Mikrobiom: Austariertes Ökosystem

Das Mikrobiom ist ein komplexes Ökosystem ähnlich dem tropischen Regenwald. Die einzelnen Organismen müssen perfekt zusammenarbeiten, damit es funktioniert. Das macht es störanfällig.

von Kirsten Bechtold
27.09.2024

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© Foto: Curioso.Photography / stock.adobe.com
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  • Das Mikrobiom ist ein perfekt zusammenarbeitendes Ökosystem, das sehr störanfällig ist.
  • Diskutiert wird, ob Störungen eine Rolle beim Entstehen verschiedener Krankheiten (z. B. Adipositas, Diabetes mellitus, Neurodermitis) spielen.
  • Microbiota Accessible Carbohydrates (MAC) und probiotische Nahrungsbestandteile können sich positiv auf das Darmmikrobiom auswirken.
  • Für generelle Empfehlungen zur Nahrungsergänzung fehlen aussagekräftige wissenschaftliche Studien.

Die Zusammensetzung des Mikrobioms ist sehr variabel, individuell wie ein Fingerabdruck und fein austariert, sowohl was die Menge als auch was die Diversität betrifft. Gleichzeitig verändert sie sich bei jedem Menschen von Tag zu Tag. Denn sie wird unter anderem davon beeinflusst, was wir essen, von Medikamenten, die wir einnehmen (müssen), und auch davon, wie gut unsere Immunabwehr funktioniert oder wie viel Stress wir haben. Nimmt die Diversität auf Dauer ab oder gewinnen potenziell pathogene Krankheitserreger die Oberhand, kann das krank machen.

Aktueller Podcast

Ein Schwerpunkt aktueller Forschungsarbeiten ist das Darmmikrobiom. Dieses spielt für die Immunabwehr eine besondere Rolle. So haben Studien gezeigt, dass Mäuse, die keimfrei, also komplett ohne Darmmikrobiom, aufwachsen, später nur ein stark unterentwickeltes Immunsystem haben.

Darmmikrobiom

Die Darmbewohner bilden grundsätzlich nicht nur nützliche, sondern auch schädliche Substanzen. Ist das Darmmikrobiom jedoch intakt, hält es die potenziell pathogenen Keime in Schach. Das gelingt umso besser, je vielfältiger die Zusammensetzung ist.

Bekannt ist, dass sich der Einfluss des Darmmikrobioms nicht auf den Dünn- und Dickdarm beschränkt. Auswirkungen sind im gesamten Stoffwechsel, den Organen und sogar im Gehirn nachweisbar. Und so wird derzeit diskutiert, ob Störungen im fein austarierten System eine Rolle beim Entstehen verschiedener Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes mellitus, entzündliche Darmerkrankungen, Neurodermitis und sogar Depressionen spielen. Hinweise gibt es zum Beispiel darauf, dass bestimmte Bakterienarten rhythmischen Schwankungen unterliegen, die bei Typ-2-Diabetes und Adipositas nicht mehr nachweisbar sind, berichtet das Bundeszentrum für Ernährung.

Ernährung

Darmbakterien sind wichtige Helfer bei der Verdauung und an der Bildung von Vitaminen, Hormonen und Botenstoffen beteiligt. Auf der anderen Seite wird die Zusammensetzung des Darm- mikrobioms wesentlich von dem geprägt, was wir essen. Denn die Nahrung liefert den Darmbewohnern Substanzen, die sie für ihren Stoffwechsel nutzen können. Experten zufolge geht die Aufnahme von mindestens 30 verschiedenen pflanzlichen Lebensmitteln pro Woche mit einer größeren mikrobiellen Vielfalt sowie der Bildung gesundheitsfördernder Metaboliten einher.

Wussten Sie, dass ...
  • die Gesamtheit aller Mikroorganismen (z. B. Bakterien, Pilze, Viren) als Mikrobiota bezeichnet wird?
  • das Mikrobiom darüber hinaus zum Beispiel auch die Gene und Stoffwechselprodukte der Mikrobiota sowie die auf sie einwirkenden Umweltbedingungen umfasst?
  • die beiden Begriffe oft synonym verwendet werden?

Ballaststoffe

Ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang sind Ballaststoffe und zwar genauer die als MAC (Microbiota Accessible Carbohydrates) bezeichnete heterogene Stoffgruppe fermentierbarer Ballaststoffe. Hierzu zählen zum Beispiel die präbiotischen Stoffe Inulin, Pektin, Frukto- und Galakto-Oligosaccharide sowie Beta-Glucane, die vor allem in Gemüse wie Chicorée, Schwarzwurzeln, Topinambur, Spargel, Lauch und Zwiebeln vorkommen; Beta-Glucane zudem in Hafer. Auch resistente Stärken gehören zu den MAC. Sie sind unter anderem enthalten in erkalteten, gekochten Lebensmitteln wie Kartoffeln, Nudeln oder Reis sowie in Körnern, Samen und Hülsenfrüchten.

Bestimmte Darmbakterien (z. B. Roseburia ssp., Faecalibacterium prausnitzii, Eubacterium rectale) bauen MAC weitgehend ab. Dabei entstehen kurzkettige Fettsäuren, fachlich ganz korrekt deren Salze, zum Beispiel Acetat, Propionat und Butyrat. Vor allem Butyrat ist gut untersucht. Es hat antientzündliche Eigenschaften und dient den Schleimhautzellen im Darm als Energiequelle, sodass diese mehr schützenden Schleim bilden. Gleichzeitig stärken die Stoffwechselprodukte die Darmbarriere, tragen zu einem sauren Milieu bei und wirken positiv auf den Blutglukose- und Fettstoffwechsel, die Regulation des Appetits sowie die Leber und Gefäße.

Lebensmittel fermentieren

Fermentierte Milchprodukte wie selbst gemachtes fermentiertes Gemüse, Joghurt oder Kefir können eine gesundheitsfördernde Darmmikrobiota unterstützen.
© Foto: microgen / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodell)

Probiotika

Gut untersucht ist die Wirkung von Probiotika im Darm. Das sind nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO lebende Mikroorganismen (z. B. Bifidobakterien, Laktobazillen, Enterokokken), die einen positiven Effekt auf die Gesundheit ausüben, vorausgesetzt, sie werden in ausreichender Menge aufgenommen. Dann können sie im Darm die Darmbarriere stärken und das Wachstum ungünstiger Bakterien hemmen. Für Bifidobakterien ist beispielsweise darüber hinaus bekannt, dass sie durch einen „Cross-Feeding“ genannten Mechanismus das Wachstum der Butyratbildner Faecalibacterium, Eubacterium und Roseburia fördern können.

Nahrungsergänzung-- Ob Nahrungsergänzungsmittel mit probiotischen Mikroorganismen einen Zusatznutzen für Gesunde haben, ist laut dem Verbraucherzentrale Bundesverband nicht belegt. Daher können aus wissenschaftlicher Sicht keine allgemeingültigen Empfehlungen zu einem Gesundheitsnutzen herausgegeben werden.

Bilanzierte Diäten-- Die bis 2023 angebotenen, ergänzenden bilanzierten Diäten, zum Beispiel zum Diätmanagement „bei Antibiotika-assoziierter Diarrhö“, „Reizdarmsyndrom“ oder „Colitis ulcerosa und Pouchitis“, dürfen so nicht mehr verkauft werden. Hier entschied der Bundesgerichtshof im Juli 2023, dass Produkte, die natürlich im Darm lebende Bakterien enthalten, nicht die Anforderungen an diese Produktgruppe erfüllen. Das heißt, sie können nicht dabei helfen, einen krankheitsbedingt erhöhten oder spezifischen Nährstoffbedarf zu decken.

Sonstiges

Neben MAC und Probiotika können weitere Nahrungsbestandteile das Darmmikrobiom positiv beeinflussen. Hierzu zählen die zur Gruppe der sekundären Pflanzenstoffe gehörenden Polyphenole, Omega-3-Fettsäuren und pflanzliches Protein, berichtet das Bundeszentrum für Ernährung von Forschungsergebnissen.

Polyphenolreich sind zum Beispiel bunte Gemüse, Obst, Kräuter und Gewürze. Omega-3-Fettsäuren liefern Fische wie Makrele, Lachs oder Forelle sowie Speiseöle (z. B. Raps-, Lein-, Walnussöl).

Auch fermentierte Milchprodukte wie Joghurt oder Kefir und fermentiertes Gemüse wie Sauerkraut können eine gesundheitsfördernde Darmmikrobiota unterstützen.

Fazit

Trotz all der spannenden Erkenntnisse der vergangenen Jahre sind noch viele Fragen zum Darmmikrobiom unbeantwortet, gerade auch mit Blick auf das Entstehen von Krankheiten oder deren Therapie. Eines lässt sich aber auf jeden Fall sagen: Wer seinem Darm über die tägliche Kost dauerhaft etwas Gutes tun möchte, braucht Geduld. Kurzzeiteffekte sind zwar nachweisbar, doch nur wer am Ball bleibt, nimmt das ganze Mikrobiom mit. Oder mit anderen Worten: Es dauert, bis sich die Änderungen der Ernährungsgewohnheiten auch auf die Gene und die Stoffwechselaktivität der Darmbewohner auswirken.

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