Riskanter TikTok-Trend: „Melatonin-Mums“

(kib) Ein Trend in den sozialen Medien bereitet Kinderärztinnen und -ärzten Sorge: die „Melatonin-Mums“. Ihre in den sozialen Medien geposteten Videos zeigen zum Beispiel, wie sie ihren schreienden Kindern melatoninhaltige Gummibärchen unterjubeln. In der nächsten Sequenz schlafen die Kleinen tief und fest.

12.12.2023

Kleiner Junge schläft
© Foto: Tetiana Soares / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell)
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Videos wie diese gibt es in den Sozialen Medien zuhauf. Mit Titeln wie „Wie du dein Kind in unter 5 Minuten zum Schlafen bringst“ bewerben Eltern Nahrungsergänzungsmittel mit Melatonin als absolutes Wundermittel für Kinder, die einfach nicht einschlafen wollen, berichtet der Nachrichtendienst dpa.

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Tatsächlich spielt Melatonin beim Einschlafen eine wesentliche Rolle. Das natürliche Hormon wird in der Zirbeldrüse im menschlichen Gehirn produziert und wird aktiviert, wenn es dunkel wird. „Vitamin D kennen alle, das ist das Hormon des Tages“, erklärt Kinderarzt Ekkehart Paditz, der Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin und Schlafforschung (DGSM) ist, im Vorfeld des DGSM-Jahreskongress in Berlin. „Melatonin ist der Gegenspieler, das ist das Hormon der Nacht.“

Melatonin als Einschlafhilfe

Im Internet und in Drogerien finden sich zahlreiche frei verkäufliche Nahrungsergänzungsmittel mit Melatonin, die meisten für Erwachsene. Sie versprechen schnelles Einschlafen und das Ende von Schlafstörungen. Es gibt sie in Form von Tabletten, Sprays, Tees, Tropfen und Gummibärchen.

Nicht ohne ärztlichen Rat

Kinderarzt Paditz rät davon ab, den eigenen Kindern ohne Absprache mit einem Arzt eines dieser Produkte zu geben. Bislang wisse man noch zu wenig über die Abbauwege von Melatonin bei Säuglingen und kleinen Kindern, sagt der Arzt. Sicher sei, dass der Melatonin-Stoffwechsel bei ihnen langsamer laufe. Außerdem gebe es bei den in Studien geprüften Nahrungsergänzungsmitteln erhebliche Konzentrationsschwankungen.

In den USA gab es Paditz zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Todesfälle von Kleinkindern, die im zeitlichen Zusammenhang mit stark erhöhten Melatoninwerten standen.

In Arbeit: Leitlinie für Melatonin als schlafförderndes Mittel bei Kindern

Bis Ende März 2025 soll es eine S2e-Leitlinie „Indikationen für Melatonin als schlafförderndes Mittel bei Schlafstörungen im Kindes- und Jugendalter“ geben. So steht es auf der Homepage der AWMF. Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) hat das Vorhaben angemeldet.

Zur Begründung wird angeführt, dass „Melatonin in der Praxis sehr oft eingesetzt wird, auch von Laien“. Mit der Leitlinie soll Fachleuten wie Kinderärztinnen und -ärzten eine kritische evidenzbasierte Bewertungsgrundlage zur Verfügung gestellt werden. So sollen diese besser entscheiden können, bei welchen Indikationen und Voraussetzung es sinnvoll ist, Melatonin zu verordnen. Ebenso sollen in der Leitlinie Dosierungen und Applikationszeiten aufgeführt werden.

Melatonin auf Rezept

Wenn Kinder unter Schlafstörungen litten, sollten Eltern sich nicht auf frei käufliche Mittelchen verlassen, meint Paditz. „Eltern gehen damit ein ziemliches Risiko ein, dass möglicherweise schwerwiegende Krankheiten übersehen werden.“ Auch ein Hirntumor etwa könne Schlafstörungen verursachen. Der Kinderarzt rät daher: „Kinder gehören zum Kinderarzt.“

Für Kinder und Jugendliche kann Melatonin in bestimmten Fällen auf Rezept verschrieben werden. Seit 2020 gibt es in Deutschland ein entsprechendes Medikament für Kinder ab zwei Jahren (Slenyto, Infectopharm). Es kann Kindern mit ernstzunehmenden Schlafstörungen, beispielsweise im Rahmen einer Autismus-Spektrums-Störung, verschrieben werden.

Einschlafroutinen finden

Kinderarzt Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen, warnte ebenfalls davor, Melatonin unkritisch einzusetzen. Er empfahl, bei Schlafstörungen zunächst den Ursachen auf den Grund zu gehen. Oftmals helfen bereits Tipps zur Schlafhygiene wie Routinen entwickeln und vor dem Zubettgehen zur Ruhe zu kommen. Bei kleinen Kindern könnten die Eltern zum Beispiel ein Buch vorlesen oder ein Schlaflied singen oder beruhigend über den Kopf streicheln.

Quelle: dpa

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