Wildpflanzengenuss: Auf Herbsttour

Herbstzeit ist Erntezeit. Zeit, um Früchte oder Samen zu sammeln, Wurzeln oder Knollen auszustechen oder die ersten Triebe zweijähriger Kräuter zu bewundern. Und manche Exemplare gehen sogar jetzt erst mit ihrer Blüte an den Start.

von Petra Schicketanz
30.08.2024

Igel
© Foto: S. Gerth / blickwinkel / picture alliance
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Nicht nur unter den Teilnehmern meiner heutigen Tour treffen wir auf ein paar bekannte Gesichter. Auch bei den Wildpflanzen gibt es welche, die fast immer da sind, auch wenn sich manche von ihnen seit der letzten Tour verändert haben. Klar, die Gänseblümchen zwinkern noch immer fröhlich in die bereits tiefer stehende Sonne, und auch die Schafgarbe blüht noch. Vom Löwenzahn ist dagegen nur mehr eine Rosette zu sehen. Ja, auch die kann man noch verspeisen. Was ich aber noch mehr schätze, ist ein Löwenzahnkaffee, für den ich im Herbst die Wurzeln aussteche, reinige, röste und dann frisch gemahlen mit kochendem Wasser aufbrühe. Das ist zwar aufwendig, doch das Aroma in meiner Tasse lohnt die Mühe.

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Knoblauchsrauke

Schon in der Steinzeit wurde die Knob-lauchsrauke, Alliaria petiolata, als Heil- oder Gewürzpflanze genutzt. Die zart nach Knoblauch duftende Pflanze wirkt antiseptisch, schleimlösend und harntreibend. Eigentlich ist sie eine Frühjahrspflanze, da sie von April bis Juni blüht, doch jetzt im Herbst sind ihre abgetrockneten Schoten zu finden, die im Wind oder bei Berührung leicht aufplatzen und die scharf schmeckenden Samen fortschleudern.

Ich nutze sie gerne, um herzhaftes Blätterteiggebäck zu verfeinern. Gleichzeitig sprießen bereits die ersten Blätter der zweijährigen Pflanze, die sich wunderbar im Salat oder auf einer Wildkräuterquiche machen. Nicht nur Menschen finden die Blätter köstlich, sondern auch die Raupen verschiedener, zum Teil seltener Falterarten, denen sie als Grundnahrungsmittel dienen.

Für das knoblauchartige Aroma der Blätter und ihre antiseptische Wirkung sind Senföle verantwortlich. Diese töten unter anderem auch Mykorrhiza-Pilze ab, die mit dem Wurzelsystem von Bäumen interagieren. Auf diese Weise schützen sich die in Gruppen stehenden Knob-lauchsrauken vor Baumkeimlingen, die ihnen im Verlauf ihres Wachstums Licht und Nährstoffe streitig machen. Als Neophyten in Nordamerika haben sie sich damit keine Freunde gemacht, weil sie die dort heimischen Bäume beeinträchtigen.

Kratzdisteln

Nicht zu übersehen ist die bis 1,2 Meter hoch wachsende Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare. Insgesamt gibt es etwa 370 Cirsium-Arten. Der Name leitet sich von dem griechischen Wort kirsos für Krampfadern ab und verweist damit auf einen früher üblichen Verwendungszweck. Heute dienen Kratzdisteln vor allem als Futterpflanzen. Der Mensch kann sie ebenfalls ganzjährig essen, von den jungen Blättern über Blütenknospen und Blütenstandsböden (ähnlich wie Artischocke) bis zu den Stängeln. Vom Herbst bis zum Frühjahr eignen sich die tief reichenden Pfahlwurzeln gut als Pfannengemüse.

An manchen Exemplaren finden wir selbst noch im Oktober Früchte, oder besser gesagt Achänen. So nennt man die Schirmchenflieger mit dem flauschigen Haarkelch. Bei guter Wetterlage und etwas Aufwind schaffen sie eine Flugweite von bis zu zehn Kilometern.

Eberesche

Weil es viel zu schade ist, sich nur auf Kräuter zu beschränken, richten wir am Waldrand den Blick nach oben. An den bereits entlaubten Zweigen einer Eberesche oder Vogelbeere, Sorbus aucuparia, finden wir noch ein paar Doldenrispen mit grellroten Früchten. Ich nutze die Gelegenheit, mit einem Vorurteil aufzuräumen; nämlich dass die Vogelbeeren angeblich nur Vögeln schmecken und für den Menschen giftig seien. Denn das stimmt nur für den Rohzustand. Die enthaltene Parasorbinsäure kann zu Magenverstimmungen und Durchfall führen. Gekocht wandelt sie sich zu Sorbinsäure um, die manch einer aus der Lebensmittelchemie unter dem Namen E200 kennt, wo sie als Konservierungsstoff für Lebens- oder Arzneimittel verwendet wird.

Gekocht können die kleinen Apfelfrüchte beispielsweise als Konfitüre genossen werden. Mit ihrem hohen Vitamin-C-Gehalt und dem leicht bitteren Geschmack kann es Vogelbeerenkonfitüre mit jeder Orangenmarmelade aufnehmen.

Bei den Kelten gehörte die Eberesche zu den Königsbäumen und war der Muse Brigid geweiht. Künstlern, die unter dem Baum schlafen, soll sie Inspiration schenken, ähnlich wie den Vögeln, die in der Baumkrone singen. Nicht nur Amseln verhelfen Vogelbeeren zu einem glockenreinen Gesang, auch menschliche Sänger und Vielredner können mit den Früchten ihre Stimmbänder geschmeidig halten.

Wiesen-Bärenklau

Unterhalb eines offensichtlich gut gedüngten Ackers finden wir im Grünstreifen den Wiesen-Bärenklau, Heracleum sphondylium. Er ist ein Nährstoffanzeiger, der bei Überdüngung leicht das Wachstum anderer Pflanzen einschränkt und dementsprechend die Artenvielfalt reduziert. Die Blattform der Laubblätter erinnert an Bärentatzen, was den deutschen Namen erklärt. Im Untertaunus werden die Blätter unter dem Namen „Hasenzucker“ an Kaninchen verfüttert. Blanchiert kann man sie gut mit Reis füllen, ähnlich wie Weinblätter.

Die botanische Bezeichnung verweist auf den griechischen Sagenheld Herkules. Natürlich taucht in diesem Zusammenhang die Frage nach der Herkulesstaude (Riesen-Bärenklau) auf. Diese ist sozusagen der bis zu drei Meter hoch wachsende, „große Bruder“ unseres Wiesen-Bärenklaus. Er gilt als gefürchteter Neophyt, weil der Kontakt mit dem Saft der Pflanze in Gegenwart von Sonnenlicht zu heftigen Hautverbrennungen führt. Zum Glück entsteht dieser phototoxische Effekt nicht, wenn man die Haut nach dem Kontakt vor Sonnenbestrahlung schützt. Dennoch sollte der Saft sofort abgewaschen werden.

Auch beim Kontakt mit unserem Wiesen-Bärenklau sind Hautreaktionen möglich. Sie werden als Wiesendermatitis bezeichnet und gehen mit Rötung und Schwellung einher. In Polen gehört die Pflanze milchsauer vergoren zum traditionellen Speiseplan der ländlichen Bevölkerung. Ihr Name Barszcz erinnert an die in vielen slawischen Ländern übliche Suppe Borschtsch. Tatsächlich war Wiesen-Bärenklau bis ins Mittelalter noch fester Bestandteil dieser Suppe und wurde später durch die Verbreitung der Roten Bete verdrängt, die heute dem Gericht den typischen dunkelroten Farbton verleiht.

Herbstzeitlose

Ein kurzes Stück später kommen wir zum Star der heutigen Tour. Ihre zarte Blüte ragt bar jeglicher Blätter oder Stängel tapfer aus dem Boden: die Herbstzeitlose, Colchicum autumnale, die wegen der fehlenden grünen Attribute mancherorts auch Nacktarsch oder Nackerte Jungfer genannt wird. Sie blüht im Herbst und bringt erst im folgenden Frühjahr ihre Blätter und Früchte hervor.

Mit diesem ungewöhnlichen Vegetationsrhythmus haben sich die Herbstzeitlosen seinerzeit vermutlich an ein Steppenklima angepasst. Auf Futterwiesen profitieren sie noch heute davon, da sie nach der Mahd im Herbst keine Konkurrenz um das Licht fürchten müssen.

Bekanntlich sind alle Pflanzenteile extrem giftig, wobei genau dieser Giftstoff wie so häufig einen wichtigen Arzneistoff liefert: Colchicin wird als probates Mittel gegen einen Gichtanfall eingesetzt.

Die Namensherleitung fällt hier wieder leicht, denn das antike Königreich Kolchis war der Sage nach die Heimat der Giftmischerinnen, allen voran der Medea, die aus der griechischen Argonauten-Sage bekannt ist. Erst verliebt sich die Königstochter von Kolchis in den Argonauten Iason und hilft ihm, das goldene Vlies zu ergattern. Die beiden heiraten und bekommen zwei Söhne, doch anstelle des Happy Ends verstößt Iason Medea, um stattdessen die Tochter des Königs Kreon von Korinth zu heiraten. Rasend vor Wut bringt die betrogene Medea König Kreon, ihre Nebenbuhlerin sowie ihre eigenen Söhne um.

Da wir uns häufig Pflanzen nur anhand ihrer Blüten merken, gebe ich die Empfehlung, sich im nächsten Frühjahr die grünen Blatttriebe mit den Samenkapseln an dieser Stelle genauer anzuschauen, damit sie nicht aus Unkenntnis mit Bärlauchblättern verwechselt werden.

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