Chronischer Tinnitus: S-3-Leitlinie aktualisiert

(kib) Die Leitlinie „Chronischer Tinnitus“ wurde dem neuesten wissenschaftlichen Stand angepasst. Parallel dazu gibt es nun auch eine in allgemeinverständlicher Form formulierte Patientenleitlinie.

23.11.2021

Frau hält die Hand aufs Ohr
© Foto: Aleksej Sarifulin / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodell)
Anzeige

Bei Tinnitus rauscht, piepst, dröhnt oder klingelt es ständig im Ohr, ausgelöst beispielsweise durch einen Hörsturz, Knallgeräusche oder ein Ungleichgewicht der Flüssigkeit im Innenohr. Dies beeinträchtigt die Lebensqualität der Betroffenen erheblich, zumal dann, wenn die körpereigenen Ohrgeräusche chronisch werden.

Aktueller Podcast

Rund zehn Millionen Menschen erkranken jährlich, bei rund 1,5 Millionen ist dieses Leiden chronisch.

In der aktuellen Leitlinie wird chronischer Tinnitus so definiert: Die Ohrgeräusche bestehen seit mindestens drei Monaten und belasten die Betroffenen. Nach heutigem Wissenstand sollte besonders in Bezug auf die Wahl der Therapie nur zwischen akut oder chronisch unterschieden werden.

Die Therapieempfehlungen zielen darauf ab, die Belastungen langfristig zu reduzieren. Dabei stehen Techniken im Fokus, die die Betroffenen in die Lage versetzen, mit dem Ohrgeräusch umzugehen, um so eine langfristige Desensibilisierung oder gar Reduktion der Belastung dauerhaft zu erreichen.

„Der wichtigste Ausgangspunkt und Basis jeder Therapie sollte dabei die Diagnostik-gestützte Beratung und Aufklärung, das Tinnitus-Counselling, sein“, erklärt Professor Gerhard Hesse, Klinikleiter der Tinnitus Klinik, Bad Arolsen und einer der federführenden Autoren der neuen Leitlinie. Ziel ist es, die Betroffenen mittels Counselling zu einem informierten Umgang mit dem Ohrgeräusch zu ermuntern, um damit besser leben zu können.

Zusätzlich werden in der Leitlinie weitere evidenzbasierte Empfehlungen genannt. Dazu zählen Hörgeräte und/oder eine Hörtherapie sowie operative Maßnahmen, beispielsweise mit einem Cochlea-Implantat. Zur Unterstützung dienen maßgeblich kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungen. Ob diese auch per App wirksam sind, ist jedoch noch nicht wissenschaftlich belegt. Eine klare Empfehlung gibt es außerdem für die Teilnahme an den Tinnitus-Selbsthilfegruppen.

Keine Evidenz

Erstmals wurden in der Leitlinie auch nicht geeignete Empfehlungen aufgelistet, denen es an Evidenz mangelt. „Dies ist eine wichtige Hilfestellung für die Patientinnen und Patienten, die im Internet mit einer Vielzahl von Maßnahmen konfrontiert werden, die nicht zielführend sind“, so Professorin Birgit Mazurek, Direktorin des Tinnituszentrums an der Charité, Berlin und ebenfalls federführende Autorin der Leitlinie.

In den Leitlinien sind unter anderem diese Verfahren gelistet: die unterbrochene Notch-Musik, die als Smartphone-App oder in Verbindung mit Hörgeräten angeboten wird, sowie weitere App-gestützte Soundtherapien und andere akustische Neuromodulations-Verfahren, die sich als wenig evident erwiesen haben. Dazu zählen weiterhin die transkranielle Elektro- und Magnetstimulation sowie die invasive Vagusnervstimulation.

Da es auch keine Wirksamkeitsnachweise für Nahrungsergänzungsmittel und andere Medikamente gegen Tinnitus im chronischen Stadium gibt, werden auch diese nicht empfohlen, zumal erhebliche Nebenwirkungen auftreten können. Darunter fallen folgende Präparate: Betahistin gegen Schwindel, Stärkungsmittel wie Ginkgo, Zink, Melatonin, Cannabis und Hormone wie Oxytocin und Langzeit-Corticosteroide, Antidepressiva, Benzodiazepine zur Beruhigung, Muskelrelaxantien und Gabapentin gegen Nervenschmerzen.

Allerdings trifft dies nicht auf ärztlich verordnete Medikamente gegen Schlaf- und Angststörungen oder Depressionen zu, die bei Tinnitus häufig auftreten können, und die einer fachgerechten Behandlung einschließlich einer medikamentösen Therapie bedürfen.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie

Kommentar schreiben

Die Meinung und Diskussion unserer Nutzer ist ausdrücklich erwünscht. Bitte achten Sie im Sinne einer angenehmen Kommunikation auf unsere Netiquette. Vielen Dank!

Pflichtfeld *