Klimawandel: Allergien nehmen zu

Die Folgen des Klimawandels zeigen sich nicht nur in Naturkatastrophen. Sie wirken sich auch auf die Gesundheit oder den Umgang mit Medikamenten aus. In Teil 1 unserer kleinen Serie liegt der Fokus auf Allergien.

von Kirsten Bechtold
30.04.2024

Baumpollen vor einem See
© Foto: jgn71 / stock.adobe.com
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  • Der Klimawandel verändert die Dauer der Pollenflugsaison, sorgt für mehr Pollen in der Luft und fördert das Einwandern neuer, potenziell allergener Pflanzen.
  • Allergiker werden künftig länger und stärker mit Symptomen zu kämpfen haben, vor allem dann, wenn sie auf verschiedene Pollen allergisch reagieren.
  • Im Zusammenhang mit klimatischen Veränderungen beobachten Experten das Phänomen „Gewitterasthma“.
  • Es wird zunehmend wichtiger, Allergiker frühzeitig über kausale immunmodulierende, aber auch über symptomale Therapien zu informieren.

Heute gibt es mehr allergische Erkrankungen als noch vor einigen Jahrzehnten, sie treten tendenziell früher erstmals auf und sind im Verlauf schwerer. Schätzungen zufolge sind zurzeit in Deutschland rund 20 bis 30 Millionen Menschen von Allergien betroffen. Wie es im Journal of Health Monitoring 2023, herausgegeben vom Robert Koch-Institut (RKI), Berlin, heißt, ging die Zunahme allergischer Erkrankungen mit zeitgleich stattfindenden Veränderungen im Lebensstil und in der Umwelt einher. Vor allem Inhalationsallergien haben dem Bericht zufolge ein epidemisches Ausmaß erreicht. Darunter zu verstehen sind allergische Reaktionen auf Stoffe, die durch die Luft verbreitet werden, also beispielsweise die allergische Rhinitis oder das allergische Asthma.

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Frühere Pollensaison

Allergische Atemwegserkrankungen werden am häufigsten von Pollen beziehungsweise den darin enthaltenen Allergenen ausgelöst. Typische Pflanzen mit allergierelevanten Pollen sind Hasel, Erle, Birke, Eiche, Gräser und Beifuß.

Da die Pflanzenentwicklung und damit auch die Pollensaison maßgeblich vom Zusammenspiel von Temperatur und Niederschlag abhängt, ändert sich mit dem Klimawandel auch die phänologische Entwicklung der pollenproduzierenden Pflanzen. Das heißt, die entsprechenden Pflanzen blühen zeitiger, allergische Symptome setzen früher ein. Das ist vor allem bei den Frühblühern zu beobachten. Hier fliegen die Pollen etwa zwei bis drei Wochen eher als noch vor ein paar Jahrzehnten. Der Flug von Gräserpollen hat sich dem RKI-Bericht zufolge weniger stark verändert.

Manchmal klagen Allergiker schon über juckende Augen oder eine laufende Nase, obwohl vor Ort noch gar keine Pollen fliegen. Diese Menschen sind keine Hypochonder. Denn Pollen können über weite Strecken transportiert werden.

Experten gehen davon aus, dass sich der Trend zu einer verfrühten Pollensaison – und auch einer Verlängerung der Gräser- und Kräuterpollensaison bis in den Herbst hinein – mit fortschreitendem Klimawandel weiter fortsetzen wird. Dadurch haben alle, die sowohl auf Baum- als auch auf Gräser- und Kräuterpollen allergisch reagieren, länger Symptome. Das ist insofern problematisch, als Menschen mit Polysensibilisierungen grundsätzlich schon ein höheres Risiko für schwere Beschwerden und Asthma haben. Eine verlängerte Expositionszeit verstärkt dieses noch.

Frühblüherpollen fliegen heute zwei bis drei Wochen eher.

 

Steigende Pollenmengen

Ein Anstieg der Kohlendioxid-Konzentration in der Luft lässt Experten zufolge erwarten, dass mehr Pollen produziert werden. Hohe Pollenkonzentrationen treten auch in Mastjahren auf, also in Jahren, in denen bestimmte Baumarten verstärkt Samen produzieren. Das ist zum Beispiel bei der Buche etwa alle drei bis sechs Jahre der Fall. Auch hier zeichnet sich ab, dass mit dem Klimawandel Mastjahre in schnellerer Abfolge vorkommen. Selbst wenn die Pollen von Buche oder Eiche ein eher geringes allergenes Potenzial haben, erhöht sich die Allergenbelastung durch Kreuzreaktivitäten auf botanisch verwandte Arten wie Birke, Erle und Hasel.

Ein weiterer Aspekt ist, dass die Konzentration freier Allergene mit der Luftfeuchtigkeit steigt. Damit hängt es nicht nur vom Ausmaß des Pollenflugs, sondern auch von den klimatischen Bedingungen ab, wie stark jemand unter seiner Allergie leidet.

Darüber hinaus zeigen experimentelle Studien, dass die kombinierte Wirkung von Pollen und Luftschadstoffen das allergene Potenzial der Pollen verstärken kann. Denn Wechselwirkungen verändern aktuellen Kenntnissen zufolge unter anderem die biologischen und reproduktiven Funktionen der Pollen sowie die physikalisch-chemischen Eigenschaften der Pollenoberflächen.

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Verändertes Pollenspektrum

Experten gehen davon aus, dass sich mit den Klimaveränderungen auch das Spektrum allergener Pollen in Deutschland ändern wird. So wird es vermehrt frei wachsende, nicht heimische Pflanzen geben, die große Mengen Pollen mit hohem Potenzial für eine Sensibilisierung beziehungsweise Allergie produzieren.

Eine solche Pflanze, die bereits in Deutschland angekommen ist und zunehmend für allergische Beschwerden sorgt, ist Ambrosia artemisiifolia. Hier scheinen die aktuellen Veränderungen des Klimas das Wachstum der Beifuß-Ambrosie und deren Pollen- beziehungsweise Allergenproduktion zu fördern. Weitere potenzielle Allergiekandidaten sind das Aufrechte Glaskraut (Parietaria officinalis) und der Götterbaum (Ailanthus altissima), aber auch Olivenbäume und Zypressen.

Gewitterasthma

Mit der Zunahme von Extremwetterereignissen steigt auch das Potenzial für Gewitterasthma. Darunter versteht man schwere Asthmaanfälle oder auch starke Symptome einer allergischen Rhinitis, bei der das Anschwellen der Nasenschleimhaut Beschwerden beim Atmen verursacht. Sie treten vor allem bei Menschen mit allergischer Rhinitis und Asthma bei Gewitter auf, wurden aber auch schon bei Menschen beobachtet, die nur an Heuschnupfen litten.

Die starken allergischen Beschwerden sind vorrangig im späten Frühjahr und Sommer zu beobachten. Sie fangen in der Regel etwa 20 bis 30 Minuten nach Beginn eines Gewitters an.

Es gibt mehrere Theorien, warum das so ist. Unter anderem erklären Forschende das Phänomen damit, dass bei Gewitter besonders viele Gräser-, Baum- und Kräuterpollen oder Pilzsporen aufgewirbelt werden, sich die Pollen elektrostatisch aufladen, bei hoher Luftfeuchtigkeit aufquellen und schließlich platzen können. Die allergenen Bestandteile werden dadurch kleiner und lungengängig. Beim Einatmen gelangen größere Mengen auch in tiefere Bereiche der Atemwege.

Serie Klimawandel

05/2024 Allergien nehmen zu
06/2024 Medikamente richtig lagern
07/2024 Hitzerelevante Medikamente

Fazit

Klimatische Veränderungen – zunehmend heißere und trockenere Sommer sowie mildere und niederschlagsreichere Winter – beeinflussen Flora und Fauna. Das hat auch Auswirkungen auf Inhalationsallergene und damit auf die Prävalenz allergischer Erkrankungen. Polysensibilisierte Pollenallergiker leiden zunehmend fast ganzjährig unter Allergiesymptomen. Neben einer effektiven Bekämpfung der Symptome beispielsweise auch im Rahmen der Selbstmedikation, wird es umso wichtiger, Allergiker frühzeitig über kausale immunmodulierende Therapien zu informieren. Zur Verfügung steht die allergenspezifische Immuntherapie (De- bzw. Hyposensibilisierung) in subkutaner oder sublingualer Form.

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