Notfallkontrazeption: Schon ein Jahrzehnt OTC

Vor zehn Jahren wurde die Pille danach aus der Rezeptpflicht entlassen. Kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergangen ist und welche Märchen und Mythen sich rund um das Thema Notfallkontrazeption hartnäckig halten.

27.02.2025

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© Foto: Zorica Nastasic / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodellen)
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Das Interview führte Julia Pflegel

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Welches sind aus Ihrer Sicht die häufigsten Fehlinformationen, die über rezeptfreie Notfallkontrazeptiva kursieren? Sowohl in der Bevölkerung als auch beim pharmazeutischen Personal?

Koch: In der Bevölkerung ist es die weit verbreitete Unwissenheit darüber, dass die Pille danach rezeptfrei in der Apotheke erhältlich ist. Das ist eine katastrophale Situation zehn Jahre nach der Entlassung aus der Rezeptpflicht. Zudem denkt ein noch viel zu hoher Bevölkerungsanteil, die Pille danach sei eine Abtreibungspille.

Bei PTA und Apothekern stelle ich leider noch immer fest, dass die Inhalte der Gebrauchs- und Fachinformationen nicht bekannt sind, ebenso nicht die Inhalte der BAK-Handlungsempfehlungen. Daraus resultieren die meisten Unsicherheiten bei der Abgabe der Pille danach und dem dazugehörigen Beratungsgespräch. Auch ist längst noch nicht allen Kollegen klar, dass die BAK-Handlungsempfehlungen lediglich Empfehlungen sind und kein Gesetzestext. Rechtlich verbindlich sind hingegen die Inhalte der Gebrauchs- und Fachinformationen.

Gibt es Unterschiede zwischen Levonorgestrel und Ulipristalacetat, was die Abgabe bei einem erhöhten Körpergewicht betrifft?

Koch: Die einschlägigen Gebrauchs- und Fachinformationen – sowohl der Levonorgestrel- als auch der Ulipristalacetat-haltigen Notfallkontrazeptiva – machen hierzu identische Angaben. Und zwar, dass begrenzte, aber nicht eindeutige Daten darauf hinweisen, dass bei einem höheren Körpergewicht oder Body-Mass-Index (BMI) die Wirksamkeit verringert sein kann. Zudem weisen alle Gebrauchs- und Fachinformationen daraufhin, dass alle Frauen das Notfallverhütungsmittel schnellstmöglich nach einem ungeschützten Geschlechtsverkehr einnehmen sollten – unabhängig von ihrem Körpergewicht oder ihrem BMI.

Dürfen Notfallkontrazeptiva an Mädchen unter 14 Jahren abgegeben werden?

Koch: Definitiv ja. Die Pille danach ist für alle Frauen im gebärfähigen Alter zugelassen. Die Fach- und Gebrauchsinformationen enthalten keinerlei Altersgrenzen. Auch enthalten sie keine Hinweise, dass Minderjährige vor der Einnahme an einen Arzt verwiesen werden müssen. Durch den Weg zum Arzt würde wertvolle Zeit verloren gehen. Schließlich ist die Wirksamkeit der Notfall-Pille an eine zeitnahe Einnahme gebunden – idealerweise spätestens zwölf bis 24 Stunden nach der Verhütungspanne oder dem ungeschützten Geschlechtsverkehr.

Ebenso gibt es keinerlei gesetzliche Vorschriften, dass die Pille danach nur abgegeben werden darf, wenn die Zustimmung eines Erziehungsberechtigten vorliegt. Eine solche einzufordern, halte ich für verantwortungslos. Je jünger das Mädchen ist, umso dringender benötigt es unbürokratische und fürsorgliche Hilfe in der Apotheke. Es steht doch nicht ohne Grund mutterseelenallein vor uns. Schlimmstenfalls bekommt es nach Rücksprache mit dem Elternhaus Prügel oder wurde sogar innerhalb der Familie missbraucht. Und nicht zuletzt: Jede Jugendschwangerschaft ist eine Risikoschwangerschaft.

Und wie sieht es mit der Abgabe an (junge) Männer aus?

Koch: Die Abgabe an einen Mann ist erlaubt. Dürfte die Notfall-Pille nur an die betroffene Frau abgeben werden, würde dies in den einschlägigen Gebrauchs- und Fachinformationen stehen. Es gelten bei der Abgabe an einen Mann die gleichen Regeln wie bei allen OTC-Arzneimitteln, wenn diese für eine andere Person gewünscht werden: etwa das Erkältungsmittel für die kranke Nachbarin oder der Protonenpumpenhemmer für den Ehemann. Das sind Standardsituationen. Da würde niemand auf die Idee kommen, aus rein formalen Gründen die Abgabe des gewünschten Arzneimittels zu verweigern. Warum sollte das denn bei der Pille danach anders sein? Sie ist ein OTC-Arzneimittel wie jedes andere auch.

An dieser Stelle ein Blick auf zwei unserer Nachbarländer: In Österreich gibt es die Pille danach über die Versandapotheke und in den Niederlanden im Drogeriemarkt zu kaufen.

Gibt es die Pflicht, jede Abgabe der Pille danach zu dokumentieren?

Koch: NEEIIIIN!!!! Es gibt keine gesetzlich geregelte Dokumentationspflicht. Diese hat es noch nie gegeben. Es ist mir ein Rätsel, wie sich dieser Mythos so hartnäckig verbreiten konnte und bis heute gehalten hat. Die BAK-Handlungsempfehlungen raten lediglich zur Dokumentation, wenn die Kundin noch minderjährig ist. Nur wozu? Aus Datenschutzgründen sind jegliche Angaben verboten, die Rückschlüsse auf die Käuferin (oder den Käufer) zulassen. Also ist die Dokumentation völlig nutzlos.

Sie halten seit vielen Jahren Vorträge zum Thema Pille danach. Welche Situationen sind Ihnen im Gedächtnis geblieben?

Koch: Sehr viele sogar. Dazu gehört die sehr treffende Aussage einer Kollegin. Sie kam nach einem meiner Vorträge zu mir und sagte „Die Pille danach kann viel Leid verhindern.“ Genau, Leid verhindern, das kann sie und genau zu diesem Zweck wurde sie entwickelt und genau zu diesem Zweck ist sie rezeptfrei auf dem Markt.

Hand aufs Herz: Wer von uns Frauen möchte ungewollt schwanger werden? Wer von uns möchte, dass die noch in der Ausbildung stehende Tochter ungewollt schwanger wird? Wer von uns möchte, dass der noch in der Ausbildung stehende Sohn ungewollt Vater wird? Vermutlich niemand. Nur frage ich mich, warum es trotzdem noch Apotheken gibt, die Käuferinnen und Käufern der Pille danach mit unnötiger Bürokratie und/oder Ablehnung begegnen.

Haben Sie noch ein weiteres Praxisbeispiel?

Koch: Immer wieder höre ich von den Zuhörern meiner Vorträge „Bloß gut, dass ich nur Söhne habe.“ Also, auch Söhne sollten sexuell aufgeklärt ins Leben geschickt werden und über die Pille danach gut informiert sein. Zum ungeschützten Geschlechtsverkehr oder zu einer Verhütungspanne gehören immer zwei. Wie bereits angesprochen: Auch Söhne beziehungsweise Männer möchten nicht ungewollt Vater werden.

Zudem ist es ein Trugschluss, dass zu einer Teenagermutter zumeist ein deutlich älterer Mann gehört. Die Statistik belegt das Gegenteil, zumeist gehört zu einer Teenagermutter ein Teenagervater. Hinzu kommt, dass Teenagerschwangerschaften überwiegend in sozial schwachen Familien vorkommen, in denen die jungen Eltern mit ihrem Kind oftmals nur wenig Rückhalt finden.

Gibt es noch etwas, was Sie uns unbedingt mittteilen möchten?

Koch: Ja und dies betrifft die Hinweise in den Gebrauchs- und Fachinformationen zur möglicherweise eingeschränkten Fahrtauglichkeit. Hier empfehle ich auf Nummer sicher zu gehen und einer Frau, die mit dem eigenen Fahrzeug in der Apotheke ist, dringend dazu zu raten, die Notfall-Pille erst einzunehmen, wenn sie das Fahrzeug endgültig abgestellt hat. Schließlich führt allein die Notsituation zu Nervosität und Konzentrationsverlust.

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© Foto: Die Hoffotografen GmbH

Dr. Ute Koch ist Apothekerin, Fachjournalistin und Fortbildungsreferentin. Die Interviewfragen sind von ihren Erlebnissen in ihren Seminaren zur Pille danach inspiriert.

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