Serie Fresh-up: Testosteron

Sind die Hoden nicht in der Lage, genügend Testosteron zu bilden, spricht man vom Hypogonadismus. Klinisch führt der Testosteronmangel zur Feminisierung des Mannes und ist meistens für den Betroffenen sehr belastend.

von Petra Schicketanz
30.08.2024

Mann setzt sich Spritze in den Oberschenkel
© Foto: Liudmila Chernetska / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodell)
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Schon bei der Begrüßung fällt auf, dass der Kunde sich von jungen Männern seines Alters unterscheidet. Sein „Guten Tag“ klingt viel heller. Und seine glatten, bartlosen Gesichtszüge wirken irgendwie weicher. „Guten Tag, Herr Schröder“, grüßt die PTA zurück, da sie den Kunden mittlerweile gut kennt, der seit einiger Zeit seine Testosteron-Spritzen-Rezepte bei ihr einlöst. Auch dieses Mal wurde eine Hormonspritze à 1.000 Milligramm Testosteron pro vier Milliliter verordnet. Doch der Kunde macht einen unschlüssigen Eindruck.

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„Ist etwas nicht in Ordnung?“, erkundigt sich die PTA und der junge Mann seufzt laut auf. „Ich versuche ja, offen mit meiner Erkrankung umzugehen, aber neulich nach dem Sport saß ich noch mit ein paar Leuten aus meiner Fußballmannschaft zusammen, die haben mich so richtig verunsichert. Die einen sprachen von Doping, während die anderen mich mit horrenden Nebenwirkungen fertiggemacht haben.“

Beschämt senkt er den Kopf und fügt hinzu: „Ich bin ja schon froh, wenn sie sich nicht über mich lustig machen.“

Energisch protestiert die PTA: „Das wäre ja noch schöner, denn dazu besteht überhaupt kein Grund. So etwas zeigt höchstens einen Mangel an Reife.“

Hintergrund

Herr Schröder hatte vor Jahren eine Mumps-Erkrankung, durch die eine Hodenentzündung (Orchitis) ausgelöst wurde. Seitdem leidet er an männlichem, primärem Hypogonadismus. Bei dieser Erkrankung sind die Leydig-Zellen in den Keimdrüsen (Gonaden) nicht in der Lage, ausreichend Testosteron zu bilden. Weitere mögliche Auslöser sind Hodenhochstand, Trauma oder Kastration. Der Hormonmangel bewirkt eine körperliche Feminisierung. Infolgedessen verkleinern sich Penis, Hodensack und Hodenvolumen, und auch die typisch männliche Körperbehaarung geht verloren. Die Stimmlage wird heller, die Libido nimmt ab, und die Erektionsfähigkeit ist gestört.

Hinweise

Die PTA kann verstehen, dass ein solches Beschwerdebild für einen Mann problematisch ist. Sie möchte sich gar nicht vorstellen, welchen Lästereien der Kunde in der Sammelumkleide oder in der Mannschaftsdusche ausgesetzt ist, und beruhigt ihn: „Prinzipiell kann jede Hormondrüse erkranken. Wenn sie nicht mehr genügend Hormone produziert, sind wir doch glücklich, wenn wir diese ersetzen können. Das ist bei Sexualhormonen nicht anders als bei Schilddrüsenhormonen. Mit diesen Testosteronspritzen füllen Sie nur auf, was der Körper benötigt. Ziellevel ist das untere Drittel der normalen Serumkonzentration. Und das wird vom Arzt sehr sorgfältig über die Testosteron-Serumspiegel kontrolliert.“

„Wie kann er denn die Höhe des Hormonlevels einstellen? Ich bekomme doch immer dieselbe Dosierung“, fragt Herr Schröder.

„Das geschieht über die zeitlichen Spritzabstände. Die zweite Spritze wird sechs Wochen nach der ersten gegeben, die dritte bis fünfte hat jeweils einen Abstand von zehn Wochen. Je nach Serum-Werten pendelt sich die anschließende Gabe auf alle zehn bis 14 Wochen ein.“ „Woran merke ich, ob ich zu viel Testosteron bekommen habe?“, fragt der Kunde nach.

„Wenn Sie ungewöhnlich reizbar oder nervös sind, Ihr Gewicht zunimmt oder Sie lang anhaltende, häufige Erektionen haben, die mitunter auch schmerzhaft sein können, dann ist meist eine Dosisanpassung nötig.“

„Gibt es noch mehr Nebenwirkungen?“ „Prinzipiell sind Androgene, also männliche Sexualhormone, in viele Prozesse des Körpers involviert. Unabhängig davon, ob es sich um eine Eigenproduktion oder eine medizinische Gabe handelt. Zur Sicherheit kontrolliert der Arzt regelmäßig Prostata und Brust auf eine mögliche Tumorentwicklung. Bei schweren Oberbauchbeschwerden könnte auch die Leber einen Tumor entwickelt haben.
Mit Komplikationen ist zu rechnen, wenn der Patient bereits an einer schweren Herz-, Leber- oder Niereninsuffizienz oder an einer ischämischen Herzerkrankung leidet. Vorsicht ist auch geboten bei Patienten mit Thrombophilie oder einem Risiko für venöse Thromboembolien oder bei Einnahme oraler Blutverdünner. Zudem kann der Blutdruck ansteigen und eine bestehende Schlafapnoe sich verstärken.“

Die PTA hält einen Moment inne. „Ach ja, unter der Anwendung reagieren natürlich Doping-Tests positiv, auch wenn das Mittel beim hormon-gesunden Menschen nicht dazu geeignet ist, die Muskelentwicklung zu fördern oder die körperliche Leistungsfähigkeit zu steigern.“

Extra

„Kommen wir zu den praktischen Aspekten“, lenkt die PTA auf ein wichtiges Thema. „Die Spritzen werden bei Raumtemperatur gelagert. Da sie auf öliger Basis sind, können sie sich bei zu niedriger Temperatur eintrüben und zähflüssiger werden. Deshalb sollten sie vor der Anwendung auf Raum- oder Körpertemperatur gebracht und visuell geprüft werden. Nur klare, partikelfreie Lösungen dürfen gespritzt werden. Nach dem Öffnen wird der Inhalt der Durchstechflasche sofort tief in den Gesäßmuskel injiziert.

Ganz wichtig: Die Injektion muss langsam über zwei Minuten erfolgen, da es sich um eine ölige Lösung handelt. Dementsprechend ist auch darauf zu achten, dass kein Blutgefäß getroffen wird, was in seltenen Fällen zu einer pulmonalen Mikroembolie führen kann.“

„Und dann sterbe ich?“ Herrn Schröders Entsetzen ist nur zum Teil gespielt. „Nein, aber Sie husten, verspüren Atemnot oder Herzstolpern, vielleicht Schmerzen im Brustkorb oder Taubheitsgefühle. Aber keine Angst, die Symptome gehen vorüber und lassen sich mit einer Sauerstoffgabe mindern.“

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