Serie Rezeptur: Vitamin-A-Säure

Vitamin-A-Säure, auch Tretinoin genannt, gehört zu den CMR-Stoffen und ist cancerogen, mutagen und reproduktionstoxisch. Bei der Verarbeitung in der Rezeptur sind Arbeitsschutzmaßnahmen zwingend erforderlich.

von Stefanie Fastnacht
27.09.2024

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© Foto: Sarah Siegler
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  • Tretinoin (Vitamin-A-Säure) wird in dermalen Zubereitungen gegen verschiedene Akneformen, Verhornungsstörungen (Ichthyosen) sowie zur Verbesserung des Hautbilds bei vorzeitiger Hautalterung (Photoaging) eingesetzt.
  • Tretinoin fällt unter die CMR-Stoffe. Diese sind krebserregend (C), mutagen (M) oder reproduktionstoxisch (R).
  • Während des Umgangs mit Tretinoin müssen Arbeitskittel, Handschuhe, Schutzbrille und FFP2-Maske getragen werden.
  • Für Schwangere ist der Kontakt mit Gefahrstoffen wie Tretinoin grundsätzlich verboten.
  • Tretinoin ist sehr oxidationsempfindlich und zersetzt sich unter Lichteinfluss.
  • Bei der Herstellung von Rezepturen muss zügig gearbeitet werden, und diese müssen in lichtdichte Aluminiumtuben abgefüllt werden.

Vitamin-A-Säure (Tretinoin) wird dermal gegen verschiedene Formen der Akne, Verhornungsstörungen (Ichthyosen) sowie zur Verbesserung des Hautbildes bei vorzeitiger Hautalterung (Photoaging) eingesetzt. Das Retinoid kommt in Konzentrationen von 0,025 bis 0,1 Prozent zur Anwendung. Die obere Richtkonzentration liegt bei 0,1 Prozent, der rezeptierbare pH-Bereich bei ≥ pH 3, mit einem Stabilitätsoptimum bei pH 5. Tretinoin steht für Rezepturzwecke als kristalliner Wirkstoff, mikronisiert, als lipophiles Rezepturkonzentrat zwei Prozent, (NRF S.29.) oder alkoholische Stammlösung (ethanol- haltige Tretinoin-Lösung 0,05 %, NRF 11.102.) zur Verfügung.

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Problemanalyse

Beim Umgang mit Tretinoin in der Rezeptur gibt es einiges zu beachten. Unerlässlich sind Arbeitsschutzmaßnahmen, da der Wirkstoff teratogene Eigenschaften hat, also während der Schwangerschaft zu irreversiblen Schäden oder Fehlbildungen beim Kind führen kann. Zu berücksichtigen ist zudem, dass es sich bei Tretinoin um einen licht- und oxidationsempfindlichen Wirkstoff handelt. In Salben und Cremes liegt das Retinoid suspendiert vor, weshalb auf eine homogene Wirkstoffverteilung in der eingesetzten Grundlage zu achten ist.

Die Rezeptur

Hydrophiles Tretinoin-Gel 0,05 % NRF 11.124., 30 g
Tretinoin-Lsg. 33,3 mg/ml 3,53 g
Carbomer-Gel pH 6,5 ad 30,00 g

Dos.: abends dünn auf das Gesicht auftragen

Problem Arbeitsschutz

Für die Einstufung und den Umgang mit Gefahrstoffen in der Rezeptur hat die Bundesapothekerkammer Empfehlungen zu Arbeitsschutzmaßnahmen erarbeitet. Sie sind auf der Homepage der ABDA (abda.de) unter „Standards für die Rezepturherstellung in der Apotheke“ bereitgestellt. Zur Gefährdungsbeurteilung gibt es einen Standard für den Umgang mit CMR-Stoffen der Kategorie 1A und 1B sowie einen Standard für alle anderen Gefahrstoffe. Tretinoin fällt unter die CMR-Stoffe. Diese sind krebserregend (C, cancer), mutagen (M) oder reproduktionstoxisch (R). Mutagene Substanzen schädigen die Erbsubstanz und lösen Krebs aus. Reproduktionstoxische Stoffe beeinträchtigen die Fruchtbarkeit eines Menschen oder schädigen den sich im Mutterleib entwickelnden Fötus.

Wird eine Rezeptur nach einem dieser Standards hergestellt, kann sich der Apothekenleiter bei der Gefährdungsbeurteilung auf sie beziehen und die vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen übernehmen. Ein Farbleitsystem der Bundesapothekerkammer (BAK) zur Kennzeichnung der Standgefäße von Gefahrstoffen sorgt dafür, dass direkt ablesbar ist, welche persönlichen Schutzmaßnahmen bei der Verarbeitung erforderlich sind.

Problem Oxidations- und Lichtempfindlichkeit

Tretinoin ist eine ungesättigte Carbonsäure (mit Doppelbindungen), die unter Sauerstoffeinfluss schnell oxidiert beziehungsweise sich unter Lichteinfluss zersetzt. In der Apotheke müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Stabilität und damit auch die Wirksamkeit während der Lagerung und der Herstellung zu gewährleisten.

Problem Teilchengröße

Tretinoin liegt in halbfesten Zubereitungen überwiegend ungelöst in der Grundlage vor. Für die Herstellung von solchen Suspensionszubereitungen ist die Teilchengröße der zu verarbeitenden Wirkstoffe sehr wichtig, damit sie möglichst homogen verteilt vorliegen. Tretinoin in kristalliner Form müsste vor der Verarbeitung entsprechend zerkleinert werden. Da es sich aber um eine teratogene Substanz handelt, sollte wegen einer möglichen Staubentwicklung auf das Zerkleinern verzichtet und auf mikronisierte Varianten oder Rezepturkonzentrate mit dem Wirkstoff ausgewichen werden.

Lösungsansätze

Im Folgenden haben wir Tipps für die Verarbeitung von Tretinoin in der Rezeptur zusammengestellt und stellen beispielhaft eine Rezeptur mit dem Wirkstoff vor.

Arbeitsschutz-- Standgefäße mit Tretinoin werden nach dem BAK-Farbleitsystem mit einem roten Punkt gekennzeichnet. Rot ist für CMR-Stoffe der Kategorie 1A und 1B vorgesehen und gibt an, dass Gefahr bei Kontakt mit der Substanz besteht. Zur persönlichen Schutzausrüstung während der Arbeit mit Tretinoin gehören Arbeitskittel (Einmalkittel), Schutzbrille und Schutzhandschuhe (Einweghandschuhe) sowie eine FFP2-Maske. Zum Schutz vor Kreuzkontaminationen sollten keine anderen Rezepturen offen im Labor stehen oder parallel angefertigt werden. Schwangere Apothekenmitarbeiterinnen dürfen grundsätzlich nicht mit Gefahrstoffen wie Tretinoin arbeiten. Wenn möglich, sollten Rezepturen immer von Kolleginnen außerhalb des gebärfähigen Alters oder Kollegen angefertigt werden.

Oxidationsempfindlichkeit-- In der Apotheke kommt Tretinoin bei jeder Entnahme aus dem Lagergefäß mit Luftsauerstoff in Kontakt. Um den Sauerstoffkontakt zu minimieren, den Wirkstoff zu schützen und dessen Verwendbarkeitsfrist (i. d. R. 2 J., wenn dicht verschlossen und < 25 °C) zu gewährleisten, empfiehlt es sich, nach jeder Entnahme Argon in das Gefäß einzuleiten. Das Edelgas eignet sich gut als Schutzgas, da es reaktionsträge, weder brennbar noch explosiv und schwerer als Luft ist. Nach dem ersten Öffnen des Gefäßes ist Tretinoin laut NRF unter 25 Grad Celsius und dicht verschlossen zu lagern. Wasserhaltige Zubereitungen stabilisiert der Zusatz eines Antioxidans, zum Beispiel Tocopherol oder Buthylhydroxytoluol (BHT).

Lichtempfindlichkeit-- Rezepturen mit Tretinoin müssen zügig hergestellt werden, um den Wirkstoff nicht länger als nötig dem Licht auszusetzen. Das gelingt am besten, wenn alle Arbeitsschritte gut geplant und vorbereitet sind. Als Verpackung müssen Aluminiumtuben verwendet werden, Spenderdosen haben keinen ausreichenden Lichtschutz.

Teilchengröße-- Wie bereits erwähnt, sollte Tretinoin aus Gründen des Arbeitsschutzes, aber auch der Galenik, mikrofein gepulvert oder in Form von Rezepturkonzentraten oder alkoholischen Stammlösungen verarbeitet werden. Muss bei Lieferengpässen auf kristallines Tretinoin zurückgegriffen werden, sollte dieses nicht angerieben, sondern die fertige Zubereitung mit der Salbenmühle nachbearbeitet und Tretinoin dabei zerkleinert werden (Materialzuschlag von 10 % berücksichtigen).

Video: Tretinoin in der Rezeptur

Praxisbeispiel

Frau Simone Beurer* drückt PTA Sarah Siegler ein Rezept von ihrem Hautarzt in die Hand. Die PTA liest sich die Verordnung durch. Es handelt sich um die NRF-Rezeptur 11.124., Hydrophiles Tretinoin-Gel 0,5 %. Diese setzt sich aus Tretinoin-Lösung 33,3 mg/ml und Carbomer-Gel pH 6,5 zusammen und ist bei Akne indiziert. Weil Frau Beurer so unglücklich mit ihrer Haut ist, verspricht die PTA, ihr das Gel bis zum nächsten Abend anzufertigen.

Plausibilitätscheck / Herstellungsanweisung

Nachdem die Kundin die Apotheke verlassen hat, befasst sich Sarah Siegler mit der Rezeptur. Da es sich um eine standardisierte NRF-Variante handelt, reicht ein Check, ob die Verordnung zum Krankheitsbild und den Beschwerden der Kundin passt. Diesbezüglich sind alle Kriterien erfüllt. Die PTA weiß, dass Tretinoin gegen Akne eingesetzt wird und hat auf Nachfrage von Frau Beurer erfahren, dass eine Schwangerschaft ausgeschlossen ist. Sowohl die Tretinoinlösung als auch das Carbomer-Gel bestellt sie fertig beim Großhandel. Von Vorteil bei der Tretinoin-Lösung ist, dass sie bereits BHT zum Schutz vor oxidativer Zersetzung enthält.

Herstellungsanweisung-- Sarah Siegler orientiert sich an den Vorgaben im NRF. Sie legt fest, das Gel manuell in der Glasfantaschale anzufertigen. Als Verpackung sieht sie eine Aluminiumtube vor. Bei Lagerung im Kühlschrank ist die Rezeptur darin drei Monate haltbar.

Herstellung

Nachdem Sarah Siegler die Herstellungsanweisung erstellt hat, lässt sie sich diese von ihrer Chefin unterschreiben. Anschließend stimmen die beiden die im Umgang mit Tretinoin notwendigen Arbeitsschutzmaßnahmen ab. Danach geht die PTA ins Labor und zieht Einmalkittel, FFP2-Maske, Schutzbrille und Einweghandschuhe an. Anschließend prüft sie die inzwischen eingetroffene Tretinoin-Lösung und das Carbomer-Gel auf Identität. Danach reinigt und desinfiziert sie Arbeitsfläche, Ausgangsstoffe sowie Arbeitsutensilien.

Wiegen

Zuerst tariert Sarah Siegler eine Glasfantaschale mit Pistill auf der Rezepturwaage aus und legt eine kleine Menge Carbomer-Gel vor. Dann wiegt sie Tretinoin-Lösung unter Berücksichtigung des Einwaagekorrekturfaktors ab und mischt sie mit dem vorgelegten Carbomer-Gel.

Homogenisieren

In diesen Ansatz arbeitet sie unter häufigem Abschaben und in 1:1-Schritten zügig das restliche Carbomer-Gel ein.

Endkontrolle

Danach entnimmt sie eine kleine Gelmenge und streicht sie auf einer Glasplatte aus. Sie freut sich, dass das Gel den notwendigen Anforderungen entspricht. Es hat eine schwach gelbe Farbe und ist leicht trüb. Luftblasen sind keine zu erkennen.

Abfüllen / etikettieren

Zum Schluss füllt Sarah Siegler die Rezeptur in eine Aluminiumtube und etikettiert vorschriftsmäßig nach §14 der Apothekenbetriebsordnung. Die Grundlagenbestandteile weist sie separat auf dem Etikett aus.

Abgabe

Die PTA erklärt Frau Beurer die Anwendung des Tretinoin-Gels und weist nochmal darauf hin, dass sie während der gesamten Anwendungsdauer sicher verhüten muss. Sie rät ihr, das Gel im Kühlschrank aufzubewahren. Zum Schutz vor Austrocknung der Gesichtshaut empfiehlt sie ihr eine pflegende, feuchtigkeitsspendende Tagescreme. Da die Behandlung mit Tretinoin die Lichtempfindlichkeit der behandelten Haut erhöht, stellt sie ihr auch ein für Akne geeignetes Sonnenschutzprodukt vor.

*Name von der Redaktion geändert. Die im Beitrag genannten Produkte werden,sofern es Alternativen gibt, beispielhaft genannt.

Dr. Stefan Bär unterstützt die Redaktion bei der Serie fachlich. Die Rezeptur ist sein Spezialgebiet. Er setzt sich dafür unter anderem als Mitglied der Fachgruppe „Magistrale Rezeptur“ der GD Gesellschaft für Dermopharmazie und als Betreuer zweier Rezepturhilfehotlines ein.

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