Wacholderbeeren: Medizin, Gewürz, Kult

Den intensiven Geschmack und vielseitigen Nutzen verdanken sie ihren Harzen, Zuckern, Fetten, Bitterstoffen und ätherischen Ölen. Das weltweit bekannteste Wacholderprodukt ist Gin.

von Dr. Ute Koch
27.09.2024

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© Foto: maykal / stock.adobe.com
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Mit seinen circa 70 Arten gehört Wacholder (Juniperus) zur Familie der Zypressengewächse (Cupressaceae). In Deutschland beheimatet sind der Gemeine Wacholder (Heide-Wacholder, Juniperus communis L.) und der Sadebaum (Stink-Wacholder, Juniperus sabina L.). Zum Verzehr geeignet sind die Beeren des Gemeinen Wacholders; die des Sadebaums sind für den Menschen giftig, ebenso die Beeren der meisten Wacholder-Ziergehölze.

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Keine Beeren, sondern Zapfen

Wacholder ist ein Nadelgewächs, das als solches Zapfen bildet. Die des Wacholders sind fleischig, weshalb sie als Beerenzapfen bezeichnet werden: Weibliche Blüten besitzen drei Samenschuppen, die sich nach der Befruchtung kugelig wölben und einen Durchmesser von rund fünf Millimetern erreichen. Erst nach etwa zwei Jahren werden sie erntereif, erkennbar an ihrer schwarzbraunen Farbe mit einem graubläulichen Schimmer. Die lateinische Drogenbezeichnung Juniperi pseudofructus drückt aus, dass es sich um Scheinfrüchte handelt. Diese werden als Heilmittel und Küchengewürz verwendet. Zudem sind sie eine der wichtigsten Zutaten für viele Spirituosen, wovon Gin die weltweit populärste ist. Auch ein typisch deutsches Produkt gehört dazu, der Steinhäger in seiner länglichen, braunen Flasche aus Steinzeug.

Gin und seine Botanicals

Für Gin gibt die europäische Gesetzgebung einen Mindestgehalt von 37,5 Vol.% Alkohol (USA: mind. 40 Vol.%) vor und ein dominierendes Wacholderaroma. Neben Wacholderbeeren enthalten Gins weitere Botanicals (Aromen). Darunter sind Klassiker wie Zitrusfrüchte, Kardamom- und Koriandersamen, Iris-, Angelika- und Süßholzwurzel. Ein Blick auf die Etiketten der (vor allem modernen) Gins lässt die Vielfalt an Botanicals grenzenlos erscheinen.

Dazu gehören Mohn, Safran, Gurke, Lavendel, Afrikanische Teufelskralle, Hibiskus- und Rosenblätter, Seetang, Moos, Bach-Blüten (!) und viele, viele, viele mehr. Hieraus ergeben sich Gins, die beispielsweise wacholderbetont, zitrusbetont, würzig, blumig oder süß schmecken.

Die wichtigsten Gin-Stile

Es gibt drei Arten von Gin, die durch die Gesetzgebung der Europäischen Union definiert sind: London Gin (auch London Dry Gin) ist ein Destillat aus Neutralalkohol und darin eingelegten Botanicals. Nach der Destillation darf nur noch Wasser zugesetzt werden, um den Alkoholgehalt im Fertigprodukt zu senken. Nachträgliches Süßen und Aromatisieren sind nicht erlaubt, weshalb ein London Gin immer trocken (dry) ist.

Die Bezeichnung „London“ steht für den Herstellprozess und nicht für eine geschützte geografische Lage. Er darf überall auf der Welt produziert werden. Distilled Gin wird hergestellt wie London Gin. Jedoch dürfen ihm nach der Destillation weitere Aromen zugesetzt werden. Steht lediglich Gin (ohne nähere Angabe) auf dem Etikett, handelt es sich um eine simple Mischung aus einem neutralen Basisalkohol und Extrakten von Botanicals.

Die Engländer haben den Gin populär gemacht, aber nicht erfunden. Sein Vorläufer ist Genever beziehungsweise Jenever, entstanden in einer Region der heutigen Benelux-Länder und in traditioneller Rezeptur noch heute auf dem Markt.

Wacholder pur: Steinhäger

Preislich ist die Spirituose deutlich günstiger als die meisten Gins und dennoch alles andere als ein Billigprodukt. Original / Echter Steinhäger darf nur im westfälischen Steinhagen, das am Südhang des Teutoburger Waldes liegt, hergestellt werden. Als Spirituose mit geografischer Angabe (g. A.) ist Steinhäger im entsprechenden Register der Europäischen Union, dem E-Ambrosia-Register, eingetragen. Wie für alle deutschen Erzeugnisse in diesem Register ist auf der Website der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (www.ble.de) eine umfangreiche Produktspezifikation einsehbar.

Demnach wird für Steinhäger aus gequetschten Wacholderbeeren und warmem Wasser eine Maische zubereitet, diese vergoren und anschließend destilliert. Der dabei entstehende Wacholderlutter (max. 15 Vol.% Alkohol) wird unter Zugabe von neutralem Alkohol und Wasser ein zweites Mal destilliert und abschließend mit Wasser bis zum gewünschten Alkoholgehalt (vorgeschrieben mind. 38 Vol.%) des Endprodukts Steinhäger verdünnt.

Beiden Destillationen und dem Endprodukt dürfen geringe Mengen unvergorene Wacholderbeeren zugegeben werden, jedoch keinerlei andere Zusätze wie zum Beispiel Farbstoffe, Süßungsmittel oder weitere Botanicals. Dieser Purismus, die zweifache Destillation und das Zwischenprodukt Wacholderlutter machen den Unterschied zu Gin und den meisten anderen wacholderhaltigen Spirituosen aus.

Perfektes Paar: Gin & Tonic

Wie die Gins sind mittlerweile auch Tonics mit unterschiedlichsten Aromen erhältlich. So benötigt ein Barkeeper reichlich Wissen und Erfahrung, einen Gin mit dem passenden Tonic Water zu kombinieren. Tonic Water lassen sich in geschmacklich neutral, aromatisch und fruchtig / blumig unterteilen. Sie sind nicht nur als Massenprodukt bekannter Firmen erhältlich, sondern ebenso von zahlreichen kleinen Herstellern. Allen Tonics ist gemeinsam, dass sie bitter schmeckendes Chinin (natürlich oder synthetisch), Zitronensäure/-saft/-extrakt, Zucker, Wasser und Kohlensäure enthalten. Tipp: Wer für seinen Gin Tonic stark wacholderbetonte Gins bevorzugt, sollte diesen einmal mit Steinhäger probieren.

Wacholder in der Medizin

Der innerliche und äußerliche Einsatz von Zubereitungen aus Wacholderbeeren ist bereits bei Hippokrates (vor unserer Zeitrechnung) nachzulesen: als Antiseptikum, harntreibendes und geburtsförderndes Mittel. In der heutigen Schulmedizin spielen Wacholderbeeren in Blasen- und Nierentees eine Rolle, Wacholderbeer-Extrakte oder -öl unter anderem in Einreibungen, Kapseln und Säften.

Sogar der beliebte Barklassiker Gin Tonic war einst Medizin. Eine sehr primitive Variante wurde in Britisch-Indien (1858 – 1947) zur Malariaprophylaxe genutzt: Nach Indien versetzte britische Militärs und Zivilisten sollten täglich Chinin einnehmen. Um die bitter schmeckende Substanz „genießbar“ zu machen, nahmen sie diese in einem Gemisch aus Wasser, Zucker, Limetten und Gin ein. Auf diese Zeit geht die noch heute übliche Bezeichnung Indian Tonic Water zurück.

Eigene Ernte für die Küche

Wer im eigenen Garten Wacholderbeeren ernten möchte, um diese als Gewürz zu verwenden, benötigt reichlich Geduld. Das immergrüne Gehölz wächst sehr langsam. Bis sich erstmals Blüten zeigen, können mehrere Jahre vergehen. Entwickeln sich daraus Beeren, brauchen diese weitere zwei Jahre, bis sie erntereif sind. Auch ist beim Anbau von Wacholder zu beachten, dass die Pflanze zumeist zweihäusig ist. Daher müssen für das Ziel „eigene Ernte“ weibliche und männliche Exemplare des Juniperus communis L. nah beieinander gepflanzt werden.

Wacholderdrossel

Wie die optisch auffällige und große Drosselart zu ihrem Namen gekommen ist, lässt sich der Literatur nicht eindeutig entnehmen. Einigkeit besteht darin, dass sie sich von Wacholderbeeren ernährt, jedoch nicht bevorzugt. Zudem wird ihr zugeschrieben, dass sie zur natürlichen Aussaat des Wacholders beiträgt und zwar über den Weg der Verdauungsverbreitung, der Ausscheidung unverdauter Wacholderbeeren. Übrigens: Die Wacholderdrossel vertreibt ihre Fressfeinde, in dem sie diese aus der Luft „kackfrech“ mit Kot bespritzt.

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