Tonic Water: Einst Medizin

Malaria ist noch heute eine der tödlichsten Infektionskrankheiten überhaupt. Bereits Jahrhunderte, bevor deren Ursache identifiziert wurde, etablierte sich Chinarinde als Malariamittel der ersten Wahl. Trotz moderner Wirkstoffe spielt Chinin, der wirksame Bestandteil der Chinarinde, in der Malariatherapie noch immer eine Rolle – wenn auch eine untergeordnete. Zudem ist Chinin zur Prophylaxe und Therapie von Krämpfen der Skelettmuskulatur zugelassen. Die größte Bedeutung heutzutage hat die bitter schmeckende Substanz in Limonaden wie Tonic Water und Bitter Lemon.
Langwierige Erregersuche
Die tödliche Infektionskrankheit grassiert vermutlich schon seit Menschengedenken. Dennoch gab es über Jahrtausende hinweg keinerlei Vorstellungen davon, welche Ursache sie haben könnte. Lediglich die Rolle von Sumpfgebieten war bekannt, worauf der frühere Krankheitsname Sumpffieber hindeutet. Zudem wurde das Einatmen „schlechter Luft“ für die Malaria verantwortlich gemacht, was der Krankheitsname Malaria ausdrückt – mal’aria (schlechte Luft), abgeleitet aus dem Italienischen.
Erst im Jahr 1880 wurde das Geheimnis um die Krankheitsursache gelüftet durch den französischen Militärarzt Charles Louis Alphonse Laveran. Er behandelte im französisch besetzten Algerien viele an Malaria erkrankte Soldaten. Dabei unter suchte er deren Blut mikroskopisch und entdeckte darin lebende Parasiten (einzellige Plasmodien).
Für seine bahnbrechende Leistung erhielt er im Jahr 1907 den Nobelpreis für Medizin. Laveran war zudem einer der Ersten, der Moskitos als Überträger der Malariaparasiten verdächtigte. Den Beweis dafür erbrachte der Engländer Ronald Ross, der in Indien 17 Jahre später (1897) die weibliche Anopheles-Mücke als Überträgerin identifizierte.
Südamerikanisches Fiebermittel
Als der Malariaerreger und dessen Überträgerin endlich entdeckt waren, gab es bereits Chinarinde beziehungsweise daraus isoliertes Chinin als Malariamittel der ersten Wahl. Zwischen Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts bemerkten peruanische Ureinwohner, dass Zubereitungen der Rinde des Baumes „quina-quina“ (bot. Cinchona) Fieber senkten. Welche Krankheit dem Fieber zugrunde lag, ist bis heute unklar.
Unabhängig davon erkannten Mitglieder des Jesuitenordens das medizinische Potenzial der Rinde. Sie brachten diese mit nach Europa, wo die Malaria weit verbreitet war – auch in den versumpften Rheinauen. So befasste sich der Oppenheimer Apotheker Friedrich Koch mit der Isolation des reinen Chinins, was ihm 1823 gelang und ihm die industrielle Produktion des Malariamittels ermöglichte.
Tonic Water gegen die Parasiten
Der Bedarf an Chinarinde beziehungsweise Chinin stieg immens, als sich der Kolonialismus in malariaverseuchten Erdteilen ausweitete. Zudem beflügelte die Entdeckung des Malariaerregers den Verbrauch an Chinin – sowohl zur Prophylaxe als auch zur Therapie der Infektionskrankheit. Britisch-Indien (1858 – 1947), das zum Britischen Kolonialreich gehörte, wurde um 1910 zum weltweit größten Chininkonsumenten: Britische Armeeangehörige und Zivilisten tranken Soda Water (mit Kohlensäure versetztes Wasser) und darin eingerührtes Chinin zur Malariaprophylaxe.
Um den immens bitteren Geschmack ihrer „Medizin“ zu lindern, rührten sie Zucker und Zitronensaft hinein. Letzterer sollte zugleich dem Skorbut vorbeugen. Da auch Gin zur Ausrüstung der Kolonialisten gehörte, wurde dieser zusätzlich beigefügt. So gilt die damalige Malariaprophylaxe als Urform des heutigen Erfrischungsgetränkes Tonic Water und des Barklassikers Gin Tonic.
Winston Churchill
Sir Winston Leonard Spencer-Churchill (1874 – 1965) prägte den Satz „Gin und Tonic haben mehr Engländern Leben und Verstand gerettet als sämtliche Ärzte im Empire.“ Ob die damalige unkonventionelle Malariaprophylaxe tatsächlich gewirkt hat, ist jedoch in der wissenschaftlichen Literatur umstritten. Churchill war zweimal Premierminister Großbritanniens (1940 – 1945, 1951 – 1955). In seiner ersten Amtszeit führte er das Land durch den Zweiten Weltkrieg.
Maßgeblich beteiligt war er an der Bildung der Anti-Hitler-Koalition (Großbritannien, Vereinigte Staaten, Sowjetunion) und deren Sieg über Deutschland und Japan. Churchill ist auch negativ in die Geschichte eingegangen, unter anderem durch seine ablehnende Position gegenüber Indien und seiner notleidenden Bevölkerung unter britischer Kolonialherrschaft. Als Autor politischer und historischer Werke erhielt er 1953 den Nobelpreis für Literatur.
Gin und Tonic haben mehr Engländern Leben und Verstand gerettet als sämtliche Ärzte im Empire.
Künstliches Sprudelwasser
Zur erfolgreichen Geschichte des Tonic Water gehört der deutsche Uhrmacher und Silberschmied Jacob Schweppe (1740 – 1821). Er entwickelte 1783 ein Verfahren, das es erstmals ermöglichte, mit Kohlensäure versetztes Trinkwasser (Soda Water) in großen Mengen herzustellen und zudem in Flaschen abzufüllen. Schweppe war der Gründer und Namensgeber des Unternehmens Schweppes, das im Jahr 1831 von der britischen Queen zum Hoflieferanten ernannt wurde.
Nachdem die Firma Schweppes ihr Soda Water erfolgreich vermarkten konnte, brachte sie Indian Tonic Water und American Ginger Ale auf den Markt. Ein weiterer Pionier der Sodaproduktion war der englische Apotheker und Chemiker Thomas Henry (1734 – 1816). Sein Name stand Pate für das gleichnamige Berliner Unternehmen, das erst im Jahr 2010 gegründet wurde und wie Schweppes Tonic Water und andere Erfrischungsgetränke anbietet.
Chinin in Softdrinks
Tonic Water sind heutzutage mit den unterschiedlichsten Aromen erhältlich. Sie lassen sich in geschmacklich neutral, aromatisch und fruchtig/blumig unterteilen. Allen Tonics ist gemeinsam, dass sie bitter schmeckendes Chinin, Zitronensäure/-saft/-extrakt, Zucker, Wasser und Kohlensäure enthalten. In Deutschland dürfen alkoholfreie Erfrischungsgetränke (z. B. Bitter Tonic, Bitter Lemon) maximal 85 Milligramm Chinin pro Liter enthalten. Zudem müssen sie als „chininhaltig“ gekennzeichnet sein, um Risikogruppen (z. B. Schwangere) vor dem Genuss zu warnen.
Kaum zu glauben
Jahrzehntelang bestand die Therapie der fortgeschrittenen Syphilis darin, die Betroffenen mittels Impfung mit Malaria zu infizieren mit dem Ziel, Fieberschübe auszulösen. Erfinder dieser brachialen Therapie war der österreichische Arzt Julius Wagner-Jauregg.
Er stellte zufällig fest, dass sich der Zustand vieler Syphilis-Patienten besserte, nachdem sie hohes Fieber erlitten hatten. War das Behandlungsziel erreicht, wofür mehrere Fieberschübe notwendig waren, wurden die Betroffenen mit Chinin behandelt. Aus heutiger Sicht unvorstellbar ist, dass Wagner-Jauregg für diese Therapie im Jahr 1927 den Nobelpreis für Medizin erhielt.