Zertifizierte Fortbildung: Hypnotika
- Eine von drei Personen hat Probleme beim Ein- oder Durchschlafen.
- Schlechter Schlaf erhöht das Risiko für psychische und kardiovaskuläre Erkrankungen. Die Ursachen von Schlafstörungen sind mannigfaltig.
- Der primären Insomnie liegt ein erhöhter Erregungszustand zugrunde.
- Nicht medikamentöse Verfahren wie Verhaltenstherapie oder Entspannungsverfahren bilden die Basis jeder Schlafstörungsbehandlung.
- Alle Schlafmittel haben Vor- und Nachteile. Das perfekte Schlafmittel gibt es nicht.
- Einige Medikamente können Schlafstörungen verursachen beziehungsweise unterhalten.
Probleme beim Ein- und/oder Durchschlafen sind weit verbreitet. Knapp 40 Prozent der Deutschen geben an, dass sie eher nicht genügend Schlaf bekämen. Über ein Fünftel bewerten die eigene Schlafqualität sogar als schlecht oder sehr schlecht. Dies hat vielfach negative Auswirkungen auf das alltägliche Leben. Wer schlecht schläft, ist in der Schule oder auf der Arbeit weniger leistungsfähig.
Lernziele
Nach Lektüre dieser Lerneinheit wissen Sie, ...
- welche Ursachen Schlafstörungen haben können.
- wie man Schlafstörungen nicht medikamentös behandeln kann.
- welche freiverkäuflichen Medikamente es gibt.
- welche verschreibungspflichtigen Medikamente zur Verfügung stehen.
- was es mit Gewöhnung und Abhängigkeit auf sich hat.
- worauf man bei Komedikation und besonderen Patientengruppen achten sollte.
Zu wenig Schlaf verringert nicht nur die Lebensqualität, sondern ist auch mit einem erhöhten Risiko für psychische und kardiovaskuläre Erkrankungen verbunden. In einer australischen Studie hatten Frauen mit Schlafproblemen ein doppelt so hohes Risiko, an einem kardiovaskulären Ereignis zu versterben, als gleichaltrige Frauen ohne diese Belastung. Bei Männern stieg das Risiko im über zehnjährigen Beobachtungszeitraum um ein Drittel. Schlafstörungen sind demnach eine ernstzunehmende Erkrankung, die einer individuellen Therapie bedarf. In der Apotheke können sich Kunden zu geeigneten Behandlungsoptionen beraten lassen.
Physiologie des Schlafes
Warum wir schlafen, ist noch immer nicht endgültig geklärt. Fest steht, dass Schlaf mehrere lebenswichtige Funktionen erfüllt. Dazu gehören Erholung, das Abspeichern von Informationen im Langzeitgedächtnis sowie eine Stärkung des Immunsystems. Weniger bekannt ist, dass der Energieverbrauch während des Schlafens um etwa zehn Prozent sinkt, was ein evolutionäres Überbleibsel an die fehlende Nahrungssuche in der Dunkelheit sein könnte.
Schlafphasen-- Im Elektroenzephalogramm kann man je nach Wellenmuster verschiedene Schlafstadien unterscheiden. Das Einschlafstadium (Stadium I), das Leichtschlafstadium (Stadium II) und zwei Tiefschlafstadien (Stadium III und IV). Dazu gesellen sich Phasen, in denen schnelle Augenbewegungen auftreten (REM-Schlaf für Rapid-Eye-Movement). Untersuchungen weisen darauf hin, dass sowohl REM- als auch Nicht-REM-Phasen daran beteiligt sind, Gedächtnisinhalte zu verfestigen.
Ein normaler Ablauf der verschiedenen Schlafphasen ist für das allgemeine Wohl- befinden unerlässlich. Besonders verminderter REM-Schlaf kann schwere gesundheitliche Auswirkungen haben.
Ursachen von Schlafstörungen
Mediziner gliedern Schlafstörungen (Insomnien) in sechs große Gruppen:
- primäre/sekundäre Insomnien (idiopthisch/aufgrund einer Grunderkrankung)
- Parasomnien (Auffälligkeiten während des Schlafes wie Schlafwandeln)
- Hypersomnien (erhöhte Tagesmüdigkeit oder verlängerte Schlafzeit)
- zirkadiane Rhythmusstörungen (z. B. Schichtarbeitersyndrom)
- schlafbezogene Bewegungsstörungen (z. B. Restless-Legs-Syndrom) sowie
- schlafbezogene Atmungsstörungen (z. B. Schlafapnoe).
Die jeweiligen Auslöser sind äußerst vielfältig und reichen von psychischen Erkrankungen über körperliche Beschwerden bis hin zu genetischen Ursachen. Bei der für das Kundengespräch besonders relevanten primären (psychophysiologischen) Insomnie steht ein erhöhter Erregungszustand im Vordergrund. Emotionale und vegetative Unruhe, körperliche Anspannung und kognitive Überaktivität verhindern, dass man gut ein- beziehungsweise durchschläft. Oft sind es alltägliche Sorgen, die Betroffenen den Schlaf rauben. Es ist daher naheliegend, zunächst nicht medikamentöse Verfahren zu empfehlen, die auf diese Aspekte abzielen. Der Griff in die „Schlafmittelkiste“ sollte, wenn möglich, unterbleiben.
Nicht medikamentöse Verfahren
Nicht medikamentöse Behandlungsverfahren spielen bei Schlafproblemen eine ausgesprochen wichtige Rolle. Studien zeigen eindrücklich, dass eine rein medikamentöse Behandlung der primären Insomnie meist wenig aussichtsreich ist. Eine ausführliche schlafspezifische Beratung ist deshalb das A und O.
Basisverfahren
Im Gespräch kann man Ängste erfragen und falsche Vorstellungen über den Schlaf relativieren. Vielen Kunden hilft es, wenn sie etwas über das natürliche (und individuell sehr unterschiedliche) Schlafverhalten erfahren oder man mit ihnen über potenzielle Folgen länger andauernder Schlafprobleme spricht. Ergeben sich dabei Hinweise auf eine sekundäre Ursache oder schwere Verläufe, ist eine ärztliche Abklärung erforderlich.
Schlafhygiene-- Regeln für einen gesunden Schlaf werden gern auch unter dem Begriff „Schlafhygiene“ zusammengefasst. Prinzipiell handelt es sich um ein psychoedukatives Verfahren, bei dem Wissen über die Schlafregulation dazu eingesetzt wird, einfache Verhaltensänderungen zu initiieren.
Verhaltenstherapie
Es gibt unzählige verhaltenstherapeutische Techniken, deren Aufzählung den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde. Einfach umsetzbar sind Stimuluskontrolle, Schlafrestriktion, kognitive Techniken und paradoxe Intention.
Stimuluskontrolle-- Sie wird auch als Reiz-Kontroll-Technik bezeichnet. Mit ihrer Hilfe soll erreicht werden, dass das Bett vor allem mit Schlafen in Verbindung gebracht wird. Vereinfacht könnte man sagen: „Das Bett wird nur zum Schlafen und für sexuelle Aktivitäten verwendet.“
Schlafrestriktion-- Bei diesem Verfahren schränkt man die im Bett verbrachte Zeit willentlich ein (z. B. 5 h). Das verbessert die Schlafeffizienz und erhöht den Schlafdruck für die folgende Nacht.
Kognition-- Kognitive Techniken sollen negative, mit dem Schlaf behaftete Gedanken in positive verwandeln. Es geht vor allem darum, Denkmuster zu verändern, die vom Schlaf abhalten können. Das können Gedanken sein wie „Wenn ich jetzt nicht wieder einschlafe, werde ich den morgigen Tag nicht überstehen“, die positiv umgedeutet werden. Etwa in „Ich werde eben ab und zu wach, trotzdem bin ich morgen früh nicht müde“.
Paradoxe Intention-- Haben Sie schon einmal probiert, krampfhaft wach zu bleiben, nur um festzustellen, dass es genau das Gegenteil bewirkt? So ähnlich funktioniert das Prinzip der paradoxen Intention. Indem man versucht, wach zu bleiben, werden erfolglose Versuche, einzuschlafen und angstbesetzte Kognitionen reduziert.
Entspannungsverfahren
Systematische Entspannungsmethoden wie die progressive Muskelrelaxation, Yoga, autogenes Training, Biofeedback und Meditation können hilfreich sein, um den Alltag hinter sich zu lassen.
Psychotherapie
Psychotherapien im eigentlichen Sinn sollen den Umgang mit dem Schlaf positiv verändern. Sei es durch Bearbeitung der die Schlafstörung aufrechterhaltenden Probleme oder das Beseitigen unangepassten Verhaltens. Goldstandard ist die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I). In der deutschen S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/ Schlafstörungen – Insomnie bei Erwachsenen“ wird sie mit einer Kategorie-A-Empfehlung versehen. Sie gilt bei Erwachsenen jedes Lebensalters als Behandlungsoption der ersten Wahl.
Psychotherapie gilt als wichtiger Baustein bei der Behandlung von Schlafstörungen.
Medikamentöse Behandlung
Medikamente kommen bei primärer Insomnie dann zum Einsatz, wenn nicht medikamentöse Verfahren unzureichend wirken. Bei anderen Schlafstörungen wie Hypersomnie, Restless-Legs-Syndrom oder aufgrund einer psychiatrischen Grunderkrankung ist das anders. Hier haben Schlafhygiene und Co. eher adjuvanten Charakter.
Bei hilfesuchenden Patienten sollte die Schlafstörung erst seit kurzem (3– 4 Wo.) bestehen, keine organische Ursache haben und ein wahrscheinlicher Auslöser wie Schichtarbeit oder Prüfungsangst vorliegen. Ist das der Fall, kann eine Selbstmedikation empfohlen werden. Diese sollte nach maximal drei Wochen zu einer Besserung der Beschwerden führen. Bei anhaltenden Schlafproblemen oder vermuteter organischer Ursache ist ein Arztbesuch angezeigt.
Phytopharmaka sind bei akuten Schlafproblemen sehr beliebt.
Pflanzliche Arzneimittel
Phytopharmaka besitzen zur Behandlung von akuten Schlafproblemen einen großen Stellenwert. Sie sind gut verträglich, machen nicht abhängig, erzeugen keinen Hang-over und beeinträchtigen nicht die Konzentrationsfähigkeit. Ihre sedierende Wirkung setzt nicht sofort, sondern erst nach mehreren Tagen ein. Das Wirkoptimum ist nach zwei bis vier Wochen erreicht.
Baldrian-- Extrakte aus der Baldrian- wurzel enthalten ätherisches Öl, Valepotriate, Terpene und Lignane. Die sekundären Pflanzenstoffe vermindern die Einschlafzeit und verbessern die Schlafqualität. Als Nebenwirkungen können Magen-Darm-Probleme auftreten. Aus Sicht des HMPC (Committee on Herbal Medicinal Products) darf Baldrianwurzel erst ab zwölf Jahren angewandt werden. Schwangere und Stillende sollten gänzlich darauf verzichten.
Hopfen-- Die in den Hopfenblüten enthaltenen Bitterstoffe und das ätherische Öl haben eine beruhigende, schlaffördernde Wirkung. Hopfenblüten verstärken die Effekte anderer pflanzlicher Sedativa, weshalb man sie gerne Kombinationspräparaten zusetzt. Bei Kindern unter zwölf Jahren sowie in der Schwangerschaft und Stillzeit sollte man bei Hopfen zurückhaltend sein.
Passionsblume-- Passionsblumenkraut ist reich an Flavonoiden. Wässrige Extrakte wirken schlaffördernd, wässrig-alkoholische Extrakte angstlösend. Vorwiegendes Einsatzgebiet sind nervöse Unruhezustände. Damit die Passionsblume ihr volles Potenzial entfalten kann, wird sie für gewöhnlich mit anderen Heilpflanzen kombiniert. Das HMPC empfiehlt Passionsblumenkraut ab einem Alter von zwölf Jahren, da ausreichende Daten bei Kindern fehlen. Schwangeren und stillenden Frauen wird – obwohl es keine Hinweise auf negative Auswirkungen gibt – die Anwendung nicht empfohlen.
Melisse-- Melissenblätter werden zur Linderung von leichten Stresssymptomen und als mildes Schlafmittel verwendet. Als wirksame Bestandteile wurden Hy-droxyzimtsäurederivate und ätherisches Öl identifiziert. Angesichts fehlender Untersuchungen sollte Melisse bei Kindern unter zwölf Jahren nicht angewendet werden. Hiervon ausgenommen ist die Zubereitung als Tee.
Lavendel-- Die Blüten des echten Lavendels beinhalten ein Linalool- und Linalyl-acetathaltiges ätherisches Öl. Dessen entspannende, beruhigende und angstlösende Eigenschaften sind durch qualitativ hochwertige klinische Studien belegt. Der standardisierte Extrakt Silexan ist zur Behandlung von Unruhezuständen bei ängstlicher Verstimmung ab 18 Jahren zugelassen. Dies kann positive Auswirkungen auf damit einhergehende Schlafprobleme haben. Blüten zur Teebereitung oder als Badezusatz werden ab zwölf Jahren zur Besserung des Befindens bei nervlicher Belastung und Erschöpfung und zur Unterstützung des Schlafes eingesetzt.
Johanniskraut-- Freiverkäufliche Arzneimittel mit standardisiertem Johanniskrautextrakt sind bei leichten depressiven Verstimmungen indiziert. Sie können begleitende Schlafprobleme verbessern, indem sie depressive Beschwerden lindern. Für isolierte Schlafprobleme können sie jedoch nicht empfohlen werden! Tees und andere Trocken- oder Flüssigkeitsextrakte können als traditionelle Anwendung bei nervösen Einschlafstörungen helfen. Werden noch andere Medikamente eingenommen, ist Vorsicht gefragt. Johanniskraut beschleunigt den Abbau von Wirkstoffen, die über das Enzym CYP3A4 verstoffwechselt werden (z. B. Fettsenker, Blutverdünner, Antidepressiva). Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sowie schwangere und stillende Frauen sollten Johanniskraut wegen fehlender Sicherheitsdaten nicht einnehmen.
Antihistaminika
Doxylamin und Diphenhydramin sind ältere OTC-Antihistaminika mit sedierender Wirkung. Die empfohlene Dosis beträgt 25 bis 50 Milligramm (ca. 1 h vor dem Schlafengehen). Ältere Menschen reagieren sensibler als junge, weshalb bei Über-65-Jährigen meist 25 Milligramm ausreichen und die Wirkstoffe zurückhaltend empfohlen werden sollten. Im Gegensatz zu pflanzlichen Arzneimitteln können Antihistaminika sich durch einen Hang-over-Effekt am Folgetag bemerkbar machen. Das kann die Fähigkeit zur Teilnahme am Straßenverkehr oder zum Bedienen schwerer Maschinen erheblich einschränken. Probleme beim Harnlassen, Mundtrockenheit, Sehstörungen, Verstopfung, Schwindel und Agitiertheit sind weitere Nebenwirkungen, mit denen man bei Doxylamin und Diphenhydramin rechnen muss. Die Behandlungsdauer darf ohne Rezept 14 Tage nicht überschreiten. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind von der Selbstmedikation ausgeschlossen.
Benzodiazepine
Benzodiazepine sind im kurzzeitigen Gebrauch (3 bis 4 Wo.) effektiv in der Behandlung von Insomnien und entgegen ihrem Ruf ausgesprochen sichere Arzneimittel. Als allosterische Modulatoren verstärken sie die Wirkung des hemmenden Neurotransmitters GABA. GABA-Rezeptoren sind die wichtigsten inhibitorischen Rezeptoren im zentralen Nervensystem. Bindet GABA an seinen Rezeptor, hat das eine hemmende Wirkung auf die Nervenzellen. Schwere toxische Nebenwirkungen kommen bei ordnungsgemäßer Anwendung so gut wie nicht vor. Viele der Benzodiazepin-assoziierten Risiken entstehen erst bei langfristiger Einnahme. Abruptes Absetzen kann dann Entzugssymptome wie Schwitzen, Zittern, Schlaflosigkeit, Dyspnoe und Ängstlichkeit auslösen.
In Deutschland zugelassen sind Bro- tizolam, Flunitrazepam, Flurazepam, Lormetazepam, Nitrazepam, Oxazepam, Temazepam und Triazolam. Lorazepam besitzt eine Zulassung zur symptomatischen Kurzzeitbehandlung von Angst-, Spannungs- und Erregungszuständen sowie dadurch bedingten Schlafstörungen. Diazepam und Brom- azepam können laut Fachinformation als Schlafmittel eingesetzt werden, wenn eine angstlösende Wirkung am Tag erwünscht ist.
Um Benzodiazepine sicher zu verordnen, wurde die 5-K-Regel entwickelt. Sie gibt auch PTA eine Hilfestellung, falsche Verordnungspraktiken rechtzeitig zu erkennen. Die 5 K stehen für klare Indikation, kleinstmögliche Dosis, kurze Anwendung (max. 4 Wo.), kein abruptes Absetzen sowie Kontraindikationen und Wechselwirkungen beachten.
Z-Drugs
Der Name dieser Stoffgruppe ergibt sich aus dem Anfangsbuchstaben „Z“ der einzelnen Substanzen. Verfügbare Vertreter sind Zolpidem und (Es-)Zopiclon. Z-Drugs sind gleich wirksam wie klassische Benzodiazepine. Ihre höhere Affinität zu Rezeptoren mit α1-Bindungsstellen soll die für Schlafmittel unerwünschte Anxiolyse (Angstlösung) und Muskelrelaxation verringern. Die Datenlage ist widersprüchlich.
Antidepressiva
Antidepressiva mit sedierender Wirkkomponente werden zunehmend für Schlafstörungen verschrieben. Hauptargument ist das fehlende Abhängigkeitspotenzial. Offiziell zugelassen sind die Wirkstoffe dafür nicht. Der Einsatz von Doxepin, Amitriptylin, Mirtazapin, Trazodon und Trimipramin erfolgt in erster Linie bei Patienten mit zugrundeliegender Depression, die komorbid über Schlafstörungen klagen. Die Verträglichkeit hängt vom jeweiligen Wirkstoff ab. So stehen bei den trizyklischen Antidepressiva anticholinerge Nebenwirkungen wie verschwommenes Sehen, Verstopfung und Harnverhalt im Vordergrund, während man bei Mirtazapin auf eine unerwünschte Gewichtszunahme und bei Trazodon auf Mundtrockenheit achten muss.
Antipsychotika
Für keines der nachfolgend genannten Antipsychotika existieren gut fundierte Studien zur Behandlung von Schlafstörungen. Sie sind jedoch eine Option für gerontopsychiatrische Patienten. Pip-amperon und Melperon sind bei isolierter Schlafstörung zugelassen. Quetiapin, Prothipendyl, Chlorprothixen und Levomepromazin eignen sich zur Schlafunterstützung bei psychiatrischer Komorbidität.
Melatonin-Rezeptor-Agonisten
Melatonin-- Melatonin ist ein körpereigenes Hormon, dessen Aufgabe darin besteht, den Tag-Nacht-Rhythmus zu regulieren. Es wird mit Beginn der Dämmerung vermehrt aus der Epiphyse freigesetzt und verkürzt die Einschlafzeit. Am Abend eingenommen kann Melatonin als Chronobiotikum den desynchronisierten Schlafrhythmus wiederherstellen. Rezeptpflichtige Medikamente sind zur kurzfristigen Behandlung der primären Insomnie bei Patienten ab 55 Jahren oder zur Behandlung von Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS, Autismus-Spektrum-Störung und/oder Smith-Magenis-Syndrom (seltene Erbkrankheit) zugelassen. Nahrungsergänzungsmittel mit Melatonin unterliegen in Deutschland nicht der Rezeptpflicht und sind in Dosierungen bis zu zehn Milligramm auf dem Markt.
Tryptophan-- Tryptophan ist eine essenzielle Aminosäure und biochemische Vorstufe von Melatonin. In Deutschland ist es als Arzneimittel bei Schlafstörungen zugelassen. In anderen Ländern wie der Schweiz und Österreich hat Tryptophan den Status eines Nahrungsergänzungsmittels. Die Tabletten oder Kapseln werden ungefähr 30 Minuten vor dem Schlafengehen mit etwas Flüssigkeit eingenommen. Wechselwirkungen wurden mit zahlreichen Arzneistoffen beschrieben, darunter Antidepressiva, Antipsychotika, Opiate, MAO-Hemmer, Lithium und Benzodiazepine.
Agomelatin-- Agomelatin ist das bisher einzige Antidepressivum, dass Melatonin-Rezeptoren aktiviert. Hieraus ergibt sich der positive Einfluss auf den bei Depression häufig gestörten zirkadianen Rhythmus sowie seine schlaffördernde Wirkung. Seltene Leberschäden hatten 2012 einen Rote-Hand-Brief zur Folge. Seitdem sollen bei mit Agomelatin Behandelten regelmäßig Leberfunktionstests durchgeführt werden.
Tasimelteon-- Definitiv ein Exot, den man nicht alle Tage zu Gesicht bekommt, ist Tasimelteon. Die ebenfalls am Melatonin-Rezeptor wirksame Substanz ist bei völlig blinden Erwachsenen zur Behandlung des Nicht-24-Stunden-Schlaf-Wach-Syndroms indiziert.
Orexin-Rezeptor-Antagonisten
Die (gar nicht mehr so) neuen Orexin-Rezeptor-Antagonisten vermitteln ihre schlaffördernde Wirkung über im zentralen Nervensystem lokalisierte Orexin-Rezeptoren. Orexine sind Peptide, die den Körper wachhalten. Als bisher einziges Schlafmittel haben Orexin-Rezeptor-Antagonisten daher einen indirekt-sedierenden Wirkmechanismus. Dies könnte erklären, wieso in bisherigen Studien weder eine Toleranzbildung noch Abhängigkeit und Entzugssymptome beobachtet wurden (geringes Missbrauchspotenzial). In Deutschland ist derzeit nur Daridorexant erhältlich. Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen und Schläfrigkeit am Folgetag der Einnahme.
Auch verschiedene Arzneimittel können den Schlaf stören.
Am HV-Tisch
Schlafmittelrezepte bieten PTA den idealen Einstieg, um mit den Kunden näher über ihre Schlafprobleme zu sprechen. Berichten sie über Nebenwirkungen? Gibt es Alternativen zu den verordneten Arzneimitteln, die Nebenwirkungen verursachen? Werden gleichzeitig Medikamente eingenommen, die sich negativ auf den Schlaf auswirken? Bereits geringfügige Veränderungen können die Lebensqualität nachhaltig verbessern.
Schlafmittelmissbrauch
Man schätzt, dass in Deutschland rund 1,5 Millionen Menschen Medikamente – darunter Benzodiazepine und Z-Drugs – missbräuchlich benutzen. Schlafmittel machen zwar nur einen Teil davon aus, können aber vergleichsweise schnell eine Toleranz hervorrufen. Schon nach zwei Wochen kann sich der Körper daran gewöhnen. Eine Abhängigkeit kann sich nach vier Wochen entwickeln.
Gewöhnung-- Wird ein Individuum unempfindlich gegenüber einem Wirkstoff, spricht man von Gewöhnung oder Toleranz. Das bedeutet, dass der Körper bei wiederholter Einnahme weniger stark auf das Medikament reagiert und die Dosis gesteigert werden muss, um denselben Effekt zu erzielen. Wie lange das dauert, hängt vom jeweiligen Wirkstoff und Individuum ab. Toleranz begünstigt das Auftreten von Abhängigkeit. Der Übergang ist fließend.
Abhängigkeit-- Abhängigkeit liegt vor, wenn ein Verlangen danach besteht, immer wieder ein bestimmtes Mittel einzunehmen, um in einen Zustand des Wohlbefindens zu gelangen. Wird dieses Verlangen nicht erfüllt, ruft das missmutige Stimmung und körperliche Entzugserscheinungen hervor. Das Abhängigkeitspotenzial von Schlafmitteln korreliert mit der Art der Zubereitung sowie der Geschwindigkeit des Wirkeintrittes (rasch > langsam). So macht die intravenöse Applikation schneller abhängig als die orale.
Wussten Sie, dass ...
- Schlafmittel eine paradoxe Reaktion hervorrufen können?
- paradoxe Reaktionen oft bei älteren Menschen und Kindern auftreten?
- das Risiko für paradoxe Reaktionen höher ist, wenn man Schlafmittel zum ersten Mal, speziell in hoher Dosis bekommt?
- paradoxe Reaktionen sich durch Erregung und Unruhe bis hin zu Angst und Panik äußern können?
- Clomethiazol und Chloralhydrat bei paradoxen Reaktionen wirksam sind?
- bei paradoxen Reaktionen gelegentlich auch Koffein genutzt wird?
Medikamente als Schlafräuber
Bei neu aufgetretenen Schlafproblemen sollte man immer auch die Möglichkeit einer Medikamenten-induzierten Insomnie in Betracht ziehen. Erkundigen Sie sich vor allem nach Medikamenten, die erst kürzlich hinzugekommen sind. Auch ein falscher Einnahmezeitpunkt kann zu Schlafproblemen führen. Typische Übeltäter sind antriebssteigernde Antidepressiva, Betablocker, Schilddrüsenhormone und Diuretika.
Antriebssteigernde Antidepressiva-- Sie sind eine heterogene Wirkstoffgruppe, die den Antrieb steigern, ohne müde zu machen. Entweder, weil sie von Haus aus selektiv wirksam sind (SSRI, SSNRI, SNRI, MAO-Hemmer, Bupropion) oder weil sie vorrangig die Wiederaufnahme von Noradrenalin hemmen (Nortriptylin, Desipramin). Für einen ruhigen Schlaf sollte man solche Antidepressiva bevorzugt morgens einnehmen.
Betablocker-- Manche Menschen reagieren auf Betablocker, gerade zu Therapiebeginn, mit Schlafstörungen und Albträumen. Selten können sogar heftige Traumreaktionen bis hin zu Schlafwandeln auftreten. Das Risiko ist bei lipophilen und unselektiven Betablockern wie Metoprolol besonders hoch. Bei anhaltenden Beschwerden kann der Wechsel auf einen anderen Betablocker helfen.
Schilddrüsenhormone-- Menschen mit überaktiver Schilddrüse (Hyperthyreose) sind häufig hyperaktiv, nervös und überdreht. Das beobachtet man auch nach der Gabe von Schilddrüsenhormonen. Optimaler Einnahmezeitpunkt von L-Thyroxin und Trijodthyronin ist demnach morgens vor dem Frühstück.
Stimulanzien-- PTA wissen, dass Energydrinks und Kaffee am Abend vermutlich nicht die beste Idee sind, wenn man erholsam schlafen möchte. Das gilt auch für stimulierende Medikamente wie Methylphenidat, Amphetamin, (Lis-) dexamfetamin, Modafenil, Solriamfetol sowie das in einigen Grippemitteln enthaltene Pseudoephedrin. Um Schlafstörungen vorzubeugen, muss die letzte Dosis vor 16.00 Uhr eingenommen werden.
Diuretika-- Ein oft übersehener Grund für Schlafstörungen sind am Abend verordnete Diuretika. Patienten werden dann nachts munter und müssen die Toilette aufsuchen. Auch bei zu wenig oder zu viel Kalium und zu niedrigem Blutdruck kann man sich müde fühlen.
Besondere Patientengruppen
Kinder-- Schlafen, Wachen, Träumen und Ängste sind von Kind zu Kind sehr unterschiedlich. Um Schlafstörungen in den Griff zu bekommen, sollten die Eltern über eine angemessene Schlafhygiene und die kindlichen Schlafbedürfnisse informiert werden. Halten die Beschwerden an, ist ärztliche Hilfe gefragt. Nur so kann man feststellen, ob eine organische oder nicht organische Ursache hinter den Schlafproblemen steckt. Generell gehören kindliche Schlafstörungen in die Hand des Arztes, auch wenn einige kindergeeignete OTC-Präparate verfügbar sind.
Schwangerschaft und Stillzeit-- Bei Schlafstörungen in dieser für die Mutter und ihr Kind äußerst vulnerablen Zeit können PTA über nicht medikamentöse Verfahren Auskunft geben und die Regeln für einen gesunden Schlaf erklären. Empfehlungen für Medikamente sollten äußerst zurückhaltend erfolgen und sind grundsätzlich Ärzten vorbehalten.
Ältere Menschen-- Im Alter ändern sich die Verhältnisse von Fett, Eiweiß und Wasser im Körper, und einige Funktionen lassen nach. Wasserlösliche Substanzen fluten schneller an und werden aufgrund der nachlassenden Nierenfunktion langsamer ausgeschieden. Umgekehrt tendieren lipophile Substanzen aufgrund des gestiegenen Gesamtkörperfettanteils dazu, zu akkumulieren. Schlafmittel wirken also stärker und länger als normalerweise. Das kann folgenschwere Stürze in der Nacht und Schläfrigkeit am Folgetag nach sich ziehen. Ist eine medikamentöse Behandlung unumgänglich, raten Arzneimittellisten wie FORTA (Fit for The Aged) zu Melatonin. Begrenzte Daten deuten bei Daridorexant auf eine gute Verträglichkeit auch über einen längeren Zeitraum hin. Eine endgültige Bewertung steht noch aus.
Interessenskonflikt: Der Autor erklärt, dass keinerlei Interessenskonflikte bezüglich des Themas vorliegen.