Zertifizierte Fortbildung: Adipositas
- Übergewicht und Adipositas sind kein Lifestyle-Problem, sondern haben Krankheitswert, auch wenn dieser noch nicht von allen Ärzten anerkannt wird.
- Übergewicht ist ein Risikofaktor für zahlreiche Erkrankungen und sollte deshalb behandelt werden, vor allem in der schweren Form.
- Zu den Behandlungsmöglichkeiten zählen die Basistherapie mit den Bausteinen Ernährungsumstellung, Bewegungssteigerung und Verhaltensänderungen sowie Arzneimittel und die Adipositas-Chirurgie.
- Arzneimittel gegen Übergewicht und Adipositas greifen entweder in die hormonelle Steuerung des Stoffwechsels ein oder wirken durch Hemmung von Verdauungsenzymen (Lipasen).
Das Robert Koch-Institut in Berlin hat in einer Befragung herausgefunden, dass 53 Prozent der Erwachsenen in Deutschland von Übergewicht betroffen sind – 47 Prozent der Frauen und 60 Prozent der Männer. Die Altersgruppe mit der höchsten Prävalenz waren Menschen über 65 Jahre. Doch auch im Kindes- und Jugendalter spielen Übergewicht und Adipositas eine immer größere Rolle.
Lernziele
Nach Lektüre dieser Lerneinheit wissen Sie, ...
- wie Übergewicht und Adipositas klassifiziert werden.
- welche Arzneimittel zur Behandlung eingesetzt werden können.
- welche nicht medikamentösen Optionen es zur Behandlung von Übergewicht und Adipositas gibt.
- wie die Beratung in der Apotheke von Übergewicht oder Adipositas Betroffene unterstützen kann.
Hintergrund
Übergewicht entsteht, wenn Menschen über längere Zeit mehr Energie aufnehmen, als sie verbrauchen. Der medizinische Fachbegriff dafür ist positive Energiebilanz. Das bedeutet jedoch nicht, dass übermäßiges Essen der einzige Grund für die Entstehung von Übergewicht oder dessen schwerer Form, der Adipositas (Fettsucht), ist. Denn das Körpergewicht wird durch viele verschiedene Faktoren beeinflusst. Dazu zählen hauptsächlich:
- die familiäre Genetik
- das große Angebot und die ständige Verfügbarkeit hoch kalorischer Lebensmittel mit teilweise hoher Energiedichte. Definiert ist die Energiedichte als kcal oder kJ pro Gewichtseinheit (g oder 100 g)
- Bewegungsmangel (z. B. durch überwiegend sitzende Berufstätigkeit und Freizeitgestaltung)
- Erkrankungen wie Essstörungen, Hypothyreose, Depression
- die Einnahme bestimmter Medikamente (z. B. Antidepressiva, Neuroleptika, Antiepileptika, bestimmte Antidiabetika, Glukokortikoide, einige Kontrazeptiva, Betablocker)
- Rauchstopp
- chronischer Stress
- soziale und ökonomische Faktoren wie geringer Bildungstand, niedriges Einkommen.
Weil so viele verschiedene Faktoren zur Entstehung von Übergewicht beitragen können, genügt es nicht, sich bei der Behandlung oder Beratung von Betroffenen nur auf einen zu konzentrieren.
Behandlung
Ob schweres Übergewicht (Adipositas) eine Krankheit ist, wird von Ärzten in Deutschland unterschiedlich beurteilt. Das internationale Klassifikationssystem der Krankheiten (ICD-11) führt die Adipositas als Krankheit. Und auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet die Adipositas schon seit langem als chronische Krankheit.
Risikofaktor
Ganz gleich, ob Adipositas als Krankheit betrachtet wird oder nicht – auf jeden Fall ist sie ein Risikofaktor für verschiedenste Erkrankungen. Zum Beispiel erhöhen Übergewicht und Adipositas das Risiko für Fettleber-Erkrankungen, das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom, Diabetes mellitus und Gonarthrose um mindestens das Dreifache bezogen auf das Normalgewicht. Auch Herz-Kreislauf-Krankheiten, Krebserkrankungen oder Hüftarthrose und Rückenbeschwerden sind häufige Begleit- und Folgekrankheiten von schwerem Übergewicht.
Kinder-- Auch übergewichtige beziehungsweise adipöse Kinder und Jugendliche mit Übergewicht (Adipositas) besitzen im Vergleich zu normalgewichtigen Gleichaltrigen ein höheres Risiko für verschiedene Erkrankungen wie Fettstoffwechselstörungen, Typ-2-Diabetes oder Bluthochdruck. Oft werden übergewichtige Kinder von Gleichaltrigen verspottet, was ihre Lebensqualität stark beeinträchtigen kann.
Diagnostik
Der Body Mass Index (BMI) ist schon lange das Maß für Übergewicht und Adipositas. Er wird nach der Formel BMI = Körpergewicht in Kilogramm dividiert durch (Körpergröße in Metern)2 berechnet und trägt die Einheit kg/m2. Bei einem BMI zwischen 25 und 30 kg/m2 liegt Übergewicht, bei einem BMI ≥ 30 kg/m2 liegt Adipositas vor (s. Tab. unten). Der BMI gilt jedoch nicht als das ideale Maß zur Bestimmung von Übergewicht. Denn das Körpergewicht allein gibt keinen Hinweis darauf, ob es sich um Fett-, Muskel- oder Knochenmasse handelt. So haben beispielsweise hochtrainierte Sportler wegen ihrer erhöhten Muskelmasse einen vergleichsweise hohen BMI. Ältere Menschen besitzen bei gleichem BMI in der Regel mehr Körperfett als jüngere Erwachsene und Frauen mehr als Männer. Deshalb werden in der Diagnostik und Therapie häufig auch andere Parameter wie der Taillenumfang, der Hüftumfang oder das Verhältnis Taillen-zu-Hüftumfang bestimmt.
Um einen Behandlungserfolg zu dokumentieren, berechnen Ärzte auch den relativen Gewichtsverlust (relativ weight loss, RWL). Eine Gewichtsabnahme von mindestens fünf Prozent gegenüber dem Ausgangswert führt bei Adipositas bereits zu einer Verbesserung von Kreislauf- und Stoffwechsel-Risikofaktoren.
Body Roundness Index-- Im Vergleich zum BMI setzt der Body Roundness Index (BRI) den Körperumfang in das Verhältnis zur Körpergröße, was eine genauere Schätzung der Fettmasse ermöglichen kann. Die Formel zur BRI-Berechnung bezieht den Taillenumfang und die Körpergröße ein. Sie ist nicht so einfach wie die BMI-Formel und lässt sich am besten online berechnen (z. B. bri-calculator. com/de).
Messwerte-- Vor einer Adipositas-Behandlung genügt es nicht, den BMI, den Taillen- oder Hüftumfang zu ermitteln. Der Arzt wird noch weitere Laborwerte bestimmen. Dazu zählen beispielsweise Triglyzeride, Nüchternglukose, Harnsäure, Gesamt-, LDL- und HDL-Cholesterin.
Selten-- Auch einige seltene Erkrankungen mit genetischen Veränderungen wie das Prader-Willi-Syndrom führen zu Übergewicht. Sie müssen in spezialisierten Zentren diagnostiziert und behandelt werden.
Kinder-- Für das Kindes- und Jugendalter gibt es keine festen BMI-Grenzwerte wie für Erwachsene. Übergewicht beziehungsweise Adipositas werden mithilfe geschlechtsspezifischer BMI-Altersperzentilen ermittelt.
Therapieziele
Das Ziel der Behandlung von (starkem) Übergewicht ist nicht nur die Gewichtsreduktion, sondern auch die Verringerung der damit verbundenen Risiken und Begleiterkrankungen und die Verbesserung der Lebensqualität. Der behandelnde Arzt wird dabei den Nutzen sorgfältig gegen mögliche Risiken der Therapie abwägen. Außerdem sollten die Therapieziele realistisch sein und zu den individuellen Lebensumständen der Betroffenen passen. Die ärztliche S3-Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“ empfiehlt als Gewichtsziele innerhalb von sechs bis zwölf Monaten:
- bei einem BMI zwischen 25 und 34,9 kg/m2: Abnahme ≥ 5 % des Ausgangsgewichts
- bei einem BMI ≥ 35 kg/m2: Abnahme ≥ 10 % des Ausgangsgewichts.
Basistherapie
Die Grundlage einer jeden gewichtssenkenden Behandlung ist die Basistherapie. Weil sie sich aus den drei Bausteinen Ernährungsumstellung, Bewegungssteigerung und Verhaltenstherapie zusammensetzt, wird sie auch als multimodale Basistherapie bezeichnet. Die Ernährungsumstellung hat dabei den stärksten Effekt auf das Körpergewicht.
Kalorienreduktion-- Die Kalorienaufnahme sollte etwa um 500 bis 600 Kilokalorien pro Tag gesenkt werden. Damit lässt sich erfahrungsgemäß ein Gewichtsverlust von 0,5 Kilogramm pro Woche erreichen. Eine stärkere Kalorienreduktion (z. B. mit Crash-Diäten) wird nicht empfohlen, da dann ein Mikronährstoffmangel die Folge sein kann.
Niedrigkalorisch-- Wenn die Kalorienzufuhr noch weiter reduziert wird, sodass weniger als 800 bis maximal 1200 Kilokalorien pro Tag verzehrt werden, kann das Körpergewicht noch schneller verringert werden. Diese Ernährungsform birgt jedoch auch Risiken und muss daher durchgehend ärztlich begleitet werden. Bei Schwangeren und Stillenden sowie Menschen mit Erkrankungen wie beispielsweise Typ-1-Diabetes, Herzinsuffizienz oder schweren Infektionen ist sie kontraindiziert.
Aktivität-- Um die Gewichtsabnahme zu unterstützen, sollten Menschen mit Übergewicht und Adipositas, sofern keine Kontraindikationen bestehen, 30 bis 60 Minuten pro Tag körperlich aktiv sein.
Verhaltensänderung-- Dazu zählen verschiedene Maßnahmen wie nicht beim Fernsehen oder während der Nutzung von Smartphone oder Computer zu essen, nicht zur Belohnung, aus Frust oder Langeweile zu essen (emotionales Essen) und nicht hungrig einkaufen zu gehen. Abnehmwillige sollten achtsam mit sich selbst sein, um Rückfälle zu vermeiden, und sich soziale Unterstützung bei Familienmitgliedern, Freunden oder Kollegen holen.
English for PTA
Lesen Sie ergänzend und thematisch passend zu unserer zertifizierten Fortbildung unseren englischen Beitrag „Overweights“.
Pharmakotherapie
Arzneimittel können bei Menschen mit Übergewicht zum Einsatz kommen, wenn die multimodale Basistherapie nicht ausreicht, um das Gewicht zu reduzieren oder es auf dem erreichten Niveau stabil zu halten. Derzeit sind in Deutschland die Wirkstoffe Liraglutid, Semaglutid, Tirzepatid, Orlistat sowie eine Fixkombination aus Bupropion und Naltrexon zugelassen. Die Kombination wird seit 2021 in Deutschland nicht mehr vertrieben.
Verschiedene Gewichtsklassen* |
|
Grade |
BMI in kg/m2 |
Untergewicht |
< 18,5 |
Normalgewicht |
18,5-24,9 |
Übergewicht |
≥ 25,0 |
Präadipositas |
25,0-29,9 |
Adipositas Grad I |
30,0-34,9 |
Adipositas Grad II |
35,0-39,9 |
Adipositas Grad III |
≥ 40 |
*Klassifikation des Körpergewichts anhand des BMI
Rezeptor-Agonisten-- Die GLP-1 (engl.: Glucagon-like Peptide-1)-Rezeptor-Agonisten Liraglutid und Semaglutid ahmen die Wirkung des körpereigenen Hormons GLP-1 nach, das den Appetit hemmt und die Magenentleerung verzögert. Außerdem wird die glukoseabhängige Freisetzung von Insulin aus den beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse stimuliert sowie die Glukagon-Ausschüttung unterdrückt. Tirzepatid ist ein dualer Agonist an GLP-1 und außerdem am Rezeptor des Glukose-abhängigen, insulinotropen Polypeptids GIP. Beide Peptidhormone werden im Darm gebildet. Alle drei Wirkstoffe sind auch zur Behandlung des Typ-2-Diabetes zuglassen.
Applikation-- Orlistat wird oral als Kapsel verabreicht. Die Applikation von Lira- glutid, Semaglutid und Tirzepatid erfolgt subkutan in den Bauch, den Oberschenkel oder den Oberarm. Die Injektion darf nicht intravenös oder intramuskulär erfolgen.
Kombination-- Alle Arzneimittel haben gemeinsam, dass sie als Ergänzung zu einer kalorienreduzierten Ernährung und verstärkter körperlicher Aktivität, also der Basistherapie, zugelassen sind.
Voraussetzung-- Menschen mit Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2) erhalten die Arzneimittel ohne Einschränkung. Menschen mit Übergewicht (≥ 27 kg/m2 bis < 30 kg/m2) können diese erhalten, wenn mindestens eine gewichtsbedingte Begleiterkrankung vorliegt. Dazu zählen vor allem Prädiabetes oder Typ-2-Diabetes mellitus, Hypertonie, Dyslipidämie oder obstruktive Schlafapnoe.
Behandlungsdauer-- Die Arzneimittel können grundsätzlich über einen längeren Zeitraum angewendet werden. Es besteht jedoch die Einschränkung (außer bei Tirzepatid), dass die Behandlung beendet werden muss, wenn nach zwölf Wochen kein ausreichender Gewichtsverlust (Liraglutid 4 %, Semaglutid 5 % des KG) zu verzeichnen ist.
Aufdosierung-- Bei Liraglutid, Semaglutid und Tirzepatid wird die Dosis über mehrere Wochen im Abstand von mindestens einer Woche schrittweise erhöht. Dadurch soll die Magen-Darm-Verträglichkeit verbessert werden.
Liraglutid-- Dieser GLP-1-Agonist (Saxenda) ist für Erwachsene und Jugendliche (ab 12 J. und mit einem Mindestgewicht von 60 kg) zuglassen.
Semaglutid-- Semaglutid (Wegovy) besitzt die gleiche Zulassung wie Liraglutid, muss jedoch nur einmal wöchentlich verabreicht werden, weil es länger wirksam ist.
Tirzepatid-- Dieser Wirkstoff (Mounjaro) wird ebenfalls nur einmal wöchentlich verabreicht und ist derzeit nur für Erwachsene zugelassen.
Orlistat-- Dieses oral als Kapsel einzunehmende Therapeutikum (Xenical) wirkt über eine irreversible Hemmung der fettspaltenden Enzyme (Lipasen) im Magen und Zwölffingerdarm. Dadurch wird etwa ein Drittel der aufgenommenen Lipide (Triglyceride) unverdaut ausgeschieden, was zu einem Kaloriendefizit führt. Orlistat ist nur für Erwachsene zugelassen
Setmelanotid-- Das Medikament Imcivree mit dem Wirkstoff Setmelanotid kommt in der Apotheke kaum vor, denn es wird nur bei seltenen Krankheiten eingesetzt. Es handelt sich dabei um genetisch bedingte Erkrankungen, die zu einem unkontrollierbaren Hungergefühl führen. Durch die übermäßige Nahrungsaufnahme entwickelt sich bei den Betroffenen leicht eine Adipositas.
Studienergebnis-- Die Vermutung liegt nahe, dass sich Menschen mit Adipositas fitter fühlen, wenn sie mehrere Kilogramm abgenommen haben. Für den Wirkstoff Semaglutid konnte erstmalig in einer großen Studie gezeigt werden, dass die Gabe von 2,4 Milligramm Semaglutid einmal wöchentlich zusätzlich zur Standardtherapie nicht nur zur Gewichtsabnahme führte, sondern auch die Beschwerden einer Adipositas-bedingten Herzschwäche (Herzinsuffizienz) lindern kann. Dazu zählen beispielsweise Kurzatmigkeit und geschwollene Beine und Füße.
Zusatzwirkungen-- Es liegen Ergebnisse aus Tierversuchen und ersten Studien mit Menschen vor, in denen GLP-1-Agonisten das Verlangen nach Drogen, vor allem Alkohol und Nikotin, reduzierten. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Nervenzellen an ihrer Oberfläche Rezeptoren für GLP-1 besitzen. Dazu sind jedoch noch weitere Untersuchungen notwendig.
Erstattung-- In Deutschland werden die Kosten einer Behandlung mit Liraglutid, Semaglutid, Tirzepatid und Orlistat mit dem Ziel der Gewichtsabnahme derzeit nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen. Der Arzt stellt deshalb ein Privatrezept aus. Der Grund ist die Einstufung dieser Medikamente als Lifestyle-Arzneimittel. Werden die Wirkstoffe zur Behandlung des Typ-2-Diabetes verordnet (z. B. Semaglutid als Ozempic) ist eine Erstattung durch die GKV möglich.
Adipositas-Chirurgie
Falls nicht operative Behandlungen, also die Basistherapie und Arzneimittel, nicht erfolgreich waren, kann der Arzt chirurgische Maßnahmen einsetzen. Bei schwerer Adipositas können Operationen auch als erste Maßnahme zur Anwendung kommen.
Verfahren-- Zu den chirurgischen Verfahren zählen die Bildung eines Schlauchmagens, eines Magenbypasses oder das Anlegen eines Magenbands.
Nachsorge-- Nach einem chirurgischen Eingriff ist eine lebenslange Nachbehandlung notwendig. Dabei wird beispielsweise kontrolliert, ob die Betroffenen ausreichend Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, um Mangelerscheinungen vorzubeugen. Denn durch den chirurgischen Eingriff wird die Resorption von Nährstoffen und Vitaminen deutlich verringert. Außerdem werden die Gewichtsentwicklung kontrolliert und gegebenenfalls Medikamente für Begleiterkrankungen angepasst. Auch Untersuchungen auf psychische Erkrankungen gehören zu dieser Nachsorge.
Digitale Tools sind einfach zu bedienen und ständig verfügbar.
Digitale Unterstützung
Apps auf dem Smartphone und tragbare digitale Hilfsmittel (Wearables) wie Schrittzähler oder Smartwatches haben heute einen festen Platz im Alltag und auch im Gesundheitswesen. Sie können die multimodale Basistherapie zur Gewichtsreduktion unterstützen. Mittlerweile wurde der Nutzen von digitalen Hilfsmitteln sogar in randomisierten klinischen Studien belegt.
Unterschiede-- Die Zahl der verfügbaren Anwendungen ist riesig. Unterschieden werden muss zwischen Lifestyle-Apps, die in den App Stores frei oder gegen Bezahlung verfügbar sind, und digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGas), die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zertifiziert wurden. Seit im Jahr 2020 das Digitale-Versorgung-Gesetz in Kraft getreten ist, können geprüfte DiGa vom Arzt zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden.
Vorteile-- Digitale Tools sind meist einfach zu bedienen und ständig verfügbar. Die persönliche Beratung durch geschultes Fachpersonal ersetzen sie nicht komplett. Sie können aber Unterstützung geben, wenn die persönliche Beratung wegen eingeschränkter Mobilität, fehlender Angebote am Wohnort oder aus Kostengründen nicht regelmäßig wahrgenommen werden kann.
Beratung
PTA können Kunden, die gern überflüssige Pfunde verlieren oder gar nicht erst übermäßig zunehmen möchten, auf vielfältige Weise unterstützen. Ärztlicherseits ist die Hausarztpraxis eine empfehlenswerte Anlaufstelle für Betroffene. Nur bei schwerer Adipositas ist eine Behandlung in spezialisierten Adipositas-Zentren anzuraten.
Allgemeines
Im Bewusstsein vieler Menschen mit Übergewicht sind Glaubenssätze wie „Dicke sind gemütlich“ oder „Dicksein hat auch Vorteile“ noch fest verankert. Diese Kunden wissen möglicherweise noch zu wenig über die gesundheitlichen Risiken von Übergewicht und Adipositas. PTA können in der Beratung zur Aufklärung beitragen.
Alltagstauglichkeit-- Es gibt sehr viele Maßnahmen zur Vorbeugung von Übergewicht, doch sie sind nicht für alle Menschen gleichermaßen gut geeignet. PTA können Betroffene dabei unterstützen, Maßnahmen zu finden, die sich gut in ihren Alltag integrieren lassen.
Kundentypen-- Für eine individuelle Beratung ist es auch notwendig, die Situation der Betroffenen zu kennen. So gibt es beispielsweise Kunden, bei denen Übergewicht in der Familie häufig vorkommt und die das bei sich selbst unbedingt vermeiden wollen. Andere wiegen schon etwas zu viel und möchten auf keinen Fall weiter zunehmen. Für sie kann beispielsweise die Empfehlung, sofort mit intensivem Sport zu beginnen, ungeeignet sein, da das eine zu große Belastung für die Gelenke bedeuten würde.
Motivation-- Menschen mit Übergewicht stehen, nachdem sie wie gewünscht abgenommen haben, vor einer weiteren, fast noch größeren Herausforderung: dieses Körpergewicht langfristig stabil zu halten. Denn häufig kommt es nach einiger Zeit wieder zu einer Gewichtszunahme, weil beispielsweise die Adhärenz zur Basistherapie abnimmt. PTA können versuchen, Betroffene zu motivieren, die erfolgreichen Basistherapiemaßnahmen weiter durchzuführen.
Beratungshinweise
Hinweise zur richtigen Anwendung der verordneten Arzneimittel, aber auch das Abraten von Mitteln ohne gesicherte Wirksamkeitsnachweise, gehören zu einer guten Beratung von Menschen mit Übergewicht und Adipositas.
Zeitpunkt-- Die Einnahme von Orlistat muss zum Beispiel unmittelbar vor, während oder bis zu einer Stunde nach einer Hauptmahlzeit erfolgen, da das Wirkprinzip die Spaltung der Nahrungsfette ist.
Abraten-- In der Laienpresse wird oft für Nahrungsergänzungsmittel und Medizinprodukte zum Abnehmen geworben, deren Wirkung nicht oder kaum belegt ist. Auch für Homöopathika wie Madar und Fucus vesiculosus fehlen solche Nachweise.
Ernährungsberatung
Falls eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter der Apotheke eine Fortbildung im Bereich Ernährungsberatung absolviert hat, ist diese Person besonders gut geeignet, Betroffene bei der Ernährungsumstellung zu unterstützen. Eine optimale Ernährungsform gibt es dabei nicht. Betroffene sollten anhand ihrer Essgewohnheiten und individuellen Vorlieben eine Auswahl treffen. Die ärztliche Adipositas-Leitlinie hält folgende Ernährungsformen für geeignet:
- Reduktion der Fettzufuhr
- Reduktion der Kohlenhydratzufuhr
- Ernährung nach den Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE)
- mediterrane Kost
- vegetarische oder vegane Ernährung
- intermittierendes Fasten.
Mahlzeitenersatz-- Eine weitere empfehlenswerte Strategie zur Senkung der Kalorienzufuhr ist der Ersatz von ein bis zwei Hauptmahlzeiten pro Tag durch Ersatzprodukte wie Eiweißgetränke oder Riegel mit einem Energiegehalt von 200 bis 250 Kilokalorien pro Mahlzeit. Es sind sehr viele verschiedene Produkte auf dem Markt. Bei der Auswahl spielen Geschmacksvorlieben eine wichtige Rolle. Im Beratungsgespräch können geeignete Produkte herausgefunden werden.
Vitaminmangel-- Unter Orlistat kann die Aufnahme fettlöslicher Vitamine (A, D, E, K) beeinträchtigt sein. Zum Ausgleich reicht eine Ernährung mit viel Obst und Gemüse oft nicht aus. Diesen Patienten kann ein Multivitaminpräparat empfohlen werden. Es sollte mindestens zwei Stunden nach Einnahme von Orlistat bzw. vor dem Schlafengehen eingenommen werden.
Nebenwirkungsmanagement
Unter Liraglutid, Semaglutid, Tirzepatid und Orlistat zählen Magen-Darm-Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Obstipation) zu den sehr häufigen Nebenwirkungen, bei Liraglutid, Semaglutid und Orlistat auch Kopfschmerzen.
Vorübergehend-- Häufig treten diese Nebenwirkungen nur in der Anfangsphase der Behandlung auf. Die langsame Aufdosierung trägt dazu bei, gastrointestinale Symptome abzumildern.
Wechsel-- Bei Verabreichung von Liraglutid, Semaglutid und Tirzepatid kann es an den Injektionsstellen zu Reaktionen wie beispielsweise Schmerzen, Ausschlag oder Juckreiz kommen. Um dies zu vermeiden, müssen die Injektionsstellen bei jeder Dosis gewechselt werden.
Wussten Sie, dass ...
- Übergewicht und Adipositas nicht nur körperliche Probleme sind, sondern sich auch negativ auf die psychische Gesundheit auswirken können?
- eine Ursache darin liegt, dass Betroffene häufig stigmatisiert und diskriminiert werden?
- diese Benachteiligung im privaten wie beruflichen Umfeld und sogar im Gesundheitswesen stattfinden kann?
- Menschen mit Übergewicht oder Adipositas als Folge davon unter geringem Selbstwertgefühl, verminderter Lebensqualität bis hin zu Angststörungen und depressiven Symptomen leiden können?
- ärztliche Fachgesellschaften deshalb fordern, dass die Prävention und Therapie der Adipositas frei von gewichtsbezogener Stigmatisierung sein soll?
Rauchstopp
Von Übergewicht Betroffene scheuen sich oft davor, mit dem Rauchen aufzuhören, weil damit meistens eine Gewichtszunahme verbunden ist. Die ärztliche Adipositas-Leitlinie sagt dazu, dass die gesundheitlichen Vorteile eines Rauchstopps die gesundheitlichen Nachteile einer Gewichtszunahme als Folge eines Rauchstopps überwiegen. Deshalb sollte ein Rauchstopp auch dann empfohlen werden, wenn dieser mit einer Gewichtszunahme einhergeht. Die Apotheke kann zahlreiche Raucherentwöhnungsmittel anbieten, um Betroffene zu unterstützen.
Digitales
Auch digitale Hilfsmittel wie Apps können Betroffene dabei unterstützen, beim Gewichtsmanagement „am Ball“ zu bleiben. Doch es gibt Menschen, die sich das nicht zutrauen – beispielsweise aufgrund ihres Alters – oder die technischen Voraussetzungen dafür nicht besitzen. Diesen Personen können PTA eine Beratung anbieten.
Qualitätscheck-- Nicht jede Gesundheits-App ist vertrauenswürdig. Die Techniker Krankenkasse bietet auf ihrer Webseite ein interaktives Tool an, mit dessen Hilfe die Qualität und Vertrauenswürdigkeit einer Gesundheits-App bewertet werden kann.
Interessenskonflikt: Die Autorin erklärt, dass keinerlei Interessenskonflikte bezüglich des Themas vorliegen.