt es sich allerdings nicht um eine klassische Essstörung, sondern vielmehr um eine „diabetesspezifische gegenregulatorische Maßnahme im Zusammenhang mit einer realen oder ängstlich antizipierten Gewichtszunahme“, beschreibt die Ernährungs-Umschau das Phänomen. Daher könne Insulin-Purging auch bei nicht essgestörten Personen auftreten.

Glukose in Blut und Urin ist nicht harmlos.

Das Prinzip

Bei Typ-1-Diabetes zerstört das körpereigene Immunsystem die insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Daher müssen Erkrankte Insulin spritzen, damit mit der Nahrung aufgenommene Glukose in den Körper aufgenommen und zur Energiegewinnung genutzt werden kann.

Fehlt Insulin oder ist die Konzentration zu gering, steigt der Blutglukosespiegel. Ab einer bestimmten Konzentration (Nierenschwelle) wird die Glukose zum Teil über die Nieren beziehungsweise letztendlich mit dem Urin ausgeschieden. Wer sich für Insulin-Purging entscheidet, nutzt dieses Prinzip bewusst, damit die mit dem Essen aufgenommene Energie ungenutzt ausgeschieden wird („Erbrechen über die Nieren“). Doch dieses Verhalten birgt ein hohes Gesundheitsrisiko. Denn ein dauerhafter Glukoseüberschuss im Blut schädigt Gefäße und Nerven irreversibel. Somit ist Insulin-Purging alles andere als ein harmloser Trend zur Gewichtsreduktion.

Störung entdecken

Angehörige und Ärzte sollten auf unerklärlich schlechte metabolische Werte sowie wiederkehrende Ketoazidosen achten. Sie könnten ein Hinweis auf Insulin-Purging sein. Ohne Anlass sollte das Thema jedoch nicht angesprochen werden, raten Experten von der Deutschen Diabetes-Gesellschaft. Denn „ein nicht vorhandenes Problem kann, insbesondere bei Jugendlichen, durch explizites Hinführen zu einem Problem werden.“ Sollte sich ein Verdacht bestätigen, ist eine interdisziplinäre Therapie sinnvoll. Wie bei anderen Essstörungen kann eine solche langwierig sein.

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