Klimawandel: Hitze verstärkt Nebenwirkungen

Hitze ist nicht nur per se eine enorme Belastung für den Organismus und kann chronische Erkrankungen lebensbedrohlich verschlechtern. Einige Medikamente können das Gesundheitsrisiko zusätzlich verstärken.

von Kirsten Bechtold
28.06.2024

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© Foto: piyaset / Getty Images / iStock
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  • In Hitzeperioden ist der Organismus stark belastet. Chronische Erkrankungen können sich lebensgefährlich verschlechtern.
  • Einige Arzneimittel und Wirkstoffgruppen entfalten bei Hitze gefährliche Nebenwirkungen und verstärken das Gesundheitsrisiko.
  • Zu den hitzerelevanten Medikamenten(-gruppen) zählen Anticholinergika, Antihypertensiva und Diuretika.
  • Patienten mit Dauermedikation sollten mit ihrem Arzt über eine Dosisanpassung oder Alternativen sprechen.
  • Auch einige freiverkäufliche Arzneimittel können hitzebedingte Probleme verstärken, zum Beispiel Antihistaminika und NSAR.

Grundsätzlich gilt bei hohen Temperaturen: ausreichend trinken, den Körper kühl halten, leicht verdauliche Mahlzeiten verzehren und sich im Freien vor Sonne schützen. So können direkte Folgen einer starken Hitzebelastung wie Dehydrierung, Hitzekrämpfe, -kollaps, -erschöpfung und Hitzschlag verhindert werden.

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Für chronisch Kranke sind Hitzeperioden, also mehrere aufeinanderfolgende Tage mit ungewöhnlich hohen Temperaturen, eine noch größere Herausforderung als für Gesunde. In Folge können sich Atemwegs-, Nieren- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus und psychische Erkrankungen verschlechtern. Bekannt ist, dass Schlaganfälle sich häufen. Es kann zu vorzeitigen Todesfällen kommen. Wissenschaftler berichten im Journal of Health Monitoring des Robert Koch-Instituts 2023 beispielhaft von einer Studie. Für diese wurde berechnet, dass die Morbidität an Herz-Kreislauf-Erkrankungen während einer Hitzeperiode um 2,2 Prozent pro einem Grad Celsius Lufttemperaturzunahme steigt. Besonders gefährdet ist die Altersgruppe ab 75 Jahren. Hier steigt die Zahl der Todesfälle in heißen Wochen regelmäßig an.

Neben der Intensität und Dauer der Hitzeperiode wird die Zahl der Sterbefälle davon beeinflusst, wie erfolgreich Anpassungsmaßnahmen umgesetzt werden konnten. In diesem Zusammenhang sind Anpassungen der Medikation ein wesentlicher Faktor. Denn während einer Hitzewelle steigt auch das Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen einiger Arzneimittel. Die zugrunde liegenden Mechanismen betreffen die Thermoregulation und Schweißproduktion sowie eine veränderte Pharmakokinetik (schnellere Absorption, verlangsamte Elimination).

Sensibilisieren Sie Ihre Kunden für dieses Thema. Oftmals helfen eine Dosisanpassung oder eine kurzzeitige Umstellung der Medikation, das Risiko zu senken. Hierzu ist immer Rücksprache mit dem Arzt zu halten. Manche der hitzerelevanten Medikamente sind nicht verschreibungspflichtig. Bei der Abgabe solcher Präparate ist es besonders wichtig, die Kundschaft auf potenzielle Risiken während Hitzeperioden hinzuweisen.

Medikation überprüfen

Die Körperkerntemperatur des Menschen muss stets 36 bis 37,5 Grad Celsius betragen. Das gewährleistet der menschliche Organismus vor allem über zwei Mechanismen: das Weit- oder Engstellen der Blutgefäße sowie das Ankurbeln oder Drosseln der Schweißproduktion. Bei großer Hitze sorgen erweiterte Blutgefäße und mehr Schweiß dafür, dass Wärme in die Umgebung abgegeben und der Körper heruntergekühlt wird.

Einige Medikamente behindern diese Mechanismen, indem sie die Durchblutung der Haut beeinträchtigen oder die Schweißproduktion hemmen. Darüber hinaus gibt es Arzneimittel, die Elektrolytverluste begünstigen, was Herz-Kreislauf-Probleme verstärken kann. Besonders kritisch in diesem Zusammenhang sind blutdrucksenkende oder entwässernde Präparate, die bei Hitze gefährliche Nebenwirkungen entwickeln können – aber auch eine ganze Reihe anderer. Einige Beispiele stellen wir Ihnen im Folgenden vor.

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© Foto: kzenon / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodellen)

Während einer Hitzeperiode sind Menschen ab 75 Jahren besonders gefährdet. Hier steigt die Zahl der Todesfälle in heißen Wochen regelmäßig an.

Anticholinergika

Medikamente mit anticholinerger Wirkung hemmen die zentrale Temperaturregulation, sodass weniger Schweiß produziert wird. Bei großer Hitze kann das fehlende Schwitzen zum Problem werden. Dies äußert sich in Konzentrationsstörungen oder Blutdruckabfall.

Typische Vertreter mit anticholinerger Wirkung sind die Antipsychotika Clozapin, Risperidon und Haloperidol. Auch Antidepressiva wie Amitriptylin und Doxepin, das Anti-Parkinson-Arzneimittel Biperiden, urologische Spasmolytika wie Trospiumchlorid, Antiepileptika wie Carbamazepin, stark wirksame Schmerzmittel wie Tramadol und Morphin sowie verschiedene Benzodiazepine (z. B. Lorazepam, Oxazepam) und Muskelrelaxanzien wie Tizanidin gehören dazu.

Zu den hitzekritischen anticholinerg wirkenden Medikamenten, die ohne Rezept erhältlich sind, zählen Antihistaminika wie Dimetinden (z. B. Fenistil Tropfen), Diphenhydramin (z. B. Vivinox), Doxylamin (z. B. Hoggar) und Dimenhydrinat (z. B. Vomex) sowie das Parasympatholytikum Butylscopalamin (z. B. Buscopan).

Zu beachten ist auch, dass anticholinerg wirksame Substanzen das Durstgefühl beeinträchtigen können und Patienten vielfach deshalb zu wenig trinken.

Antihypertensiva

Betablocker, ACE-Inhibitoren, Sartane, Calciumantagonisten und Clonidin sind Beispiele für Bluthochdruckmittel, die bei Hitze kritisch werden können. Denn der Organismus stellt bei Hitze die Blutgefäße weit (Vasodilatation), um möglichst viel Wärme abzugeben. Gleichzeitig sinkt der Blutdruck. In Kombination mit blutdrucksenkenden Medikamenten kann es so zu sehr starken Blutdruckabfällen kommen. Eine Dosisanpassung in Absprache mit dem Arzt ist sinnvoll. Andernfalls drohen kurze Ohnmachtsanfälle mit schwerer Verletzungsfolge (z. B. Stürze), Organdurchblutungsstörungen bis hin zum Herzinfarkt.

Zentral wirksame Antihypertensiva wie Clonidin erhöhen darüber hinaus die Schweißsekretionsschwelle.

Diuretika

Substanzen wie das in vielen Kombipräparaten zur Blutdrucksenkung enthaltene Hydrochlorothiazid, Chlortalidon, Torasemid, Furosemid oder Spironolacton werden als Bluthochdruckmittel oder bei Herzinsuffizienz eingesetzt. Sie greifen in den Wasser- und Elektrolyt-Stoffwechsel ein. Während einer Hitzewelle steigt bei Einnahme der entwässernd wirkenden Arzneimittel das Risiko für Austrocknung, Nierenversagen und gefährliche Elektrolytentgleisungen. Die blutdrucksenkende Wirkung wird verstärkt.

Grafik Beeck Hitze und Medikamente


© Foto: Grafik: DAS PTA MAGAZIN / Illustration: Mone Beeck

Patienten, die entsprechende Medikamente dauerhaft einnehmen, sollten für das Thema hitzekritische Arzneimittel sensibilisiert werden und bei großer Hitze Rücksprache mit ihrem Arzt halten.

NSAR

Nicht steroidale Antirheumatika (Ibuprofen, Diclofenac, Coxibe) hemmen unter anderem die Bildung von gefäßerweiternden Prostaglandinen und begünstigen bei Hitze Bluthochdruckentgleisungen. Darüber hinaus kann sich der Zustand von Herzinsuffizienz verschlechtern, und es besteht die Gefahr, dass die Nieren versagen.

TTS

Werden Wirkstoffe per Transdermalem Therapeutischem System (TTS) über die Haut verabreicht, wird bei direkter Hitzeeinwirkung oder starkem Schwitzen unter dem Pflaster mehr Substanz freigesetzt und absorbiert. Infolge der Überdosierung drohen schwerwiegende Nebenwirkungen, bei Fentanylpflastern beispielsweise kognitive Beeinträchtigungen, Atemdepression und anticholinerge Nebenwirkungen.

SGLT2-Inhibitoren

Medikamente der Gruppe der SGLT2-Inhibitoren (z. B. Dapagliflozin, Empagliflozin) sind bei Diabetes mellitus, allen Formen der Herzinsuffizienz und Niereninsuffizienz indiziert. Bei Hitze kommt es zu einer vermehrten Glukose- und damit Volumenausscheidung über den Harn. Das Risiko für ein Austrocknen und für eine atypische Ketoazidose steigt.

Insuline

Basalinsuline, schnell wirksame Insuline und andere fluten bei Hitze unter Umständen rascher an. Dadurch sinkt der Blutzuckerspiegel stark, und es droht eine Hypoglykämie.

Sonstiges

Darüber hinaus sind Medikamente, die die Gefäße verengen, kritisch. Durch das Engstellen der Gefäße ist der Blutfluss zur Haut und in die Extremitäten vermindert; die physiologische Wärmeabfuhr gestört. Daraus kann eine verminderte Herzleistung resultieren. Beispiele für kritische Substanzen sind die Triptane Naratriptan (z. B. Formigran) und Sumatriptan (z. B. Imigran), das Sympathomimetikum Pseudoephedrin (z. B. Aspirin Complex, Reactine Duo) und die Betablocker Bisoprolol, Metaprolol und Propranolol.

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